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Panorama: „Wir wollen die Rechten mit Argumenten platt machen“

An der Walter-Gropius-Schule versuchen Jugendliche, Vorurteile gegen Juden und Ausländer abzubauen Das ist nicht einfach, sagen zwei von ihnen, die eine Ausbildung zum „Youth Leader“ machen

Sarah (16) besucht die zehnte Klasse der Gropius-Schule. Auf Beschimpfungen wegen ihrer dunklen Hautfarbe achtet sie nicht. Bei manchen, sagt sie, sei der Mund schneller als das Hirn.

Warum wollt ihr Youth Leader werden? Das geht doch alles von eurer Freizeit ab.

Tugba: Viel zu wenige Jugendliche setzen sich dafür ein, dass es weniger Antisemitismus gibt. Und dass es Antisemitismus gibt, erlebe ich bei einem Kumpel, der jüdisch ist. Der wird manchmal angepöbelt „Du Jude, du“. Jude ist ein Schimpfwort, so wie Blödmann, aber viel verletzender. Bei unseren Treffen lerne ich, welche Tipps ich denen geben kann, wie sie sich wehren können.

Sarah: Ich hab’ mir die Youth-Leader- Kurse angeguckt und gedacht: Das ist ’ne gute Sache, da möchte ich mitmachen. Außerdem wusste ich nicht viel über Antisemitismus und wollte erfahren, was das ist.

Wie laufen eure Treffen ab? Worüber sprecht ihr?

Tugba: Wir diskutieren über verschiedene Themen, zum Beispiel über das Äußere von Juden, dass es nicht stimmt, dass sie eine große Nase haben. Und wir versuchen, Religionen zu vergleichen. Vor ein paar Wochen haben wir den Islam mit dem Judentum verglichen und bemerkt, dass es viele Parallelen gibt.

Wie hat dich das erste Jahr verändert?

Tugba: Ich weiß jetzt viel mehr über Religionen. Vorher wusste ich eigentlich gar nichts. Speziell vom Judentum hatte ich keine Ahnung. Ich hab’ auch nicht so viel von meinen Eltern erfahren.

Ist Religion ein Thema unter euch Schülern?

Tugba: Ja. Es wird viel diskutiert. Es gibt auch Gruppen, die sich nach Herkunft und Religion aufteilen: Die Muslime stehen mit Muslimen zusammen und die Deutschen mit Deutschen. Es gibt auch Situationen, in denen sich die Schüler nicht respektieren.

Sarah: Viele denken, sie wissen alles und posaunen irgendwas ’raus, wovon sie keine Ahnung haben. Bei denen ist der Mund schneller als das Gehirn.

Tun die Lehrer zu wenig, um aufzuklären?

Tugba: Im Geschichtsunterricht haben wir zwar über den Holocaust gesprochen, aber nicht über das Judentum an sich. Im Sozialpädagogikunterricht hatten wir das Thema dafür sechs Monate lang, um uns auf eine Auschwitzfahrt vorzubereiten. Gefahren sind wir dann zusammen mit zwei Klassen von einem Oberstufenzentrum und einer Hauptschule.

Sind eure Mitschüler anders mit dem Auschwitz-Besuch umgegangen als ihr?

Sarah: Der Sozialpädagogikkurs aus unserer Schule hat sich im Gegensatz zu den Jugendlichen der anderen Schulen anständig benommen. Manche von denen haben zum Beispiel während der Führung gekichert. Einige von denen sind sogar rechtsradikal eingestellt und sind trotzdem mitgefahren.

Tugba: Während der Busfahrt haben die Rechten so viel Mist geredet, dass ich versucht habe, mit ihnen zu diskutieren. Ich habe sie gefragt, warum sie solche Vorurteile haben. Ich hab’ sie auch gefragt, warum sie überhaupt mitfahren. Die sind mitgekommen, um vier Tage schulfrei zu haben. Als ich mit denen gesprochen habe, hatte ich das Gefühl, dass das völlig an ihnen vorbeigeht. Nicht mal die Lehrer kommen gegen die an: In ihrer Schule ist es verboten, dass sie diese Runen-Abzeichen tragen. Sie machen es trotzdem.

Finden eure Eltern gut, dass ihr Youth Leader werdet?

Tugba: Geht so. Die haben Angst, dass ich die Schule vernachlässige. Das ist der einzige Grund, warum sie dagegen sind. Zu Hause diskutieren wir auch nicht viel. In der Schule schon, zum Beispiel über die Proteste gegen die Karikaturen.

Wie finden es eure Freunde, dass ihr euch zu Youth Leadern ausbilden lasst?

Tugba: Den meisten mussten wir das erstmal erklären. Viele fanden es seltsam. Manche machen sich darüber lustig. Ein arabischer Bekannter sagte: Was machst du denn da? Weißt du überhaupt, was das ist? Pass mal auf, dass du dich nicht missionieren lässt, dass du keine Jüdin wirst. Er findet, dass die Juden schuld sind am Nahost-Konflikt, die Araber seien unschuldig.

Gibt es auch Gewalt?

Tugba: Ich kenne jüdische Leute, die sich gut mit Arabern verstehen, weil sie sich gegenseitig respektieren. Ich selbst habe noch keine Streitereien zwischen ihnen erlebt, so was passiert an unserer Schule nicht. Es gibt zwar ab und zu Konflikte, aber da geht es um anderes. Letztens gab es eine Nazi-Demonstration in der Johannisthaler Chaussee, da wurde die ganze Schule nach Hause geschickt. Die Lehrer wissen ja, dass hier viele Ausländer sind, und die hatten Angst, dass irgendwas passieren könnte. Die Polizei hatte die Schule extra benachrichtigt.

Was machst du, wenn du angepöbelt wirst?

Sarah: An meiner Hautfarbe sieht man deutlich, dass ich keine deutschen Eltern habe. Manche sagen „Nigger“ zu mir. Ich achte nicht drauf. Es macht mir nichts, weil es dumme Menschen sind, die so was sagen, die haben keine Ahnung. Die versuchen, andere zu beleidigen, obwohl sie sie gar nicht kennen.

Gibt es Orte, die ihr meidet?

Sarah : Ja, wenn ich weiß, dass es dort viele Rassisten gibt, zum Beispiel einige Bezirke in Ostberlin. Wenn ich hier in Gropiusstadt bin, habe ich keine Angst. Man kann sich natürlich nie sicher sein.

Hat die Neonazi-Szene das Sagen?

Tugba: Hier in Neukölln eigentlich nicht. Vielleicht in manchen Vierteln, zum Beispiel im Viktoria-Viertel in Lichtenberg.

Sarah: In der Nähe von Schönefeld haben sie mir auch schon mal „Scheiß Ausländer“ hinterhergerufen, als ich vorbeigeradelt bin. Es ist schade, dass kaum Deutsche bei unserem Youth-Leader-Projekt mitmachen. An unserer Schule sind es nur Jugendliche mit ausländischen Wurzeln. Wir brauchen aber noch viel mehr Leute und mehr Seminare, damit wir die anderen mit unseren Argumenten platt machen können. Die richtig voll stopfen mit Argumenten, das ist mein Ziel, damit die nur noch sagen können. Okay: Ihr scheint Recht zu haben.

Das Gespräch führte Anne-Dore Krohn

Tugba (17), geht auch in die 10. Klasse. Nach einem Jahr Youth-Leader-Training weiß sie viel mehr über Religion als vorher. Bessere Argumente gegen Rechts hat sie jetzt auch.

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