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Wirtschaft: 345 Euro und keinen Cent mehr

Bundessozialgericht halt Hartz-IV-Regelsatz für verfassungsgemäß. Das gilt auch für ältere Arbeitslose

Berlin - Die Empfänger von Arbeitslosengeld II haben keinen Anspruch auf mehr Geld. Der Regelsatz von 345 Euro monatlich verstößt nicht gegen die Verfassung, urteilte am Donnerstag das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Nach einem weiteren Grundsatzurteil können auch ältere Arbeitslose über 58 Jahren keine höheren Leistungen beanspruchen. In beiden Fällen prüfen die Kläger, das Bundesverfassungsgericht anzurufen.

Im ersten Fall hatte eine 49-jährige Frau aus Lörrach geklagt, weil ihr die Zahlung von Arbeitslosengeld II verweigert worden war. Mit der Rente des Ehemanns und dem Kindergeld kam die dreiköpfige Familie auf ein Monatseinkommen von etwa 1050 Euro und lag damit über den 858 Euro, die sie nach den Hartz-Sätzen verlangen könnte. Die Klägerin hatte argumentiert, dass die Regelsätze nicht das Existenzminimum widerspiegelten und hatte sich zudem gegen die Anrechnung des Einkommens ihres Mannes gewehrt.

Vor dem BSG hatte sie damit keinen Erfolg. Das Gericht erklärte sowohl die Regelsätze als auch die Art der Erhebung für verfassungsgemäß. Es sei grundsätzlich zulässig, den Bedarf gruppenbezogen – und nicht individuell – zu erfassen, betonten die Richter. Auch die Grundsatzentscheidung, die Arbeitslosenhilfe durch das Arbeitslosengeld II abzulösen, sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Da es sich in beiden Fällen um steuerfinanzierte Leistungen handele, habe der Gesetzgeber einen großen Spielraum bei der Gestaltung, urteilten die Richter.

Während sich Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) durch das Urteil bestätigt fühlte, übten Sozial- und Wohlfahrtsverbände heftige Kritik. Die Richter hätten „kaum etwas mit den Realitäten von Hartz-IV-Opfern zu tun“, sagte Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forums Deutschland. Der Präsident des Sozialverbands Deutschland, Adolf Bauer, forderte die Bundesregierung auf, die Höhe der Hartz-IV-Regelsätze zu überprüfen. Der Regelsatz hinke der Preisentwicklung um drei Jahre hinterher. Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte eine Anhebung auf 415 Euro im Monat. Besonderen Handlungsbedarf sieht Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Verbandes, bei der Unterstützung für Kinder: „Bei den Regelsätzen sind gerade einmal 1,50 Euro im Monat für Schulsachen und 1,70 Euro für Spielzeug eingeplant, das ist absurd“, sagte er dem Tagesspiegel.

Auch in einem zweiten Grundsatzverfahren, in dem es um die so genannte „58er-Regelung“ ging, enttäuschte das BSG die Hoffnungen der Kläger und billigte ihnen keinen höheren Anspruch auf Arbeitslosengeld II zu. Arbeitslose über 58 Jahren konnten früher Arbeitslosenhilfe „unter erleichterten Voraussetzungen“ beziehen. Sie verpflichteten sich, nicht länger Arbeit zu suchen und so früh wie möglich in Rente zu gehen. In der Arbeitslosenstatistik tauchten sie nicht mehr auf. Mit der Einführung von ALG II erhielten viele jedoch deutlich weniger Geld als erwartet. Im Fall des Klägers hatten sich die Leistungen von knapp 1000 auf 520 Euro monatlich nahezu halbiert.

„Die 400 000 Betroffenen wissen jetzt, dass auf die Politik kein Verlass ist“, kritisierte der Präsident des Sozialverbands VdK, Walter Hirrlinger, das Urteil. Der Deutsche Gewerkschaftsbund, der die Klage unterstützt hatte, „wird die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde prüfen“, sagte das stellvertretende Vorstandsmitglied Ingrid Sehrbrock dem Tagesspiegel. Auch nach der BSG-Entscheidung sei fraglich, ob die Absenkung der Arbeitslosenunterstützung auf das Niveau des ALG II insbesondere im Falle älterer Arbeitsloser verfassungsrechtlich zulässig ist. „Neben Leistungskürzungen durch die geringere Leistungshöhe des ALG II müssen die betroffenen Arbeitslosen mit verschärfter Anrechnung von Einkommen und verringerten Rentenansprüchen rechnen“, kritisierte Sehrbrock. „Im Ergebnis wird die langjährig aufgebaute Altersvorsorge der Betroffenen entwertet.“ (Aktenzeichen: B 11b AS 1/06 R und B 11b AS 9/06 R)

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