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World Wide WEG: Wir verstehen uns!

In ihren schlimmsten Träumen befürchtete unsere Autorin, nie ohne ihr Wörterbuch das Haus zu verlassen. Es kam aber anders

Von: Jacqueline Möller

An: werbinich@tagesspiegel de

Betreff: Wir verstehen uns!

Als ich in Berlin meine Sachen packte, war das Wörterbuch das erste, was ich in den Koffer legte. Ich tat es mit einem Gefühl der engen Verbundenheit. In meinen schlimmsten Träumen hatte ich mir vorgestellt, dass ich das Haus meiner Gastfamilie nie ohne den grünen Wälzer unterm Arm verlassen würde – er wäre so was wie mein Schlüssel zur Verständigung. Doch ich hatte mich vollkommen unterschätzt, wie sich schnell herausstellte.

Gleich in meiner ersten Schulstunde wurde ich angeschaut wie ein bunter Elefant. Jemand, der nicht nur seine eigene Muttersprache beherrscht sondern auch eine Fremdsprache, scheint in Vancouver eine echte Sehenswürdigkeit zu sein. Nicht nur meine Mitschüler musterten mich, auch meine Lehrer. Mein Theaterlehrer ließ mich anfangs einen Probetext lesen, um zu testen, ob ich für die Teilnahme an einer Aufführung überhaupt sprachlich befähigt war. Er unterbrach mich nach wenigen Minuten. „Okay, dein Englisch ist wirklich gut“, sagte er. Ich fühlte mich geschmeichelt. Gerade als Austauschschüler hört man solche Komplimente ja gerne. Dennoch war ich zwischendurch immer wieder verwundert, wie selbstverständlich es heutzutage für uns ist, Englisch zu beherrschen – der Siegeszug der amerikanischen Popkultur hat doch vieles bewirkt. Ein kurzer Sprachkurs in England sowie ein paar Extrastunden lernen in den Ferien taten ihr übriges.

Aber nicht nur mein Theaterlehrer war beeindruckt vom „Sprachwesen der Deutschen“, wie er es zu nennen pflegte. Offenbar hatte er schon einige andere Austauschschüler aus Deutschland kennen gelernt, die ebenfalls einen mächtigen Eindruck bei ihm hinterlassen haben. Mein Lehrer für „Kreatives Schreiben“ lobte einen meiner Texte sogar mit den Worten: „Ihr Deutsche überrascht mich doch immer wieder. Selbst Redewendungen bringt ihr an den richtigen Stellen ein!“ Ich blickte ihn irritiert an, weil ich nicht wusste, ob er das ironisch meinte. „Nein, nein. Wirklich“, betonte er. Dann fuhr er mit dem Unterricht fort. Ich starrte

peinlich berührt vor mich hin. Klar übertreiben die Kanadier oft, das ist Teil der landestypischen Höflichkeit. Aber deswegen war ich nun mit hochrotem Kopf den neugierigen Blicken meiner Mitschüler ausgesetzt.

Ich will nicht als Streberin gelten. Am Ende denken meine Klassenkameraden noch, ich hätte nach der Schule nichts zu tun oder keine Hobbys und würde nur Vokabeln pauken und an meiner Aussprache feilen. In einer der nächsten Unterrichtsstunden werde ich mein Wörterbuch mitbringen und es demonstrativ auf meinen Tisch legen. Vielleicht auch mal spontan drin blättern. Einfach so. Andernfalls hätte ich in einer möglichen Notsituation keine Ausrede, die ich mit einem sprachlichen Missverständniss begründen könnte. Und das wäre taktisch unklug.

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