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Am Staat vorbei. Schwarzarbeit ist auf dem Bau immer noch weit verbreitet.

© dpa

Schattenwirtschaft in Deutschland: 330 Milliarden Euro fließen am Fiskus vorbei

Laut Schätzungen entgehen dem Staat dieses Jahr wieder Milliarden durch Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung - obwohl die Schattenwirtschaft insgesamt abnimmt.

Der Staat darf sich freuen. Nach neuen Berechnungen des Linzer Ökonomen Friedrich Schneider und des Tübinger Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) werden dem deutschen Fiskus in diesem Jahr durch Schattenwirtschaft „nur“ 330 Milliarden Euro an Wertschöpfung entgehen – rund sechs Milliarden weniger als im Vorjahr. Unter dem Begriff subsummieren Wissenschaftler zum einen Schwarzarbeit, also all jene Tätigkeiten, die zwar ihrem Wesen nach legal sind, aber vom Anbieter ohne Rechnung und somit ohne Steuer- und Sozialabgaben am Staat vorbei erbracht werden. Bau- und Handwerkerarbeiten fallen ebenso in diese Kategorie wie Babysitterdienste, Haushaltshilfe, Reparaturen an Kraftfahrzeugen oder Nachhilfeunterricht. Der andere Zweig der Schattenwirtschaft umfasst die Einkünfte aus illegalen Geschäften wie Drogen-, Waffen- oder Menschenhandel.

Die Schattenwirtschaft hierzulande macht rund zehn Prozent des Bruttoinlandproduktes aus

Zusammengenommen macht die Schattenwirtschaft nach den Schätzungen der Experten 2017 insgesamt 10,4 Prozent, also etwa ein Zehntel des offiziellen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus – es ist der niedrigste Stand seit mehr als 14 Jahren. „Bessere Beschäftigungsmöglichkeiten in der offiziellen Wirtschaft führen dazu, dass weniger Personen ihre Arbeitskraft in der Schattenwirtschaft anbieten“, schreiben Schneider und das IAW in ihrer Analyse. Rund die Hälfte des erwarteten Rückgangs sei dabei auf die weiterhin solide wirtschaftliche Lage in Deutschland zurückzuführen. Einen etwas geringeren Einfluss sollen demnach steuerliche Entlastungen haben, die in der Bundesrepublik seit 2017 greifen. Dabei handelt es sich um eine Anhebung des individuellen Grundfreibetrags um 168 Euro auf 8820 Euro pro Person. Dazu kommt eine Verschiebung des gesamten Steuertarifs zum Ausgleich der sogenannten kalten Progression um 0,73 Prozent. Als kalte Progression bezeichnet man die Steuermehrbelastung, die dann eintritt, wenn bei einem progressiven Einkommensteuertarif der Grundfreibetrag und die Tarifkennlinie nicht an die Preissteigerungsrate angepasst werden.

Erst der Hauptberuf, dann die Schwarzarbeit

Laut Volkswirt Schneider entsteht der weitaus größte Teil der Wertschöpfung in der Schattenwirtschaft hierzulande durch nebenerwerbsmäßige Schwarzarbeit. „Rund zwei Drittel der dort Tätigen gehen hauptberuflich einer legalen und beim Staat angemeldeten Tätigkeit nach und verdienen sich schwarz etwas dazu“, erklärt Schneider. Das restliche Drittel der Wertschöpfung innerhalb der Schattenwirtschaft gehe auf Rentner, Frührentner, Arbeitslose und illegale Beschäftigte zurück, von denen viele mit Touristenvisa in die Bundesrepublik einreisten. Dabei sind es den Zahlen der Wissenschaftler zufolge hierzulande vornehmlich zwei Branchen, in denen häufig am Staat vorbei gewirtschaftet wird: Das Baugewerbe und die Handwerksbetriebe erwirtschaften fast 40 Prozent der 330 Milliarden. Vor allem im handwerklichen Bereich sei es vergleichsweise einfach, seine regulären Einkünfte durch Schwarzarbeit aufzustocken, sagt Schneider: Schließlich seien die von der Branche erbrachten Dienstleistungen praktisch das ganze Jahr über und in allen möglichen Bereichen des täglichen Lebens sehr gefragt. Dass viele Bürger dabei gerne auf die Rechnung des Handwerkers verzichteten und diesen stattdessen bar auf die Hand bezahlten, sei in der Regel eine einfache Preiserwägung: Unterhalb des staatlichen Radars seien Dienstleistungen wie Malerarbeiten oft bis um die Hälfte billiger als bei offiziell angemeldeten Tätigkeiten.

Auf dem Pflegesektor nimmt das Phänomen zu

Neben den genannten Bereichen registrieren die Studienautoren besonders auf dem Pflegesektor eine wachsende Zahl an Schwarzarbeitern. Wenn sich eine Betreuerin aus dem Ausland als selbstständige Unternehmerin präsentiere, werde von den privaten Auftraggebern oft nicht kontrolliert, ob sie ihr Geld in der Heimat versteuere, sagt Schneider. Angehörige der Betreuten müssten sich dafür in ausländisches Recht einlesen - je nachdem, wo die Pflegekraft herkommt, sagt Juliane Bohl, Sprecherin des Verbandes für häusliche Betreuung und Pflege. „Das ist zu kompliziert für Frau Müller, die eine Betreuung für ihren Vater braucht.“

Ganz lässt sich Schattenwirtschaft nicht verhindern, sagen Experten

Friedrich Schneider geht davon aus, dass die Schattenwirtschaft im Land bei guter Wirtschaftslage auch in den kommenden Jahren weiter abnehmen wird – bis zu einer bestimmten Grenze. In welchem Maße dies geschehe, werde dabei entscheidend auch davon abhängen, welche steuerlichen Anreize der Bund etwa für die Auftraggeber von haushaltsnahen Dienstleistungen schaffe. Dass schwarze oder illegale Beschäftigung gänzlich aus dem Wirtschaftssystem verschwinden, hält Schneider dagegen für utopisch. „Um eine Sockelschattenwirtschaft mit fünf bis sieben Prozent des BIP werden wir nicht herumkommen“, ist sich der Volkswirt sicher. „Es gibt immer Leute, die den Staat betrügen.“

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