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Panorama: "Zärtlichkeit" und "Heroes": Tief drunten, in den Katakomben der Seele

"Zärtlichkeit" und "Heroes" - die Titel seiner letzten Romane sind meisterhaft ironisch: In Wahrheit sind die Allgegenwart des Bösen, der Missbrauch von Macht und Autorität und die Verführbarkeit des Menschen die Themen des großen realistischen Jugendbuchautors Robert Cormier, der am 20. November vergangenen Jahres im Alter von 75 Jahren in Boston gestorben ist.

"Zärtlichkeit" und "Heroes" - die Titel seiner letzten Romane sind meisterhaft ironisch: In Wahrheit sind die Allgegenwart des Bösen, der Missbrauch von Macht und Autorität und die Verführbarkeit des Menschen die Themen des großen realistischen Jugendbuchautors Robert Cormier, der am 20. November vergangenen Jahres im Alter von 75 Jahren in Boston gestorben ist. Gerade als praktizierendem Katholiken ging es ihm darum, seine Leser schonungslos mit Fragen zu konfrontieren, die das Wertebewusstsein schärfen: Ein Happy End gibt es bei ihm nie.

Realismus bis zum Reißerischen

Robert Cormier ist ein Meister der Form: Konstruktion und Spannungsbogen seiner Jugendbuchthriller sind genau ausgeklügelt und perfekt aufeinander abgestimmt. Sein Stil ist erkennbar durch seine journalistische Tätigkeit als Reporter und Redakteur geprägt, die er, bevor er Schriftsteller wurde, dreißig Jahre lang ausübte. Sein nüchterner, schonungsloser Realismus - manchmal hart an der Grenze zum Reißerischen - führt dem Leser die vielfältigen Formen psychischer und physischer Gewalt direkt vor Augen.

Cormier, der sich zunächst als Erwachsenenbuchautor versuchte, fiel der Wechsel zum Jugendbuch zunächst nicht leicht: Doch schon bald erkannte er, wie prägend die Zeit als Teenager für das Leben als Erwachsener ist, und er widmete sich seinem Beruf mit großer Hingabe. Der Durchbruch gelang ihm 1974 in Amerika mit dem "Schokoladenkrieg": Mittlerweile ist der schmale Roman, in dem ein einzelner Schüler erfahren muss, dass es unmöglich ist, die Korruption und Totalität der herrschenden Gruppe zu überwinden, in den USA fester Bestandteil der Schullektüre.

Cormier hat 14 Romane, eine Sammlung mit Kurzgeschichten und eine mit Zeitungskolumnen veröffentlicht. In Deutschland sind die Kurzgeschichten und zehn Romane erschienen, zunächst bei Ravensburger, dann bei Sauerländer und nunmehr bei Fischer. Sie haben immer wieder zu kontroversen Diskussionen über die Frage geführt, wieviel grausame Realität man einem Jugendlichen im Buch zumuten kann ... Hierzulande hat Cormier eine stabile Fangemeinde, er wird auch von Erwachsenen gerne gelesen, genießt aber nicht denselben Stellenwert wie in den USA, wo man ihn als wegweisenden Autor des realistischen Jugendbuchs nicht übersehen kann.

Dabei belegt gerade sein letzter großer Roman, dass sein psychologischer Blick über die Jahre noch tiefer und nuancierter, seine Sprache noch ausgefeilter und seine Dramatik noch packender geworden ist: In "Zärtlichkeit" gelingt ihm das Kunststück, einen jugendlichen Serienmörder zu schildern, ohne ihn zu verdammen, aber auch ohne ihn zu entschuldigen.

Die Komposition des Romans ist sehr ausgewogen, ohne im mindesten konstruiert zu wirken: Mit zunehmendem Tempo und immer im Wechsel von Jungen- und Mädchenperspektive werden die Geschichten des siebzehnjährigen Eric, der auf der triebhaften Suche nach "Zärtlichkeit" fünf junge Frauen mit langem dunklem Haar umbringt, und der blonden, fünfzehnjährigen Lori, die auf der Suche nach echter Zärtlichkeit und Liebe von zu Hause abgehauen ist, tragisch miteinander verzahnt.

Der Roman "Zärtlichkeit" führt bis tief ins Innerste der Seele, wo Sehnsucht, Schmerz und Gewalt ineinander übergehen. Deutlich wird letzten Endes, - typisch für diesen Autor - dass ein Massenmörder zum Schutz der Allgemeinheit zwar hinter Schloss und Riegel gehört, dies aber dennoch keine Lösung sein kann.

Was ist schon ein Held

Gegen diesen fulminanten Thriller fällt "Heroes" ab: Der Roman, in dem der achtzehnjährige Francis, der mit halb zerschossenem Gesicht aus dem Zweiten Weltkrieg in seine Heimatstadt zurückkommt, lernt, was es nicht heißt, ein Held zu sein, ist eindimensionaler erzählt, und die Auflösung der Spannung einigermaßen vorhersehbar.

Interessanter als die moralische Implikation, dass es keine Helden, sondern nur Menschen gibt, ist die Frage, ob eine schlechte Tat im Leben eines Menschen alle seine guten Taten zunichte macht.

Stephanie von Selchow

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