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Neue Materialien reizen Werner Aisslinger. Der Stuhl "Hemp Chair" ist aus Hanf gefertigt. Verheizen und rauchen macht keinen Sinn, denn dem Hanf sind noch Kenaf-Fasern beigemischt –eine Alternative zum Erdöl abhängigen Kunststoff.

© Werner Aisslinger

Künstler und Dienstleister: Ein Stuhl ist Kultur

Der Berliner Designer Werner Aisslinger ist einer der wichtigsten Gestalter Deutschlands. Er gestaltet Möbel, richtet Hotels ein und entdeckt immer wieder neue Materialien.

Es ist morgens um zehn. Werner Aisslinger kommt gerade aus seinem Büro in Singapur zurück. Er hat fast 20 Stunden im Flieger gesessen, war kurz nach Hause, um zu duschen, und sitzt nun wieder in seinem Studio an der Heidestraße nördlich des Hauptbahnhofs. Das helle Loft befindet sich in einem alten Backsteinbau. Zwischen den Schreibtischen stehen Holzskelette halbgepolsterter Sessel, fertige Stühlen und Architektur-Modelle. Ein Blickfang ist das schlangenförmige Regal „Books“, das Werner Aisslinger 2006 entworfen hat. Mit einer Metallkonstruktion werden ausrangierte Bücher zu einer Art Skulptur.

Werner Aisslinger ist einer der einflussreichsten Produktdesigner Deutschlands und arbeitet für internationale Firmen wie Cappellini, Porro und Zanotta. Er gestaltet neben Möbeln auch Hoteleinrichtungen wie für das Hotel Michelberger in Friedrichshain oder Wohnkuben wie den „Loft Cube“. Dieses mobile Haus steht momentan im Garten des Hauses am Waldsee. Aktuell arbeiten Aisslinger und sein Team außerdem noch an dem Inneren und Äußeren eines Krankenwagens, an weiteren Hotels in Wien, Berlin und Zürich, an mehreren Stühlen, einem Kühlschrank, einem Studentenwohnheim, einer Leuchte, einem Lichtschalter, einer Musikbox, einem Sofa, einem kompletten Jugendzimmer und einem Systemmöbel.

„Meine Arbeit als Designer liegt irgendwo zwischen der eines Künstlers und der eines Dienstleisters“, sagt Werner Aisslinger. „Ich versuche, eine gesunde Mischung von Auftragsarbeiten und kreativen Projekten zu machen. Um flexibel zu bleiben und nicht nur kommerzielle Aufträge annehmen zu müssen, arbeite ich viel mit Freelancern zusammen.“

Ein Meisterwerk – die "BeHive"-Leuchte für Foscarini.
Ein Meisterwerk – die "BeHive"-Leuchte für Foscarini.

© Foscarini

Einen Sinn für schöne Formen entwickelte er schon als Kind. Damals interessierte er sich aber mehr für schnittige für Autos als für Möbel. „Ich bin in einer bayrischen Kleinstadt aufgewachsen. Meine Eltern hatten keinen großartigen Sinn für Design, das lernte ich erst später kennen“, sagt er. Nach seinem Studium für Industriedesign an der Hochschule der Künste (HDK) in Berlin versuchte er erst einmal in der Möbelindustrie Fuß zu fassen. Er arbeitete in London bei Jasper Morrison und Ron Arad und für das Studio de Lucchi in Mailand.

In Berlin hatte er so gut wie nie Kunden. „Die Stadt war spannend und aufregend, aber eine Designwüste“, sagt Werner Aisslinger. 2003 rief er den Designmai mit ins Leben. Die Veranstaltungsreihe wird heute unter dem Namen DMY weitergeführt. „Bis heute hat sich viel getan. Es gibt viele gute junge Leute in der Stadt. Sie haben hier für ihre Arbeit den Freiraum, den sie brauchen.“

Ein Faible für Öko

Die Energiespeichereinheit "Yill" (Younicos) sieht aus wie eine futuristische Kabeltrommel und kann viele Bürogeräte mit bis zu 300 Watt Strom beliefern.
Die Energiespeichereinheit "Yill" (Younicos) sieht aus wie eine futuristische Kabeltrommel und kann viele Bürogeräte mit bis zu 300 Watt Strom beliefern.

© Younicos

Vielleicht landen einige Entwürfe dieser jungen Kreativen einmal dort, wo es Werner Aisslingers Stuhl „Juli“ von Cappellini und „Nic“ von Magis stehen: in der Sammlung des Museum of Modern Art in New York. „Anhand von Stühlen kann man Kulturströmungen der Zeitgeschichte nachvollziehen“, sagt er. Die Herausforderung für einen Designer sei es, immer wieder neue Modelle zu erfinden. „Ein Stuhl ist etwas sehr Intimes. Er ist nach der Kleidung die zweite Haut des Menschen, denn sehr viel Lebenszeit verbringen wir auf ihnen sitzend. Außerdem muss dieses kleine Objekt sehr belastbar sein“, sagt Werner Aisslinger.

Wie sein „Hemp Chair“, ein geschwungenes Sitzmöbel aus gepressten Hanf- und Kenaffasern. Das Öko-Material hat Werner Aisslinger bei einem Besuch des Chemiekonzerns BASF entdeckt. „Dieses Material fand ich besonders spannend und zukunftsträchtig“, sagt der Designer. „Schließlich gehen die Erdölvorräte zur Neige und damit wird auch die Herstellung von Kunststoff schwieriger und teurer.“ Herausgekommen ist eine Neuinterpretation des einteiligen Kunststoffstapelstuhls.

Schon in der Vergangenheit hat Werner Aisslinger neue Materialien entwickelt, zum Beispiel das an der Blattstruktur von Pflanzen orientierte Gewebe „Mesh“ oder seine Gel-Möbel aus der „Soft Cell“-Reihe für Cappellini. Dafür verwendete er ein Material, das bislang in Fahrradsatteln und in der Medizin eingesetzt wurde.

Eins seiner neusten Produkte ist zudem die Energiespeichereinheit „Yill“ für die Firma Younicos. Das Gerät, das ein bisschen wie eine futuristische Kabeltrommel aussieht, dient als Speichermedium für Strom. Einmal an der Steckdose aufgeladen, kann es dank einer Lithium-Titan-Batterie die Energie lange speichern und Bürogeräte mit bis zu 300 Watt versorgen. Auf diese Weise spart man in Büros Verteilersteckdosen, doppelte Böden und Decken.

Auf dem Salone del Mobile in Mailand stellte Werner Aisslinger im April 2011 die Leuchte „Beehive“ vor, eine wunderschöne zarte Tischleuchte, deren Form entfernt an einen Bienenkorb erinnert. „Die Herausforderung ist, dass eine Lampe sowohl im ausgeschalteten als auch im leuchtenden Zustand gut aussehen muss“, sagt er über seinen Entwurf für die italienische Firma Foscarini. Mit Licht beschäftigt sich der 47-Jährige schon länger: Begonnen hat er mit einer blauen Lichtskulptur für die Gin-Marke Bombay Sapphire. Es folgte eine passende Lampe zur Regalskulptur „Books“, die skulpturale „Tree Lamp“ und die expetrimentelle „Coral Lamp“, die aus einzelnen Waben besteht.

Und was passiert im Studio Aisslinger in Singapur? Neben seiner Dozentenstelle an der renommiertesten Uni des Landes hat Werner Aisslinger seit vier Jahren ein Büro in der asiatischen Metropole. Er teilt sich ein günstiges „Workloft“ mit einer Architektin. Angestellte gibt es nicht. Wenn er Unterstützung für Projekte braucht, greift er entweder auf lokale Freelancer zurück oder bringt seine Leute aus Berlin mit.

„Meine Idee war mit dem Büro in Singapur auch auf dem asiatischen Markt Fuß zu fassen und Projekte an Land zu ziehen“, sagt er. Der Plan ging auf: Einige Entwürfe konnte er bereits in Asien umsetzen. „Entgegen meiner Erwartungen hofiert man mich dort geradezu“, sagt Werner Aisslinger – und wirkt dabei wirklich ein bisschen ungläubig.

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