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Panorama: Ministrant und Spaß dabei

Anna-Maria, Antonia und Johannes müssen sich manchmal rechtfertigen – sie engagieren sich in der Kirche

Vor dem U-Bahnhof Lipschitzallee in Gropiusstadt ist Wochenmarkt. Anna-Maria Plehn kurvt auf ihrem Rad um die Stände und stellt es vor der Sankt-Dominicus-Kirche ab. „Hallo!“ Sie zieht sich den grünen Schal vom Hals und lächelt in die Nachmittagssonne. Antonia Goerigk ist schon da, und kriegt zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange. „Wir gehen uns dann mal umziehen.“ Die beiden Mädchen verschwinden in die Sakristei, streifen sich einen roten Kragen, einen roten Rock und ein weißes Pluderhemd namens Rochette über Jeans und T-Shirt.

Das dauert keine drei Minuten, dann sind die beiden 18-jährigen Mädchen fertig für den Ministrantendienst. Ministrant? Was soll das sein? Erinnerungen an Filmausschnitte kommen auf: kleine Jungs, die in Kathedralen stehen und während der Messe Sachen halten, herumtragen oder vom Weihrauch ohnmächtig werden… Das Wort Ministrant kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Diener. So ist es sinnverwandt auf den Messingplaketten zu lesen, die die beiden Mädchen um den Hals tragen. „Wer mir dienen will, folge mir nach“, steht da.

Als Ministrant oder Messdiener, wie es in anderen Teilen Deutschlands heißt, assistiert man dem Pfarrer während der katholischen Messe. „Wir laufen vor dem Pfarrer in die Kirche und am Ende der Messe aus der Kirche heraus, reichen ihm das Messbuch, halten bei der Verkündigung des Evangeliums Kerzen hoch oder tragen das Weihrauchfass“, erklärt Antonia Goerigk. In der Sankt-Dominicus-Gemeinde haben immer mindestens vier Ministranten Dienst. „Sechs ist besser, zwei geht auch, ist aber stressiger“, sagt Antonia Goerigk. Heute tragen sie rote Röcke, die benutzt man zu Ostern, Pfingsten oder Weihnachten. Violett steht für Buße und Umkehr und wird in der Adventszeit und während der Karwochen getragen, Schwarz bei Beerdigungen, Grün an normalen Gottesdiensten.

Vor wichtigen katholischen Feiertagen wie der Osternacht oder zu Weihnachten gibt es mit dem Pfarrer eine Besprechung zum Ablauf des Gottesdienstes. In der Sakristei hängt neben dem Schiffchen mit frischem Weihrauch auch das Gefäß für das Weihwasser mit dazugehörigem Aspergill und noch der Plan für die vergangene Osternacht. Mit grünem Marker hat jemand Stichworte aufgemalt. Antonia Goerigk erklärt die Begriffe: „Zur Lichtfeier sind wir zuerst draußen beim Osterfeuer gewesen, danach wurde das Weihwasser für das folgende Jahr geweiht.“

Früher haben sich angehende katholische Priester als Messdiener auf ihr Amt vorbereitet. Heute kann jeder den Dienst am Altar verrichten, auch Mädchen. Der Pfarrer kann das zwar verbieten, aber in Berlin tut das praktisch keiner mehr. Im Erzbistum Berlin gibt es rund 2500 Ministranten, davon sind die Hälfte Mädchen. Ministrant wird man nach der ersten Kommunion, dann ist man meistens in der dritten Klasse.

Antonia und Anna-Maria haben dafür eine sechsmonatige Ausbildung gemacht, gelernt, wie der Ablauf einer Messe funktioniert und in der leeren Kirche geprobt. „Ich habe damit angefangen, weil Freunde von mir auch in der Gruppe waren. In der dritten Klasse weiß man noch wenig über die theologischen Hintergründe“, sagt Anna-Maria Plehn. Dann hat sie einfach weitergemacht und nicht mit 13 oder 14 Jahren aufgehört wie viele andere Messdiener. „Die meisten finden dann andere Freizeitbeschäftigungen wichtiger“, sagt Antonia Goerigk.

Irgendwann haben die Mitschüler angefangen, Fragen zu stellen. „Warum machst du das. Was hast du davon?“ Viele fragen, weil sie einfach keine Ahnung von Kirche haben, glauben die beiden. Ministrant sein bedeutet nicht nur, im Gottesdienst möglichst alles richtig zu machen, also nicht zu reden oder zu lachen oder dem Priester auf sein Gewand zu treten. Man lerne auch eigenverantwortliches Arbeiten und werde dadurch selbstbewusster. „Als Kind kann man sich im Gottesdienst aktiv einbringen, und sitzt nicht nur auf der Bank und wartet, dass die Predigt endlich vorbei ist“, sagt Anna-Maria Plehn. Wer länger dabeibleibt, arbeite immer selbstständiger.

Mittlerweile betreuen die beiden Mädchen als Oberministrantinnen die Ausbildung der neuen Messdiener, organisieren Spiele und Ausflüge für die 50-köpfige Kindergruppe und teilen die Ministranten in einem Gottesdienstplan zu den Messen ein. Manchmal kommen Kirchengänger und beschweren sich darüber, dass die Röcke der Ministranten zu kurz sind und das dann komisch aussieht oder dass die Kleinen während der Messe gelacht haben. Das ist Ansichtssache, sagen die Freundinnen dann, das sei nicht so schlimm. „Wenn wir Hilfe brauchen, fragen wir den Kaplan“, sagt Anna-Maria Plehn. Aber das klingt nicht so, als würde sie ihn oft fragen.

Johannes Komischke wird nächstes Jahr vielleicht größeren Fragebedarf haben. Der 18-Jährige will seine große Schwester bei der Ausbildung der Messdiener in der Spandauer Sankt-Markus-Gemeinde ablösen. Die ist gerade Oberministrantin, hört aber nach dem Abitur auf. „Das liegt mir zwar nicht so, aber egal“, sagt er. Als Ministrant muss man eben lernen, sich durchzusetzen. Wenn in seiner Schule komische Sprüche kamen, hat er eben noch einmal genau erklärt, was er macht. „Ich bin nicht anders als andere Jugendliche. Und als Katholik mache ich auch nicht alles, was mir die Kirche vorschreibt. Ich würde zum Beispiel nicht auf Verhütung verzichten, bloß weil ein Papst das sagt.“ In der Richtung gibt es ohnehin noch viel zu tun, findet er. Zum Beispiel sei es langsam Zeit für einen Papst aus Afrika oder Lateinamerika. „Dort leben ja schließlich die meisten Katholiken.“

Auch Antonia und Anna-Maria wünschen sich Veränderungen von der Kirche, für die sie sich ganz bewusst entschieden haben. „Jetzt muss endlich ein reformbereiter Papst kommen“, sagt Antonia, „warum sollen Frauen nicht Pfarrer sein dürfen?“ Darüber, dass manche Geistliche immer noch keine Mädchen als Messdiener tolerieren, kann Anna- Maria nur lachen. „Das sollte unser Pfarrer hier mal machen. Da steht er ganz schnell alleine da!“

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