zum Hauptinhalt

Panorama: Wie im Flug

Die Vogelgrippe kommt näher. Zuerst gab es sie in Asien. Jetzt in Russland. Ist Deutschland vorbereitet?

„Vogelgrippe“ – das klingt zunächst fast harmlos, wie ein leichterer Infekt, der Vögel bedroht. Aber sie kann für den Menschen zu einer ernsthaften Gefahr werden. Bisher gab es die Vogelgrippe in China, Vietnam und anderen asiatischen Ländern. Jetzt kommt die Seuche näher. Zugvögel sollen sie nach Russland und Kasachstan gebracht haben. Das Verbraucherministerium hat alle Bundesländer aufgefordert, die Einfuhr von Vögeln aus diesen Ländern zu stoppen. Das Virus könnte sonst auf dem Handelsweg nach Deutschland eingeschleppt werden. Ob es sich wirklich um den Erreger aus Südostasien handelt, das müssen Tests erst zeigen. Bayern hat bereits mit einem auf alle GUS-Staaten ausgeweiteten Importverbot reagiert. Schon zuvor war die Einfuhr von lebendem Geflügel, Geflügelfleisch und Eiern aus Russland und Kasachstan europaweit verboten gewesen, wie das Ministerium sagte. Auch Geflügelimporte aus Südostasien gibt es seit längerem nicht mehr. „Diese Maßnahmen sind wichtig, damit die Viren nicht in einheimische Geflügelbestände eingeschleppt werden“, sagt Walter Haas, Influenza-Experte im Robert-Koch-Institut (RKI).

Was wäre, wenn deutsche Konsumenten dennoch infiziertes Geflügel essen würden? Beim Erhitzen werden die Viren abgetötet, und erkrankte Hühner stellen nach Auskunft des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) schnell ihre Legetätigkeit ein. Diejenigen Menschen, die bisher in Asien an der Vogelgrippe starben, hatten Kontakt mit lebenden Tieren.

Vögel halten sich nicht an Staatsgrenzen. Die neue Gefahr für einheimisches Geflügel droht jetzt von infizierten Zugvögeln, durch deren Kot sich Artgenossen mit der für sie höchst gefährlichen Grippe anstecken. Bisher konnte jedoch noch kein Mensch, der sich mit einem Vogelvirus infizierte, eine echte Infektionskette bei seinen Mitmenschen in Gang setzen. Eine solche Kette der Ansteckungen von Mensch zu Mensch wäre die Voraussetzung für eine weltweite Epidemie, eine Pandemie. Bei einer solchen seuchenartigen Verbreitung der Infektionskrankheit könnten die Todesopfer in die Millionen gehen – wie bei früheren Grippepandemien. Das Vogelgrippevirus unterscheidet sich jedoch von den Subtypen der Influenza A, die normalerweise die echte Grippe bei Menschen hervorrufen. Seine offizielle Bezeichnung lautet H5N1. Seit dem Vogelgrippe-Ausbruch 1997 in Hongkong, der zur Tötung von einer Million Tiere führte, ist bekannt, dass sich auch Menschen direkt bei Vögeln mit den Subtypen H5 und H7 anstecken können.

Liegt also auch für den Menschen Gefahr in der Luft? Mit der Gefahr eines Vogelgrippe-Ausbruchs beschäftigen sich gleich zwei Studien, die in dieser Woche die beiden renommierten Wissenschaftsmagazine „Nature“ und „Science“ zeitgleich veröffentlichten. Auch wenn es heute noch keine wirkliche Ansteckungskette von Mensch zu Mensch in Gang setzen könne, stelle das Virus eine echte Bedrohung dar, sagen die Forscher um Neil Ferguson vom Londoner Imperial College in „Nature“. „Herauszufinden, welche gesundheitspolitischen Maßnahmen geeignet sein könnten, eine Pandemie in ihrem frühesten Stadium aufzuhalten, hat deshalb höchste Priorität.“ Kleine Veränderungen der Erbinformation machen es nötig, dass in jeder Saison auch der Impfstoff erneut maßgeschneidert werden muss. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Erbinformationen der Viren in viele kleine Segmente unterteilt sind. Infiziert sich ein Lebewesen gleichzeitig mit zwei Subtypen aus der großen „Familie“ der Grippeviren, so können durch Austausch und Kombination der Elemente Viren mit neuartigen Eigenschaften entstehen. Das könnte auch geschehen, wenn Schweine, die für menschliche und Vogelviren anfällig sind, sich gleichzeitig mit beiden infizieren und als „Mischgefäße“ fungieren. Das Ergebnis könnte ein Virus sein, das die normale „menschliche Grippe“ mit der Vogelgrippe kombiniert. „Alles, was den Vogelgrippeviren jetzt noch fehlt, ist die leichte Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch", sagt Haas.

Mit einem Nationalen Influenza-Pandemieplan, der unter Federführung des RKI erarbeitet wurde, versucht man in Deutschland für den Ernstfall vorauszudenken. Dass aus einigen Fällen eine tödliche Epidemie mit den veränderten Vogelgrippeviren würde, ließe sich im Frühstadium nur mit einer Kombination aus Einschränkungen der Mobilität, Quarantänemaßnahmen und der sofortigen Ausgabe von Medikamenten verhindern, die die Wirkung der Viren im Anfangsstadium der Erkrankung eindämmen können. Zu diesem Ergebnis kommen beide Forschergruppen anhand von Computersimulationen. Die „Nature“-Autoren errechnen, dass ein Vorrat von drei Millionen Dosen für eine Abwehr der Seuche im Frühstadium reichen sollte. Eile wäre im Ernstfall auch bei der Produktion des Impfstoffs geboten. In „Nature“ appellierten Experten Ende Mai an die Industrieländer, mehr Mittel für die Entwicklung von neuartigen Grippe-Impfstoffen bereitzustellen. Haas: „Wie schnell wir große Mengen Impfstoff haben, das hängt von den Produktionskapazitäten ab. Und die wiederum könnten steigen, wenn die Angebote für die ganz normale, saisonale Grippe-Impfung besser genutzt würden.“

Adelheid Müller-Lissner

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false