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konvertiten

© Caro/Ponizak

Religion: Wenn einer einfach rübermacht

Sie tanzten, tranken Bier, liebten ältere Jungs. Am 24. Geburtstag war’s vorbei. Wie sich das anfühlt, wenn die beste Freundin auf einmal zum Islam konvertiert.

Als mir meine beste Freundin das erste Mal sagte, dass sie ein Kopftuch tragen wolle, fing ich an zu weinen. Ich versuchte mich zu beruhigen, indem ich mir einredete, dies sei nur eine Laune, die bestimmt so schnell vorüberzieht, wie sie gekommen war.

Wir kannten uns ein halbes Leben lang, länger sogar. Auf der Oberschule trafen wir uns im Erste-Hilfe-Raum, sie die Ruhige, Stille und ich die Extrovertierte, laute. Wir hatten Probleme zu Hause, das verband uns und die Jahre danach gab es uns nur zu zweit. Wir tranken Bier im Sophienclub, tanzten uns die Seele aus dem Leib im Sage, machten einen Salsakurs im Soda oder gaben uns die Kante auf den diversen Semester- und Privatpartys. Wir schwänzten die Schule, verknallten uns in Jungs, die älter waren, eine Zeit lang wohnten wir sogar zusammen in meiner Ein-Zimmer-Wohnung in Reinickendorf, veranstalteten Videoabende mit Popcorn und Schokolade. Wir demonstrierten illegal gegen Studiengebühren, als wir nicht mal Studenten waren und wir backten jedes Jahr Kekse zu Weihnachten, bis sie aufgehört hat, dieses Fest zu feiern.

Vor ein paar Jahren verliebte sie sich in ihren langjährigen Freund und Nachbarn, einen konvertierten Muslim. Ich fand die Hochzeit spannend, ich war aufgeregt und voller Freude. Meine Freundin hatte einen ganz tollen und lieben Mann bekommen. Auch seine Familie und seine Freunde schienen alle sehr nett. Aber am glücklichsten war ich darüber, dass sie als Christin in die Ehe ging.

Sie trug einen weißen Rock, der ihr nur knapp bis über die Knie ging und einen Schleier, der leger über ihre aschblonden Haare geworfen war. Da war halt meine starke Freundin, die sich nirgendwo reinzwängen lässt. Ich hielt mich für wahnsinnig tolerant, weil ich mich so über diese Kulturzusammenführung gefreut hatte. Die muslimische Hochzeit auf Arabisch, die leichte musikalische Untermalung von Yusuf Islam, das getrennte Essen von Mann und Frau auf der Hochzeit fand ich toll, multikulti-toll. Zwei Menschen mit unterschiedlicher Religion und jeder hat die Freiheit seine auszuleben.

Doch ich stieß schnell an die Grenzen meiner Toleranz, als sie sich entschied, Muslimin zu sein. Es war nicht mehr irgendwer, sondern sie, ein Teil meines Lebens. Ihre Suche nach Geborgenheit, Liebe und Gott konnte ich verstehen, aber eine andere Religion anzunehmen, fand ich etwas weit gegriffen, fast albern, unnötig, irgendwie: unpassend. Dass sie übergetreten war, erfuhr ich nebenbei. Man beobachtet den anderen genauer als sonst und achtet auf erste Anzeichen. Ich erkannte kleine Veränderungen in ihrer hippen Altbauwohnung und in der Art wie sie sich anzog. Sie musste also nur noch nicken, als ich an jenem Abend unbeholfen fragte: „Ist es denn … bist du schon …?“. Ich erkannte ein schwaches, flüchtiges Lächeln während sie ihren Kopf neigte, wie aus Angst vor meiner Reaktion. Vielleicht war es aber auch diese ungewohnte Situation, vielleicht war sie nervös oder angespannt, vielleicht war sie selbst etwas unsicher. In diesem Moment aber blieb ich ruhig. Warum auch aufregen? Wenn sie damit besser leben würde, dann wäre es auch für mich okay. Dass es irgendwann unsere Freundschaft belasten könnte, darauf kam ich gar nicht.

Bis zu jenem Samstagabend der mir bewusst machte, dass sich etwas Einschneidendes verändert hatte. Wir hatten zu Abend gegessen und ich war das erste Mal bei einem Gebet dabei. Ich denke heute, dass sie damals ihren ganzen Mut zusammengenommen haben musste, es vor mir zu tun, mich aber traf es völlig unvorbereitet. Im Zimmer breitete sie ihren Gebetsteppich aus. Über ihre schulterlangen Locken hatte sie ein Kopftuch gewickelt. Von ihrer schlanken Figur konnte man nichts mehr erahnen, nur ihre zarten, kleinen Hände ragten aus einem langen dunkelbraunen Gewand mit kunstvoll eingenähten goldenen Fäden, das sie noch kleiner erscheinen ließ, als sie war.

Sie hatte ihre Arme vor dem Körper verschränkt, neigte sich unaufhörlich nach vorne und murmelte etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand. Später erfuhr ich, dass sie nach der Lebensweise des Propheten betete und auf Arabisch. An meinem 23. Geburtstag ging sie noch mit in die Bar, in die ich geladen hatte, an meinem 24. nicht mehr. Wir gingen nicht mehr tanzen oder einen trinken. Überall dort, wo es Alkohol gab, konnten wir nicht mehr einkehren. „Statt mich im Kino zu entspannen, kann ich auch beten.“ Sie befolgte Regeln, die ich nicht verstand und ich verzweifelte zusehends.

Man hat Angst, möchte rufen: "Zieh wieder Röcke an!"

Über Dinge, in denen wir uns immer einig zu sein schienen, fingen wir an zu streiten. Nicht immer war es dieser krasse Lebenswandel, bei dem ich nicht mithalten konnte. Bis heute gibt es Themen über die wir nicht reden können, ohne dass ich den Raum verlasse, oder sie – weise wie sie meistens ist – beschließt, zu schweigen. Homosexualität zum Beispiel. An einem Morgen diskutierten wir beim Frühstück darüber und wie sie mir sagte, dass Homosexualität gegen die Natur sei und nicht von Allah gewollt, da wusste ich, dass die Lösung zum gegenseitigen Verständnis nicht mehr in meiner Macht liegt.

Man fängt an sich zu fragen, ob nun der Zeitpunkt gekommen ist, an dem man getrennte Wege gehen muss. Man fragt sich, was eine Freundschaft ausmacht, was sie zusammenhält. Man verliert vielleicht sogar seinen eigenen Glauben, man zweifelt, man verzweifelt, man schüttelt ständig den Kopf, weint, diskutiert, hat Angst. Man will den anderen nehmen und sagen: „Zieh wieder Röcke an und geh mit mir aus!" Ich wollte, dass sie das macht, was ich für mich für richtig hielt. Viele ihrer Freunde von früher sind nicht mehr da. Man könnte sagen, sie verstehen es einfach nicht. Ich sage, dass sie den Kampf aufgegeben haben. Es erfordert viel Liebe zum anderen, an die man sich manchmal erinnern muss und von der man sicher sein muss, dass man sie nicht aufgeben will.

Im Sommer saßen wir auf meinem Balkon beim Frühstück. Sie trug lange, weite Hosen, darüber eine Tunika und darüber einen langärmligen Pullover. Ich wollte wieder anfangen zu diskutieren, sie schaute mich friedlich an und sagte: „Aber wenn ich doch glücklich bin!?“ Was kann man dem schon entgegensetzen?

Nathalie Boensch

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