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Panorama: Zu Staub zerfallen

Von Birgit Cerha Die Augen weit aufgerissen, am ganzen Körper zitternd, steht der zwölfjährige Mohsen vor den staubigen Trümmern, die einst sein geborgenes Heim gebildet hatten. Das Dorf Changireh, 120 Kilometer von der Provinzhauptstadt Qazvin im Nordwesten Irans entfernt, wurde bei einem Erdbeben der Stärke sechs auf der nach oben offenen Richterskala zerstört.

Von Birgit Cerha

Die Augen weit aufgerissen, am ganzen Körper zitternd, steht der zwölfjährige Mohsen vor den staubigen Trümmern, die einst sein geborgenes Heim gebildet hatten. Das Dorf Changireh, 120 Kilometer von der Provinzhauptstadt Qazvin im Nordwesten Irans entfernt, wurde bei einem Erdbeben der Stärke sechs auf der nach oben offenen Richterskala zerstört. Mohsen kam mit dem Leben davon, weil er sich gerade auf den Schulweg begeben hatte, als die vernichtenden Erdstöße einsetzten. Seine ganze Familie, Eltern, Geschwister und Großmutter, wurde von den Trümmern erschlagen. „Meine Frau und ich waren allein, als die Katastrophe hereinbrach“, erzählt der Nachbar Najafqoli.

„Wir stürzten ins Freie und sahen nichts als Staub an der Stelle, wo einst unser Dorf lag." Maryam, ein Teenager, die ihre Mutter, Schwester und zwei Nichten im Dorf Esmailabad verlor, berichtet mit zitternder Stimme: „Die Erde begann zu beben, und wir wollten davonlaufen, aber wir konnten nicht.“ Das Epizentrum lag nahe der Stadt Avaj, 100 km südwestlich von Qazvin. Nach Angaben des Innenministeriums vom Sonntag dürften bei dem Beben etwa 230 Menschen ums Leben gekommen sein. Das sind weniger als ursprünglich befürchtet.

Genaue Zahlen sind allerdings noch nicht bekannt. Neben Qazvin waren auch die Provinzen Hamedan, Tehetan, das nördliche Gilan und Ardebil, sowie Zanjan und Kordestan betroffen. Etwa tausend Menschen erlitten nach offiziellen Angaben Verletzungen. Insgesamt wurden in der Provinz Qazvin 126 Dörfer schwer beschädigt und mindestens ein halbes Dutzend total zerstört. Die Zahl der Obdachlosen wird auf etwa 12 000 geschätzt. Bilder totaler Verwüstung flimmern seit Samstagabend über das staatliche Fernsehen. Mit bloßen Händen graben Dorfbewohner in den Trümmern, in der Hoffnung irgendwo noch Leben zu finden. Man sieht verzweifelte Menschen im Staub ihrer zusammengestürzten Häuser kniend, die persönlichen Habseligkeiten in der Umgebung verstreut. Mehr als zwei Dutzend schwerer Nachbeben halten die Bewohner der betroffenen Regionen in Angst und Schrecken. Ein Mitarbeiter des iranischen Erdbebeninstituts, der ungenannt bleiben will, gab Sonntag an, man hätte die Behörden über die Gefahr schwerer Nachbeben informiert, doch Evakuierungen von Häusern seien allzu langsam durchgeführt worden.

Hilfsteams des iranischen Roten Halbmondes stehen, mit Hunden ausgerüstet, im Großeinsatz. Doch schon in den ersten Stunden zeigte sich ein schwerer Mangel an Hilfsgütern. Es fehlte an Zelten für die große Zahl der Obdachlosen. Die Zahl der Toten dürfte vor allem deshalb weniger hoch als befürchtet liegen, da viele Menschen zum Zeitpunkt des Erdbebens bei der Arbeit auf dem Feld, in Weingärten oder auf dem Schulweg waren und nicht in ihren kleinen Heimen schliefen. In der Vergangenheit lag die Zahl der Opfer bei Erdbeben von ähnlicher Stärke weit höher, wenn sich die Katastrophe in der Nacht ereignete. Wiewohl der Iran zu einer der erdbebengefährdetsten Regionen der Welt zählt, sind die meisten Häuser nicht für schwere Erschütterungen konstruiert.

Erdbeben gehören zu den Katastrophen, die das Gebiet des ehemaligen Persiens regelmäßig heimsuchen. Bei dem schlimmsten Beben im heutigen Iran wurden im Juni 1990 sogar rund 40 000 Menschen getötet. Grund für die häufigen Erdbeben ist die Bewegung des indischen Subkontinents in Richtung Eurasien. Während der Subkontinent vor rund 70 Millionen Jahren noch gut 7000 Kilometer entfernt war, näherte er sich im Laufe der Jahrtausende zentimeterweise der nördlich gelegenen Landmasse. Nach etwa 30 Millionen Jahren stießen die tektonischen Platten schließlich zusammen. Seitdem hat sich die Bewegung des Subkontinents von zehn Zentimetern pro Jahr auf fünf Zentimeter verlangsamt. Dieser Druck reicht jedoch aus, um von Zeit zu Zeit Erdstöße von großer Gewalt auszulösen. Das eindrucksvollste Ergebnis dieses Phänomens ist die Formation eines riesigen Gebirges, das von den Tälern Indiens bis zum Himalaya reicht.

Informationen zu Erdbeben:

http://wwwneic.cr.usgs.gov/

(Achtung: kein Punkt hinter „www“)

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