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Abwarten, was kommt. Eine sogenannte Wahrsagerin prophezeite unserem Kolumnisten den Krebstod. Er glaubt nicht dran.

© privat

Kolumne: Was machen wir JETZT?: Todesmutig leben

Willst du mal steinalt werden? Das fragte letzte Woche Constanze Bilogan. Unser Kolumnist antwortet ihr heute.

Hinterher bereute die Schamanin, dass sie mir die Wahrheit gesagt hatte. Eine halbe Stunde umklammerte sie meine linke Hand, musterte die Linien darin, fuhr mit dem Zeigefinger über die tiefen Furchen und die kleinen arabesken Verzweigungen. Sie las in meinem Leben wie in einem aufgeschlagenen Buch. „Und?“, fragte ich sie. „Was sehen Sie?“ Die Schamanin druckste herum, faselte etwas von unsterblicher Liebe und großer Erfüllung, dann, plötzlich, platzte es aus ihr heraus: „Sie werden sterben. Mit 65. An einem Gehirntumor.“

Eigentlich halte ich diesen Wahrsagerkram für obskuren Schwachsinn, aber irgendwie blieb mir diese Begegnung im Gedächtnis. Elendig verrecken, mit 65? Ach, du Scheiße! Übers Sterben hatte ich zuvor nie nachgedacht. Das Einzige, was ich mir erlaube, sind narzisstische Träume von meiner eigenen Beerdigung. Bilder in Schwarz-Weiß sind das, eine Mafiosi-Beerdigung; gut aussehende Männer in gut geschnittenen Anzügen, wunderschöne Frauen, die ihre von Trauer verschatteten Augen hinter riesengroßen Sonnenbrillen verstecken, die Liveband spielt „Hurt“ von Johnny Cash. Und alle heulen.

Letztens habe ich ein Interview mit Andreas Altmann gelesen, dem Rockstar unter den Reisereportern. Er sagt: „Frei sein ist die aufregendste Liebe. Ich will den Swing, den Flow, das fetzige Leben.“ Altmann ist 65, lebt in Paris, allein – natürlich – und er ist hungrig nach Leben. Noch immer. Ich weiß nicht, ob ich das brauche, wenn ich alt bin. Diese romantische Idee von Freiheit ist cool, aber auch albern. Das Gute am Alter ist doch, dass man niemandem mehr etwas beweisen muss. Wenn ich 65 bin, möchte ich am Meer leben. Morgens sitze ich im weißen Unterhemd am Schreibtisch und schreibe meine Memoiren; nachmittags hocke ich in einem Straßencafé, trinke einen Espresso, spiele mit meinen Freunden Backgammon, und wenn auf dem Trottoir eine junge Frau im Sommerkleid vorbeihuscht, dann pfeifen wir.

40 Jahre bleiben mir noch, ist doch gar nicht so schlecht. Steinalt zu werden, daran habe ich ohnehin nie geglaubt. Linkshänder sterben früher, das ist statistisch erwiesen, Raucher sowieso. Vielleicht mache ich es wie Altmann und begebe mich auf die Suche nach der Lebendigkeit. Ich könnte alle 8000er erklimmen oder Afrika auf dem Motorrad durchqueren. Passieren kann mir ja nichts. Und falls doch – dann hat die Schamanin gelogen.

Constanze, magst du Glatzen?
In zwei Wochen schreibt an dieser Stelle Constanze Bilogan

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