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Panorama: Zeugnisse: Arbeitswelt: "Er bewies stets Einfühlungsvermögen"

Dachte man doch glatt, dass es nach Ende der Schulzeit mit den Zensuren vorbei wäre. Falsch gedacht.

Dachte man doch glatt, dass es nach Ende der Schulzeit mit den Zensuren vorbei wäre. Falsch gedacht. Arbeitszeugnisse sind ein solch integraler Bestandteil der Berufswelt, dass sich ein ganz eigenes Universum durch Gerichtsurteile, strikten Formulierungsregeln und Entschlüsslungswissenschaft um sie aufgebaut hat.

Im Grunde ist das Arbeitszeugnis eine Art Empfehlung, ausgestellt, wenn ein Arbeitsverhältnis endet. Noten werden keine verteilt, ein knapper schriftlicher Kommentar, der der Wahrheit entsprechen, sowie einen negativen Ton vermeiden sollte, ersetzt sie. Im Jahre 1963 wurde nämlich das so genannte Wohlwollensurteil am Bundesgerichtshof ausgesprochen. Der "wohlwollende Maßstab eines verständnisvollen Arbeitgebers" sollte dem Arbeitnehmer "das berufliche Fortkommen nicht ungerechtfertigt erschweren." Allerdings kann der oberflächlich vorteilhafte Ton trügen, denn wenn das Urteil ehrlich sein will - was ihm gesetzlich vorgeschrieben ist - kann es nicht undiskriminierend positiv sein. So entstanden die berüchtigten Formulierungen, die Kritik einfach verschlüsselten.

"Der Arbeitnehmer trug durch seine Geselligkeit zur Verbesserung des Betriebsklimas bei" , solch eine Beurteilung signalisiert dann plötzlich "Vorsicht, der Mann ist Alkoholiker.

"Er bewies stets Einfühlungsvermögen für die Belange der Gesellschaft" , könnte bedeuten, dass da jemand stark an Sex mit Kolleginnen interessiert war.

"War immer sehr pünktlich" , liest sich zwar nett, sind aber solche Banalitäten Gegenstand des Zeugnisses, spricht das nicht für das Leistungsvermögen.

Arbeit die "mit großem Fleiß und Interesse" erledigt wurde, bedeutet nicht mehr als erfolglosen Eifer.

"Er hat immer alle Arbeiten ordnungsgemäß erledigt" , womöglich mangelt es an Eigeninitiative.

Mittlerweile ist kaum noch eine derart verschlüsselte Botschaft ein echtes Geheimnis. Fatal aber, wenn der Kandidat sich am Ende wirklich um das Betriebsklima verdient gemacht hat. Dann ist die Wohlwollensphilosophie endgültig in ihr Gegenteil umgeschlagen. Auch unter Personalchefs ist der Aussagewert des Zeugnisses umstritten. Sabine Metzler, Pressesprecherin bei Siemens in Berlin, sagt, "die inflationäre Benutzung aller möglichen Formulierungen hat dazu geführt, dass es bei der Personalauswahl im Zweifel immer wichtiger ist, den Bewerber persönlich kennen zu lernen."

\"Der Arbeitnehmer trug durch seine Geselligkeit zu

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