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Noch bestehen bei Löhnen und Renten Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland. Drei Experten erklären, ob das so bleibt.

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33 Jahre nach der Wiedervereinigung: Wann gleichen sich die Löhne in Ost und West an?

Auch mehr als drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung hat das Lohn- und Rentenniveau in Ostdeutschland noch nicht mit dem im Westen gleichgezogen. Wann werden sich die Lebensverhältnisse angleichen? Drei Experten geben Antworten.

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Ob Wirtschaftskraft, Löhne oder Lebensverhältnisse – 33 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung haben sich die wirtschaftlichen Bedingungen in Ost- und Westdeutschland in vielen Bereichen angenähert. Nach wie vor gibt es aber weiterhin strukturelle Unterschiede zwischen beiden Landesteilen.

So lag etwa – laut dem Bericht zum Stand der Deutschen Einheit die wirtschaftliche Produktivität, gemessen am Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, 2022 in Ostdeutschland bei 79 Prozent des Wertes im Westen. Und auch wenn sich das Lohnniveau in den neuen Bundesländern, dem der westdeutschen Länder angenähert hat, verdienen Arbeitnehmer in Ostdeutschland im Schnitt 86 Prozent von dem, was ihre Kollegen in Westdeutschland pro Jahr brutto verdienen.

Wann werden sich die wirtschaftlichen Verhältnisse beider Landesteile vollständig angleichen?

In dem Format „3 auf 1“ fragen wir drei Expertinnen und Experten nach ihrer Einschätzung. Alle Folgen von „3 auf 1“ können Sie hier nachlesen.


Vollständige Lohngleichheit ist unrealistisch

2022 lagen die Einkommen in Ostdeutschland (ohne Berlin) bei knapp 80 Prozent des Westniveaus. Der Fachkräftemangel und Ansiedlungen wie Tesla, Chip- und Batteriewerke treiben die Löhne. Betrachtet man aber die Wirtschaftsstruktur in Ost und West, sind 100 Prozent Westlohn kaum realistisch.

Grund sind unterschiedliche Firmengrößen und Strukturen. Im Osten seltene Konzernzentralen zahlen am besten. Wertschöpfung und gut bezahlte Jobs konzentrieren sich auf Großstädte, die Siedlungsdichte ist im Osten aber geringer.

Auch in Westdeutschland gibt es deshalb Unterschiede: Im Süden ist das Einkommen 15 Prozent höher als im Norden. Realistisches Ziel für die Bruttolöhne dürften 85 bis 90 Prozent Westniveau sein. Netto real sieht es besser aus: Aufgrund von Steuerprogression und hohen Kosten in Westmetropolen könnten die Realeinkommen bald 95 Prozent des Westdurchschnitts erreichen. Die Renten folgen mit etwas Abstand den Einkommen. Aufgrund der langjährigen Höhergewichtung der Ost-Beitragszahlungen sind die Renten dort aber höher, als aufgrund der einkommensabhängigen Beiträge zu erwarten ist.


Arbeitgeber für Lohnhöhe entscheidend

Für die individuelle Lohnhöhe spielt es mittlerweile kaum noch eine Rolle, ob die Person im Osten oder Westen der Republik beschäftigt ist. Viel wichtiger ist es, ob der Arbeitgeber ein Industrie- oder Dienstleistungsbetrieb ist, welche Unternehmensgröße er hat und ob er in einer großen Stadt oder auf dem flachen Land beheimatet ist.

Solange es Unterschiede in diesen Strukturen gibt, wird es auch Differenzen in den durchschnittlichen Lohnhöhen geben. In den unteren Lohngruppen wirkt allerdings der bundeseinheitliche gesetzliche Mindestlohn nivellierend. Auch bei den Rentenzahlungen wurde vor kurzem die Anpassung der individuellen Rechenwerte verkündet.

Im Durchschnitt werden sich die Rentenhöhen in Ost und West dennoch weiter unterscheiden, weil Dauer und Höhe der Einzahlungen abweichen. So verringert die hohe Erwerbsbeteiligung in der DDR bis heute die Gefahr von Altersarmut. Für den Wohlstand im Alter entscheidend sind in vielen Fällen aber die Vermögen.

Dass die Bürger im Osten weniger Vermögen aufbauen konnten, wird noch lange in den mittleren und oberen Segmenten der Einkommensverteilung zu Unterschieden führen. Zumal diese von Generation zu Generation vererbt werden.


Viel wichtiger als das Lohnniveau sind die Industrien der Zukunft

1996 betrug der durchschnittliche Bruttolohn in Ostdeutschland rund 77 Prozent dessen, was Menschen im Westen verdienten. 2020 lag das Bruttolohnniveau, laut Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung bereits bei rund 86 Prozent von dem Level Westdeutschlands. Das zeigt: Trotz schwieriger Ausgangslage haben die neuen Bundesländer beachtliche Fortschritte erzielt.

Dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse noch nicht vollständig angeglichen haben, hat mehrere Gründe: Zum einen fällt die Produktivität der neuen Bundesländer geringer aus, auch wenn viele ostdeutsche Unternehmen stark aufgeholt haben. Zum anderen ist die Tarifbindung in Ostdeutschland weniger ausgeprägt, was sich ebenfalls negativ auf das Lohnniveau auswirkt.

Real dürften die Unterschiede aber geringer ausfallen, als es den Anschein hat: So profitieren die Menschen in Ostdeutschland von geringeren Lebenshaltungskosten, wie zum Beispiel niedrigeren Mieten. Zudem dürfte der Fachkräftemangel dazu führen, dass zumindest in einigen Branchen die Löhne weiter steigen.

Längst verläuft soziale Ungleichheit in Deutschland nicht anhand von zwei Himmelsrichtungen. Statt sich also mit westdeutschen Schlüsselindustrien zu messen und allein auf das Lohngefälle zu schauen, sollten sich die ostdeutschen Bundesländer auf ihre Stärken besinnen und versuchen in den Wirtschaftszweigen der Zukunft vorne mitzuspielen. Neu entstandene Chipfabriken in Dresden und die geplante Halbleiterfertigung in Magdeburg sind Beispiele, die Hoffnung machen.

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