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Wohnungssuche: Tausche Würde gegen Wohnung

Unsere Autorin sucht eine neues Zuhause. Aber das Happy End lässt auf sich warten

Eine Freundin aus München hat vor kurzem in ihre Statuszeile bei Facebook folgende Anzeige kopiert: „Dein niedliches und supergemütliches Zimmerchen wäre sechs Quadratmeter groß und direkt neben dem Flur. Allerdings müsstest Du ab und zu die Frauke durchlassen, damit die in ihr Zimmer kann. Dein Zimmer kostet 396 Euro warm + Heizkosten + Strom + Gas + Kohle. Supipreis, wie wir finden.“ Gleichzeitig kündigte sie an, dass sie nach drei Monaten erfolgloser WG-Suche in ihrem Kinderzimmer wohnen bleibt. „München!“, dachte ich und hatte wenig Angst, dass mir ein ähnliches Schicksal widerfahren wird.

Als die Hausverwaltung den Mietvertrag meiner WG kündigte, freute ich mich sogar auf einen neuen Stadtteil, ein neues Späti-Sortiment und auf diese Flitterwochen mit der neuen Umgebung, wenn sich selbst Einkaufen und Müllwegbringen ein bisschen nach Abenteuer anfühlen. Dass die neue Bleibe schöner, billiger und unbedingt einen Südseitenbalkon haben wird, daran hatte ich keine Zweifel. Die anderen Optimisten, die ich in den darauffolgenden Wochen bei den Wohnungsbesichtigungen sah, offenbar auch nicht. Ein Wochenende lang hatte ich sogar eine Art Clique, die ich bei drei Wohnungsbesichtigungen hintereinander traf und später noch mal im Ritter Butzke. Ich war mir sicher: Würde ich sie wiedersehen wollen, müsste ich nur Anzeigen mit den Reizworten „Kreuzkölln“ und „Altbau“ raussuchen und zu den Besichtigungsterminen gehen. Selten wurde mir so deutlich vorgeführt, wie gleichgeschaltet mein individueller Lebensentwurf ist.

Ich nahm mir vor, mich fortan auf mein Sozialkapital zu verlassen. Wenn ich schon keinen Vermieter von meinen Qualitäten überzeugen konnte, dann doch vielleicht eine bestehende WG. Ich hatte sowieso mehr Lust, Menschen kennenzulernen als Wohnungen. Das Problem: Bei WG-gesucht.de und studenten-wg.de stellten sich meist die Letzteren vor. Verkehrsanbindungen und Parkettböden wurden in aller Ausführlichkeit beschrieben, die Bewohner aber oft nur mit einem Kurzabriss aus Alter, Studiengang oder Beruf, Ansichten über Fleischverzehr und den unvermeidlichen Satz: „Wir sind keine Zweck-WG, aber auch keine Ersatzfamilie.“

Über Melanie wusste ich nur, dass sie einen Kirschbaum vor dem Fenster hat und eine riesige Badewanne. Beim persönlichen Kennenlernen stellte ich fest: Sie hat auch noch Zwetschgenkuchen im Backofen und ein Regal voller Vinyl – und das nicht nur zur Deko. Früher war Melanie DJ, jetzt ist sie Erzieherin. Hier wollte ich wohnen: Melanies Musik kommt nicht aus scheppernden Computer-Boxen, ihre Tassen passen zu den Tellern, ihre Einrichtung ist die Summe jahrelanger Flohmarktausflüge und Designobjekte. Ihr Schlaf-Wach-Rhythmus deckt sich zwar nicht ganz mit meinem, dafür wäre der Einzug bei ihr so, als würde ich einen Aufzug zum erwachsenen Lebensstil nehmen, anstatt der Treppe. Ich präsentierte mich von meiner vernünftigsten Seite und hörte mich zu meiner eigenen Überraschung über die Wichtigkeit eines strukturierten Alltags reden. Zwei Tage später rief Melanie an. Ich soll noch mal vorbeikommen, sie könne sich nicht zwischen zwei Bewerbern entscheiden. Dienstag um 21 Uhr? Das sei ihr zu spät, da ruhe sie sich schon aus. Ich ging kein zweites Mal in die Kirschbaumwohnung, weil mir bewusst wurde, dass ich in ein Lebensgefühl einziehen würde, dem ich noch nicht gewachsen war. Und weil ich mich an meinen Vorsatz erinnerte, dass ich mit meinem Umzug vor allem neue Menschen kennenlernen wollte und nicht neue Wohnungen.

Als ich mich das nächste Mal durch die Anzeigen klickte, ignorierte ich die „25 Quadratmeter mit Dielen mitten im Kiez“, sondern antwortete der „Künstler-WG“, die „Gleichgesinnte“ sucht. Keine Fotos der Wohnung, nicht einmal eine Angabe zum Stadtteil, dafür genaue Beschreibungen der Bewohner. Eine Mode-Studentin, ein Musiker und ein Fotograf hatten ziemlich genaue Vorstellungen davon, wer bei ihnen einziehen darf, und hatten sich drei Monate Zeit genommen, um das perfekte Gegenstück zu casten. Ich zweifelte daran, mich für einen Künstler zu qualifizieren. In der E-Mail gab ich vage an, dass ich schreibe, ließ aber genug Deutungsspielraum, um Kreativität reinzuinterpretieren. Das reichte, ich durfte mich vorstellen. Die Wohnung war halb leer, aber toll, die Bewohner nicht halb so prätentiös wie ihre Anzeige. Bei der Vorstellung wurde mein Geschmack in allen Bereichen der freien Künste überprüft und als verträglich befunden. Ich war in der zweiten Runde. Kochen. Ich ärgerte mich, dass es überhaupt so etwas wie eine zweite Runde gab, ging aber hin. Es wäre ein romantisches Ende. Ich sah mich bereits in eine WG einziehen, die nur aufgrund ihrer Bewohner mein Interesse weckte und nicht aufgrund ihrer perfekten Einrichtung.

Das Happy End klappte leider nicht. Um an eine Bleibe zu komme, musste ich Anna und Cesar, Hanna, Vincent, Lena, Caglar und Frederick kennenlernen. Doch was heißt musste? Ich tat es gern. Die Strategie, nach Menschen Ausschau zu halten, anstatt nach Wohnungsmerkmalen, klappte nicht unbedingt besser, aber sie machte mehr Spaß. Das Problem: Bei Menschen mit netten Anzeigen bewirbt sich ein Haufen netter Menschen. Die Schwierigkeit der Bewohner liegt nicht darin, jemand Passendes zu finden, sondern sich für jemanden zu entscheiden. Caglar und Frederik, die letzte WG, bei der ich vorsprach, formulierten es so: „Es ist eine Qual, nur ein freies Zimmer zu haben.“

Meine Suche hatte bisher sechs neue Freundschaftsanträge auf Facebook zur Folge, eine Einladung zu einer Kunstausstellung, eine zu einer Modenschau und viele leere Weinflaschen. Was mir immer noch fehlte: Ein Dach über dem Kopf. Trotzdem: Es waren schönere Überbleibsel als E-Mails von Immonet im Postfach und ausgedruckte Wohnungsgrundrisse.

Am Ende beschloss ich, mit einer Freundin zusammenzuziehen. Stadtteil: egal. Südseitenbalkon: auch. Eine Lektion habe ich aus der Suche gelernt: Die Menschen sind doch der wichtigste Einrichtungsgegenstand.

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