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Gaga, oder? Maria Aragon, zehn Jahre alt, auf dem Video, das bei YouTube mehr als 25 Millionen Mal geklickt wurde.

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Youtube-Stars: Klick mich reich!

Immer mehr Kinder lehren die Branche mit ihren eigenen Musikvideos das Fürchten. Eine Zehnjährige singt sich auf Youtube zu Blitzruhm, Lady Gaga wird ihr Fan. Warum Maria Aragons Zeitraffer-Karriere kein Zufall ist.

Es fällt schwer, diesen Auftritt nicht sagenhaft niedlich zu finden. Kleines Mädchen hinter großem Keyboard, mit tiefer Stimme und Mandelaugen singt sie davon, dass man nicht an sich zweifeln müsse, dass man sich so akzeptieren solle, wie man eben geboren wurde. „Ich bin schön auf meine Art, denn Gott macht keine Fehler.“ Wem da nicht das Herz aufgeht, hat vermutlich keins.

Das Mädchen heißt Maria Aragon, ist zehn Jahre alt und Halb-Filipina aus Kanada. Das Lied heißt „Born this way“, sie hat es nicht selbst geschrieben, es gehört Lady Gaga. Marias ältere Schwester lud das Video auf der Internetplattform Youtube hoch und verschickte den Link an Freunde und Verwandte. Sie konnte nicht ahnen, dass es bald mehr als 25 Millionen mal angeklickt werden würde.

Der „Toronto Star“ preist Maria Aragon als Riesentalent, die „L.A. Times“ nennt sie eine „Sensation“. Als Lady Gaga von dem Amateurvideo erfuhr, schaute sie es an und weinte vor Gerührtheit. Inzwischen haben beide gemeinsam auf der Bühne gestanden, bei einem Gaga-Konzert in Toronto sangen sie „Born this way“ im Duett, die Zehnjährige saß auf dem Schoß des Popstars, das Publikum kreischte. Lady Gagas Managerin prophezeit Maria bereits allerbeste Chancen auf eine lange Karriere in der Musikindustrie – angesichts dieser Begabung und des enormen Bekanntheitsgrads.

Starwerdung durchs Internet, das gab es in den letzten Jahren mehrfach. Neu ist, dass den Blitz-Berühmtheiten jetzt reale Karrieren zugetraut werden. Als Prototyp gilt Justin Bieber, der inzwischen 17-jährige Kanadier, der ebenfalls als Youtube-Phänomen begann und inzwischen zum Großverdiener der Musikbranche herangewachsen ist. Nächsten Samstag tritt er in der Berliner O2-World auf, das Konzert ist längst ausverkauft.

Rebecca Black, Kalifornierin, 13 Jahre alt.
Rebecca Black, Kalifornierin, 13 Jahre alt.

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Und noch eine andere ist bereits dick im Geschäft. Rebecca Black, 13, Vorstadtkind aus Kalifornien, singt ebenfalls auf Youtube. Im Vergleich zu Marias Heimvideo wirkt ihres geradezu professionell, die Eltern gaben dafür 2000 Dollar aus. Wochenlang interessierte sich keiner für das Werk, dann plötzlich wurde die Netzgemeinde aufmerksam. Jetzt hat das Video 30 Millionen Klicks, der Song verkauft sich auf i-tunes, hat es in den USA und Großbritannien in die Charts geschafft, Rebecca Black wird in die wichtigsten Talkshows geladen. Ein bisschen glamourös und ein bisschen erschöpfend fühle sich ihr neues Leben an, hat Black neulich erklärt. Da hatte sie gerade sieben Interviews, ein Fotoshooting und ein Treffen mit Fans hinter sich gebracht.

Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden jüngsten Blitzkarrieren. Anders als die Gaga-Imitatorin wurde Black zunächst nicht für ihre großartige Stimme gelobt, sondern im Gegenteil mit Häme überschüttet – vor allem wegen des erschreckend einfältigen Liedtextes: In ihrem Hit „Friday“ besingt Black die banalen Wochenendvorbereitungen eines Teenagers, vom Frühstückmachen übers Treppenstufenlaufen bis zum Warten auf den Bus. „Morgen ist Samstag. Danach kommt der Sonntag“, lautet noch eine der besseren Zeilen. So wurde das Video dann auch ausgerechnet durch eine Online-Satireseite bekannt gemacht, die gehässig über die unbedarfte 13-Jährige berichtete und so einen Schneeballeffekt auslöste. Die Kritiken sind vernichtend: Der Song sei so mies, dass sich sogar Gehörlose darüber beschwerten. Die Stimme so übel, dass man sie nie wieder aus dem Kopf bekomme. Reporter machen sich einen Spaß daraus und lesen Rebecca Black solche Kommentare vor, die Kameras filmen, wie Black traurig dreinschaut. Dabei müsste die doch bloß sagen, wie es ist: Der Anti-Ruhm ist bares Geld wert.

Für die krisengeschüttelte Musikindustrie sind die Blitzkarrieren aus dem Internet zugleich Segen und Fluch. Einerseits können Plattenfirmen junge Künstler unter Vertrag nehmen, die bereits hohe Bekanntheitswerte besitzen, das spart Werbekosten. Außerdem kennen die Ministars keine Agenten, die sie davor bewahren, nach allen Branchenregeln über den Tisch gezogen zu werden. So günstige Voraussetzungen bieten sonst nur Teilnehmer von Castingshows, aber da wollen die Fernsehsender mitverdienen.

Der große Nachteil des Phänomens Internetruhm: Der Musikbranche gelingt es nicht, solche Karrieren selbst zu initiieren oder zu steuern. Denn das Schwarmverhalten der Internetnutzer ist kaum vorhersehbar, beruht auf persönlichen Kontakten und Empfehlungen. Bestes Beispiel für die Souveränität der Netzgemeinde ist die Blitzkarriere des übergewichtigen Hawaiianers Israel Kamakawiwòole. Dessen Ukulele-Version von „Over the rainbow“ stürmte 2010 weltweit die Charts. Eine Plattenfirma hätte niemals Geld ausgegeben, um Kamakawiwòole als Popstar aufzubauen: Der Mann ist seit 13 Jahren tot. Der Echo für den bestverkauften Hit des Jahres wurde ihm am Donnerstag trotzdem verliehen.

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