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Schön brav. Treue, Vertrauen und Verantwortung sind der heutigen Jugend wichtig – ebenso wie die richtigen Gefühle füreinander.

© picture alliance / dpa

Jugendsexualitität: Von wegen sexuell verwahrlost

Die Alten sagen, die Jugend hat nur das eine im Kopf. Aber stimmt das überhaupt? Eine neue Studie zeigt: Mit dem ersten Mal lässt man sich Zeit.

Fast hätte Leon Sex gehabt. Aber dann waren da keine richtigen Gefühle mehr für seine damalige Freundin, deshalb kam es nicht dazu. Außerdem habe die sexuelle Schiene den 15-Jährigen irgendwie überfordert, „vielleicht ging auch deshalb der Reiz für mich verloren“, sagt er. Und: dass beide vor einem Jahr noch zu jung dafür gewesen seien.

Seine Geschichte hat Leon Katharina Weiß erzählt. Und weil die 16-Jährige wissen wollte, was in Leons Leben und dem ihrer Altersgenossen noch so vor sich geht, hat sie deren Erzählungen aufgeschrieben. „Generation geil – Jugend im Selbstporträt“ heißt ihr Buch, es ist im Schwarzkopf & Schwarzkopf-Verlag erschienen und handelt von jungen Menschen, bei denen Sexualität, aber auch das Thema Verantwortung eine Rolle spielen. „Von wegen Generation Porno. Wir sind gut aufgeklärt und man kann uns nicht einfach in ein paar Worte packen“, sagt die Autorin.

Die Zahlen geben Katharina recht. Verrohte Porno-Kids, die ihre Unschuld schon mit 13 Jahren verloren haben und sich nicht mehr küssen, dafür aber Erfahrungen mit Oralsex haben – diese Klischees stimmen nicht. Laut einer neuen Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sind Jugendliche weitaus braver, treuer und verantwortungsvoller als ihr Ruf. Sie suchen ihre Partner gewissenhaft aus und verhüten mit Kondomen. Und sie lassen sich heute mit dem ersten Mal mehr Zeit als noch vor fünf Jahren: 2005 gaben 73 Prozent der befragten Mädchen im Alter von 17 Jahren an, es bereits erlebt zu haben; heute sind es 66 Prozent. Und auch die Zahl der sexuell aktiven 14-Jährigen ist gesunken, bei den Mädchen von zwölf auf sieben Prozent, bei den Jungs von zehn auf vier Prozent.

Knapp 3600 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren wurden für die Studie befragt, davon erstmalig rund 1000 Kinder aus Zuwandererfamilien. „Es gibt zwar Jugendliche, die in schwierigen Verhältnissen aufwachsen und ein ungesundes Verhältnis zu Sexualität entwickeln, aber das sind die Ausnahmen“, sagt Eckard Schroll, Abteilungsleiter für Sexualaufklärung der BZgA.

Ist also „Deutschlands sexuelle Tragödie“, wie sie der Berliner Jugendpastor Bernd Siggelkow in seinem Buch beschrieb, ein Ammenmärchen? „Ja“, sagt Katharina Weiß. Für Jugendliche sei Sex zwar aufregend. Dabei gehe es aber nicht allein um den Akt, sondern vor allem um das Drumherum: das Flirten, den Körper des anderen zu erkunden „und die große Frage, ob man seinen Schwarm bekommt“. Wenn es auf einer Party darum gehe, jemanden rumzukriegen, ginge es im erweiterten Sinne auch um Sexualität. Und je älter man werde, desto wahrscheinlicher sei es, dass man ihn habe.

Die Zahlen der BZgA-Studie bestätigen das und belegen zudem einen Wandel: „Jugendliche schauen heute genauer, mit wem sie Sex haben“, sagt Eckard Schroll. Die heutige Generation plane mehr und sei besser vorbereitet. Auch die Eltern seien lockerer geworden: „Bei ihnen heißt es heute weniger, setz’ dich mal zur ‚Aufklärungsstunde' hin, sondern sie stehen für regelmäßige Gespräche zur Verfügung.“

In ihrem Buch lässt Katharina Weiß 20 Jugendliche aus ganz Deutschland zu Wort kommen. Zum Beispiel den 16-jährigen Ahmed aus Berlin, der ein Mädchen mit reinem Herzen sucht, egal welcher Herkunft. Oder die 15-jährige Elisabeth, die es romantisch mag, aber nicht kitschig und bei der Sex „coole Aktion“ sein soll. Die Erwartungen an die Liebe seien groß, sagt Katharina, das habe sie bei den Recherchen festgestellt.

Dass die ständige Verfügbarkeit von Pornografie im Internet die Vorstellungen von Sexualität beeinflusst, bestreitet die Berliner Autorin Sila Sönmez, 25, nicht, aber sie entscheide nicht über den Sex, den man habe. Sila glaubt, dass die Angst der Erwachsenen vor dem Internet viele Vorurteile schüre. Die Zeit von 17 bis 26 Jahren sei aber schon immer die Phase gewesen, in der man sich ausprobiere.

Auch Sila hat ein Buch geschrieben, einen Roman, ihr „Ghetto-Sex Tagebuch“ ist im Anais-Verlag erschienen. Es schildert den Alltag der 17-jährigen Ayla, einer Deutschtürkin, die ihre sexuelle Identität in einer Welt der Extreme entfaltet. Die Autorin kennt diese Welt aus dem realen Leben. „Ich bin in einem Problembezirk aufgewachsen und aufs Gymnasium gegangen. Was die Sexsachen betrifft, habe ich viel mit Freunden geredet.“

Silas Fazit: Vor allem Mädchen stehen unter sozialem und moralischem Druck, wenn sie ihre Sexualität entfalten. „Sexuell aktive Mädchen werden in der Schule als Schlampen tituliert. Jungs hingegen sind Helden, wenn sie es tun.“ Das sei bei Mädchen mit Migrationshintergrund nicht anders als bei deutschen. Nur, dass viele ihre Sexualität verstecken müssten. „Es gibt türkische Mädchen, die sich ihr Jungfernhäutchen zunähen lassen oder nur Analverkehr haben. Aber es gibt auch viele, die sexuell aktiv sind und keine Probleme haben.“ Zu ihnen zählt auch Sila, die aus einem liberalen türkischen Elternhaus kommt. Ihre Figur Ayla entspreche auch deshalb nicht den gängigen Klischees. „Sie ist jung, türkisch und schläft mit Männern, die sie sich selbst aussucht.“

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