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Panorama: Wilhelm Furtwängler: Am Taktstock gehen

Kaum ein Dirigent, der sich nicht auf ihn beruft, kaum ein Stück des romantisch-klassischen Repertoires, das er nicht zu neuer Lebendigkeit geführt hätte: Wilhelm Furtwängler, der musikalische Leitstern zwischen Wien, Bayreuth und Berlin. Doch was dem 1954 verstorbenen Kapellmeister Weltruhm bescherte, nannte er selber nur "das Unglück mit dem Dirigieren".

Kaum ein Dirigent, der sich nicht auf ihn beruft, kaum ein Stück des romantisch-klassischen Repertoires, das er nicht zu neuer Lebendigkeit geführt hätte: Wilhelm Furtwängler, der musikalische Leitstern zwischen Wien, Bayreuth und Berlin. Doch was dem 1954 verstorbenen Kapellmeister Weltruhm bescherte, nannte er selber nur "das Unglück mit dem Dirigieren". Furtwängler, universell gebildeter Spross einer Professoren-Familie, sah sich als Komponist, dem sein Talent zum Interpretieren Steine in den Weg rollte. So wie Gustav Mahler, der "die Hölle des Theaters" auf sich nahm, komponierte Furtwängler während der Sommerferien. Ein skrupulöser Akt, wie sich an der Entstehungsgeschichte seiner drei Sinfonien zeigt, die alle unvollendet blieben. Sie entstanden in der Zeit nach dem Rückzug von allen Ämtern in Nazi-Deutschland. Zwar dirigierte er weiter die Berliner Philharmoniker, doch einer Propaganda-Tournee durch das besetzte Frankreich widersetzte er sich. Furtwängler wollte nicht Hitlers Dirigent sein und ging doch nicht ins Exil - "aus Sorge um die deutsche Kultur".

Sie spricht aus den riesigen sinfonischen Splittern, die George Alexander Albrecht jetzt neu zusammenfügt hat. Der GMD der Staatskapelle Weimar ist Präsident der Furtwängler-Gesamtausgabe und hat zur Rehabilitation des Komponisten die Sinfonien eins und drei aufgenommen. Ein Gewinn, ist sich Albrecht sicher: "Furtwänglers Melodik hat einen angeborenen Adel. Ihre Natürlichkeit und Fassbarkeit wird seinen Werken auf die Dauer einen sicheren Platz im Herzen des Publikums erobern."

Was nach der Beschreibung eines zweiten Mozart klingt, ist in Wirklichkeit ein Eintauchen in die dunkle Welt des Zweifels. In der Tradition Bruckners versucht Furtwängler noch einmal, der Natur ein "seelisches Geschehen" abzulauschen. Dass er damit der Avantgarde, die er als Interpret durchaus gefördert hat, den Rücken kehrt, versucht er zu begründen: "Die dringlichste Frage ist nicht so sehr: Wie schaffen wir Neues - obwohl diese Forderung immer bestehen bleibt -, als: Wie gelangen wir zu einem Ganzen." Wie sollte das aussehen, im Deutschland Anfang der 40er Jahre?

Es ist das Drama des Komponisten Furtwängler, dass dem Dirigenten Furtwängler die sinfonische Tradition stets überdeutlich vor Augen stand. "Die Sinfonie hat immer etwas Zielstrebiges, das Zielstrebige der Tragödie", stellte der Komponist fest - und so schrieb er auch. Vergrübelt in eine Vielzahl von musikalischen Themen, beschwert von traditionellen Ordnungssystemen versucht Furtwängler, den Puls den Lebens zu erspüren, der bei Bruckner noch die Welt mit dem Kosmos in Einklang zu bringen vermochte. Es misslingt unter gewaltigem Wälzen. So klingt die Musik eines Faust, der sich nicht mit Mephisto einlassen will und sich einredet: "Nicht die Fehlerlosigkeit macht die Bedeutung eines Kunstwerkes aus, sondern die Kraft und Größe der Aussage." In diesem Sinne lässt sich mit Albrechts Einspielungen für wenig Geld viel entdecken. Dass Furtwänglers ohnehin verhangene Weltsicht durch ein milchiges Klangbild noch weiter zuläuft, muss man dabei allerdings in Kauf nehmen.

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