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Konflikttraining: Das haut hin

Arif Hanif, 16, engagiert sich gegen Gewalt auf der Straße Früher hat Arif selbst Stress mit anderen gehabt – jetzt boxt er lieber. Im Schöneberger Boxstall wurden von dem Verein „Trainingsoffensive e.V.“ über zweieinhalb Monate in Konflikttraining geschult.

Aus den Lautsprechern dröhnt der Rocky-Song „The Final Countdown“, in der Luft liegt Schweißgeruch, es ist laut und stickig. Schrill unterbricht eine elektrische Stoppuhr alle zwei Minuten die Hymne. Für die beiden boxenden Jungs im Ring heißt das: Fäuste runter und eine Minute Pause, bevor das pralle Kunstleder der Boxerhandschuhe wieder durch die Luft pfeift und die Füße in der Grundstellung hin und her hüpfen.

Arif Hanif ist dankbar für die kurze Verschnaufminute. Er schwitzt und hechelt, aber die Anstrengung ist ihm egal: Wenn er im Ring steht, lächelt er stolz, er zeigt gerne, was er kann.

Durchs Boxen mental und körperlich stark geworden

Der 16-jährige Junge aus Bangladesch, der im Alter von zwei Jahren nach Berlin übersiedelte, weil sein Vater hier bessere Arbeit fand, ist erst durchs Boxen mental und körperlich stark geworden. Als er vor zwei Jahren in den Kiez rund um die Potsdamer Straße zog, musste er sich oft behaupten: „Ich habe viele Kumpels gesehen, die keine Perspektive haben, die wollen Spaß, und das heißt auch, brutal zu sein.“ Er hat oft etwas auf die Fresse bekommen und hat kapiert, dass er etwas anderes machen muss als die Jungs, die den Stress auf der Straße suchen.

Wenn ihn heute „Kumpels“ umzingeln und provozieren, dann weiß Arif, wie er damit umgeht. Eines würde er vermeiden: das Wörtchen „man“ in den Mund zu nehmen. „Wenn ich mich bedroht fühle, ist es wichtig, Ich-Botschaften zu senden. Ich muss klar machen, wie ich die Situation sehe. Das provoziert nicht“, erklärt Arif und sein Blick geht etwas verlegen zu den gefledderten Flipcharts, die noch vom Unterricht an der Wand neben dem Ring hängen. Und dann guckt er schüchtern auf den Boden. Arif ist zurückhaltend, man könnte auch sagen: konzentriert. Er lacht nicht oft, spricht mit klarer, etwas monotoner Stimme. Leidenschaftlich ist er nur in einem Kampf .

Schulung in Konflikttraining

Die Theorie seiner Paten-Ausbildung hat er bestens verinnerlicht: Mit 98 Prozent richtiger Antworten in der Abschlussprüfung hat der Schöneberger Gymnasiast, der auch gut in der Schule ist, die Ausbildung besonders erfolgreich abgeschlossen. Vierzehn Jungen und ein Mädchen aus dem Schöneberger Boxstall wurden von dem Verein „Trainingsoffensive e.V.“ über zweieinhalb Monate in Konflikttraining geschult.

Vor dem Konditionstraining am Sandsack und auf dem Laufband haben die zukünftigen Boxpaten mit zwei ehemaligen Polizisten unter anderem eine Stunde lang die Gesetze zur Notwehr und unterlassenen Hilfeleistung studiert. Auch über die Definition und das Entstehen eines Vorurteils wissen jetzt alle Bescheid. Am Ende der Ausbildung gab es ein Zertifikat und ein T-Shirt zur Belohnung.

Boxpaten sollen Vorbild sein

Die Boxpaten sollen in ihrem Kiez ein gutes und faires Vorbild abgeben, wenn mal die Luft brennt. Bei einem Konflikt dazwischen zu gehen, wenn keine Stoppuhr schrillt, dazu gehört mehr als nur eine ordentliche Portion Mut.

Seine Kraft würde der junge Boxer dabei jedoch niemals einsetzen – außer in Notwehr. „Was wir hier lernen, kann auf der Straße tödlich sein. Jemanden am Kinn oder in die Leber zu treffen, zum Beispiel.“ Arif hat einfach keinen Bock mehr auf den Stress: „In unserem Alter ist eine Ausbildung wichtiger. Wenn man jetzt Scheiße baut, dann bekommt man eine Anzeige und sitzt später auf der Straße – oder hat Hartz IV.“

Arif konzentriert sich lieber auf seinen Weg

Das sagt er auch seinen Freunden. Mit seinen Jungs hängt er immer noch gerne auf der Straße ab – eben nur ohne Stress. Und ab und zu geht Arif auch mal auf eine Privatparty, aber so richtig feiern kann er nicht, denn er steht fast täglich im Boxring: Das lenkt ihn ab und baut Stress ab. Da bleibt im Moment auch keine Zeit für Mädchen.

Arif konzentriert sich lieber auf seinen Weg. Er will als Pate helfen, weiter boxen, und einen Zukunftsplan hat er auch schon: Später möchte er Arzt werden. Viel später, träumt er, wird das Boxpaten-Zertifikat dann im Flur seiner eigenen Praxis hängen.

Agnes Taegener

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