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Beschlagnahmt. Die Arbeiterbank des ADGB am Märkischen Ufer in Berlin verwaltete Gelder der Gewerkschaften. SA und SS besetzten das Gebäude am 2. Mai

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2. Mai 1933: Als die Nazis die Gewerkschaften zerschlugen

Vor 80 Jahren schalteten die Nationalsozialisten die Gewerkschaften gleich. Funktionäre passten sich an – oder gingen in den Untergrund.

„Am 2. Mai um zehn wurde das Bundeshaus wie die übrigen Häuser der Gewerkschaft besetzt. Ein großer Teil meiner Kollegen wurde verhaftet.“ So erinnerte sich Lothar Erdmann an den Tag, an dem die Nationalsozialisten die Gewerkschaften zerschlugen. Erdmann war Chefredakteur der Gewerkschaftszeitung „Die Arbeit“. Mitglieder der Sturmabteilung (SA) besetzten am 2. Mai die Zentrale des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in der Berliner Wallstraße. ADGB-Chef Theodor Leipart und die Vorstandsmitglieder Wilhelm Leuschner und Hermann Schlimme wurden verhaftet. Am heutigen Donnerstag erinnern DGB-Chef Michael Sommer und Bundespräsident Joachim Gauck bei einer Gedenkveranstaltung im Deutschen Historischen Museum an die Zerschlagung der Gewerkschaften vor 80 Jahren.

Zu Beginn der 30er Jahre waren Gewerkschaften tief im gesellschaftlichen Leben verankert. Sie bauten Wohnungen, wie zum Beispiel die Berliner Hufeisensiedlung, und waren mit ihren Zeitungen Teil der Presselandschaft in der Weimarer Republik. In Sportvereinen konnten die Arbeiter ihre Freizeit verbringen, gewerkschaftseigene Banken versorgten sie mit Geld. Auch die Banken standen am 2. Mai 1933 im Visier der Nationalsozialisten, sie wurden besetzt und geschlossen. Die Aktionen der neuen Machthaber beschränkten sich dabei nicht auf den ADGB und Berlin: Im ganzen Land waren wichtige gewerkschaftliche Einrichtungen betroffen.

Noch einen Tag zuvor hatte sich der ADGB am „Tag der nationalen Arbeit“ beteiligt. Die Nationalsozialisten hatten den 1. Mai zum Arbeiterfeiertag mit Lohnfortzahlung erklärt – unter wohlwollender Zustimmung vieler Gewerkschafter. Gleichzeitig bereitete das nationalsozialistische „Aktionskomitee zum Schutz der deutschen Arbeit“ die Gleichschaltung der Gewerkschaften vor.

Anfang der 30er Jahre waren die Gewerkschaften in drei große Verbände unterteilt. Der ADGB versammelte die sozialdemokratisch ausgerichteten Organisationen. Die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine galten als arbeitgebernah und waren der kleinste der Verbünde. Die christlich geprägten Arbeitnehmerorganisationen waren im Deutschen Gewerkschaftsbund zusammengeschlossen. Ungeachtet ihrer eher nationalen Ausrichtung wurden auch sie nach dem 2. Mai in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) integriert.

Für Michael Sommer, Chef des heutigen Gewerkschaftsdachverbands DGB, ist eben dieser Einheitsverband eine Konsequenz der zerstrittenen Gewerkschaften in den frühen 30er Jahren. „Auch wenn sich im Rückblick die Frage stellt, ob die Gewerkschaften alleine nicht zu schwach gewesen seien, gegen das NS-Regime erfolgreichen Widerstand zu leisten, so war doch Eines klar“, schreibt er im Vorwort zu einem aktuell erschienenen historischen Stadtführer. „Die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung in unterschiedliche weltanschauliche und religiöse Richtungsgewerkschaften hatte ihre Widerstandskraft erheblich geschwächt.“ Die fehlende Einheit der Gewerkschaftsbünde ist nach Einschätzung des Historikers Martin Lücke jedoch nicht der Grund für mangelnden Widerstand. Auch damals habe es Initiativen der Verbände untereinander gegeben – vor der Zerschlagung und auch später im Untergrund. Gemeinsam mit seinen Studenten hat der FU-Professor für den DGB die Internetseite zerschlagung-gewerkschaften1933.de erarbeitet und gestaltet.

Unter den führenden Gewerkschaftern habe es vor 1933 keinen gegeben, der mit der NSDAP sympathisierte, sagt Lücke. „Die waren eigentlich alle klassische Demokraten der Weimarer Republik – jedoch in der ganzen Bandbreite des politischen Spektrums der Republik.“ Dennoch reagierten sie unterschiedlich auf die Machtübernahme der Nazis. Während die einen sich strikt gegen die neuen Machthaber stellten, glaubten andere, durch Annäherung die Existenz der Gewerkschaften sichern zu können.

Theodor Leipart etwa verhandelte als Vorsitzender des ADGB nach der Machtübernahme Adolf Hitlers mit der NS-Betriebszellenorganisation. Bereits im Februar 1933 erklärte sich der ADGB als politisch neutral gegenüber den Nationalsozialisten. Von den Sozialdemokraten distanzierte sich die ADGB-Führung und forderte im Gegenzug, dass die von Hitler geführte Regierung gezielt gegen die Arbeitslosigkeit vorgehen müsse.

Der Publizist Lothar Erdmann veröffentlichte in der letzten Ausgabe von „Die Arbeit“ – drei Tage vor der Zerschlagung – den Artikel „Nation, Gewerkschaften und Sozialisten“. Zwar grenzte er sich vom Antisemitismus und dem Rassenwahn der Nazis ab. Gleichzeitig lobte er auch die „Größe der Leistung Hitlers“, die „keinen Raum für Kritik an dieser selbst“ lasse. Die Nazis bekämpften Erdmann dennoch als Feind und ermordeten ihn 1939 im KZ Sachsenhausen.

In welchem Umfang Gewerkschafter in der Nazizeit zu Mittätern des Regimes wurden oder ob sie eher Widerstand leisteten, lässt sich nach Lückes Aussage nicht eindeutig bewerten. Leipart etwa leistete keinen Widerstand gegen das NS-Regime. Viele ehemalige Gewerkschafter engagierten sich jedoch im Untergrund. Wilhelm Leuschner knüpfte ein Netz von Widerstandsgruppen. Als Tarnung diente ihm eine Fabrik für Zapfhähne in Berlin-Kreuzberg, die er 1936 kaufte.

Die vielfältigen Handelsbeziehungen ermöglichten ihm unter anderem Kontakte zu Jakob Kaiser, ehemaliger Geschäftsführer der christlichen Gewerkschaften und späteres Gründungsmitglied der CDU. Als Mitglied der „Illegalen Reichsleitung“, bestehend aus ehemaligen Gewerkschaftern, baute Leuschner auch Beziehungen zu Carl Friedrich Goerdeler und den Hitler-Attentätern vom 20. Juli 1944 auf. Nach dem gescheiterten Anschlag wurde er verhaftet – und am 29. September 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

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