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World Wide WEG: Deutsch, nicht doof!

Ihr Lebenslauf ist vorbildlich, ihre Arbeitskraft kostenlos. Ein Praktikumsplatz müsste leicht zu bekommen sein, dachte unsere Kolumnistin. Wenn da nur nicht die Sache mit der Sprache wäre.

Von: Wlada Kolosowa An: werbinich@tagesspiegel.de Betreff: Deutsch, nicht doof! Ich kündige, allerernstes! Also nicht die Kolumne hier, sondern mein Praktikum. Fünf Monate lang arbeitete ich als ein Bright Young Thing: als ein hoffnungsvolles Talent, ein aufgewecktes junges Ding. Nun will ich keines mehr sein, zumindest beruflich nicht. Ich habe den Namen nicht verdient. Aber der Reihe nach.

Mein Studium in den USA geht so: Drei Tage die Woche Uni, zwei Praktikum. Als ich ankam, nahm ich an, dass einfach wird, einen Arbeitgeber in Washington zu finden. Natürlich habe ich als Ausländerin nicht gleich auf die "Washington Post" geschielt, ich bin ja nicht größenwahnsinnig. Aber mein Lebenslauf ist prall gefüllt und gut gelayoutet, meine Arbeitskraft kostenlos. Sie sollte weggegehn, wie Gratiskugelschreiber bei Fachmessen – auch wenn man die nicht braucht, schaden tun die ja nicht.

Wäre da nicht die Sache mit der Sprache. Der tschechische Schriftsteller Josef Škvorecký sagte mal, dass er beim Schreiben auf Englisch im Schnitt 40 IQ-Punke einbüßt. Recht hat er. Wer gedacht hat, ein hübsches TOEFL-Ergebnis und Serienabende in Originalsprache würden einen zum Muttersprachler mit Akzent machen, hat sich gewaltig geschnitten. (Probe aufs Exempel: Kannst du zweiten Teilsatz auf Englisch übersetzen, ohne bei Leo zu spicken? Na? Na? Na?)

Niemand rief auf meine Bewerbung zurück, außer „Brightest Young Things“, ein Onlinemagazin. BYT schreibt über Musik, Drogen, Mode und schmeißt die lautesten Partys in Washington DC. Meine Rechtschreibung war ihnen egal. Es zählten a) musikalische Vorlieben und b) die Bereitschaft, seine Seele gegen Gästelistenplätze und Promo-CDs einzutauschen. a) wurde als kompatibel mit Redaktionsgeschmack befunden, b) als selbstverständlich vorausgesetzt. Und so wurde ich zum neuesten „hoffnungsvollem Talent“, vorbei an einer Horde Muttersprachler. Das Prädikat sah gut aus auf dem neuen Pressepass und auf meinem Arbeitsshirt. Ich war attestierte Avantgarde.

Dafür wurde aus dem vorgesehenen 20-Stunden Praktikum ein Vollzeitjob. Mein Tag konnte nie genug Stunden haben: vormittags Uni, nachmittags Büro, abends Konzerte, über die ich spätnachts Kritiken schrieb. Durchs Studium schummelte ich mich durch. Zeit für Hausaufgaben und –arbeiten blieb ja keine. Schon gar nicht am Wochenende, da wurde gefeiert. Beruflich natürlich. Ich musste auf allen BYT-Sausen  als menschliche Deko präsent sein, das Attest auf der Brust, und viel Smalltalk machen.

Aber selbst der lief aber nicht immer geschmeidig. Eloquenz auf Englisch, ist wie ein Rennauto im Raumanzug zu steuern. Die Richtung stimmt so ungefähr, aber das Fingerspitzengefühl ist weg. Übersetzte ich meine schöngeformten deutsche Sätze ins Englische, klang ich wie Guido Westerwelle. Versuchte ich von Anfang an, auf Englisch zu denken, kamen nur noch ganz simple Geistesergüsse zustande.

„Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“, sagte der Philosoph Ludwig Wittgenstein. In meiner Welt ist es momentan ziemlich eng. Ryma, überzeugte Mitpraktikantin, versteht nicht, warum ich den Job als „Stadtprinzessin“ kündigen möchte, der einem "alle Türen öffnet". Stimmt, Eintritt habe ich nie zahlen müssen. Aber ich soll ein Brightest Young Thing sein? Mit meinem unterirdischen IQ?

Gestern hat mir die "Washington Post" zugesagt. Okay, nur die Modebeilage davon. Aber wenigstens haben die feste Arbeitszeiten, die mir endlich Zeit lassen für 600 Seiten Amerikanische Außenpolitik und zwei Hausarbeiten. Nächste Woche fange ich an. Solange spreche ich das W beim Partysmalltalk besonders hart, besonders Deutsch. Damit auch jeder weiß: Ich bin nicht doof, ich bin Ausländerin.

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