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Wirtschaft: „60 000 Lehrstellen sind bedroht“ Handwerksverband gegen Reform

Herr Schleyer, wem nützt der Meisterzwang? Erstens der Volkswirtschaft durch stabile Unternehmen, weil der Meisterbrief die einzige Qualifikation in Deutschland zum Unternehmer ist.

Herr Schleyer, wem nützt der Meisterzwang?

Erstens der Volkswirtschaft durch stabile Unternehmen, weil der Meisterbrief die einzige Qualifikation in Deutschland zum Unternehmer ist. Zweitens den Jugendlichen, weil das Handwerk mehr Ausbildungsplätze anbietet, als es selbst benötigt. Drittens den Verbrauchern, weil die Qualität der Arbeit eines Meisterbetriebes besser ist als anderswo. Der Meisterbrief ist ein stabilisierendes Element der marktwirtschaftlichen Ordnung.

Auch ohne Meisterbrief brechen in unseren Nachbarstaaten keine Katastrophen aus.

Deswegen kann aber nicht jeder machen, was er will. Auch bei unseren Nachbarn stehen viele Berufe unter dem Vorbehalt einer Qualifikation oder Zertifizierung. In Gesundheitsberufen wie Zahntechniker oder Augenoptiker, für die man hier zu Lande den Meisterbrief braucht, werden in anderen Ländern sogar Uniabschlüsse gefordert. Es kann nicht unser Bestreben sein, unser Qualifikationsniveau herunterzuschrauben, nur weil in anderen Ländern niedrigere Standards gelten. Nicht umsonst wurde der Meisterbrief von der EU als „Best Practice“ bewertet.

Warum braucht ein Friseur einen Meisterbrief? Sein Job ist kaum „gefahrgeneigt“.

Dieser Beruf ist sehr wohl gefahrgeneigt, etwa was die Arbeit am Kunden mit chemischen Substanzen angeht. Gleichwohl soll er nach den Vorstellungen der Regierung künftig kein Meisterberuf mehr sein. Davon abgesehen spricht vor allem die enorme Ausbildungsleistung dieser Gruppe für einen Erhalt der Meisterprüfung. Über 44000 Ausbildungsplätze stellt das Friseurhandwerk zur Verfügung. Ich bezweifle allerdings, dass ein Friseurbetrieb künftig noch eine einzige Lehrstelle mehr anbietet, als für den eigenen Bedarf erforderlich ist, wenn er weiß, dass sein frisch gebackener Geselle sich umgehend mit einer IchAG selbstständig und ihm mit Niedrigstpreisen Konkurrenz machen wird.

Warum sollen die Verbraucher nicht wählen, ob sie Meister oder Gesellen beauftragen?

Ich halte den Glauben für kurzsichtig und gefährlich, dass Qualitätssicherung ausschließlich und auch noch nachträglich über Produkthaftung und Gewährleistung geregelt werden kann. Das führt zu amerikanischen Verhältnissen mit einer Fülle von Schadenersatzansprüchen und Unannehmlichkeiten für den Verbraucher. Im Ergebnis könnten eine Verteuerung der Leistungen, mehr Bürokratie und Gerichtsverfahren stehen, weil der Anbieter bereits Regressanspruch und Schadensbehebung einkalkuliert.

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement ist der Ansicht, die Reform bringt mehr Arbeitsplätze.

Wenn er sich da mal nicht täuscht. Genau das Gegenteil wird eintreten. Wenn die Regierung bewährte Qualifikationsstrukturen mit Hauruck-Verfahren zerschlagen will, muss sie sich über die Folgen im Klaren sein.

Welche wären das?

Die Folgen für die Aus- und Weiterbildung werden dramatisch sein. Derzeit bildet das Handwerk 528 000 junge Menschen aus, drei Mal so viel wie die übrige Wirtschaft. Wenn wie vorgesehen 62 Meisterberufe gestrichen werden, wird es in diesen Berufen allenfalls noch so viel Ausbildung geben, wie die Betriebe als Nachwuchs benötigen. Mindestens die Hälfte der heutigen 120 000 Lehrstellen in diesen Berufen stünde zur Disposition.

Das Gespräch führte Dieter Fockenbrock.

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