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Wirtschaft: Abgestiegen

Ein Haus, zwei Autos, regelmäßige Skiurlaube – das war einmal. Heute kämpft Michael Frank um seine Existenz

Manchmal rauschen die Wörter an Michael Frank (Name von der Redaktion geändert) einfach so vorbei. Dann starrt er die Lehrerin an, die versucht, ihm englische Grammatik und Excel-Tabellen zu erklären. Doch um sie und ihre Fachbegriffe zu verstehen, ist er zu tief in seinen Gedanken versunken. Was er hier tut, wie es weitergehen soll, das schießt ihm dann durch den Kopf. Er weiß es nicht.

Michael Frank ist kein Abiturient, sondern ein 45-jähriger Familienvater, der sich zurzeit zum Projektkoordinator für erneuerbare Energien umschulen lässt. „Ein Job mit Zukunft“, sagt er. Ruderlehrer, sein eigentlicher Beruf, hatte keine: „Nicht vermittelbar“, beschied ihm die Dame in der Arbeitsagentur, an die er sich 2005 wandte. „Psychologisch war das nicht gerade feinfühlig“, erinnert sich Frank. Er ist sensibel geworden, seit sich sein Leben geändert hat. Früher ging es ihm gut, dann kam die neue Zeit. Heute ist Frank einer von vielen aus der Mittelschicht, denen es einmal gut ging – und für die es heute eng geworden ist.

Seit 1988 arbeitete der studierte Sportwissenschaftler als Trainer für den Rudernachwuchs in Schwedt, sichtete junge Talente für den Olympiastützpunkt in Potsdam. Frank war beliebt, er wusste die Jugendlichen zu motivieren. Doch weil seine Frau in Berlin eine bessere Stelle angeboten bekam, entschied sich die Familie nach langen Beratungen für den Umzug in die Hauptstadt. Frank kündigte. „Ich wollte der Karriere meiner Frau nicht im Wege stehen“, sagt er. Eine Situation, die viele Paare treffen kann, wenn beide berufstätig sind. Heute bereut er die Entscheidung.

Frank bewarb sich in Berlin in verschiedenen Ruderclubs, bekam nur Absagen. „Deprimierend“ war das, sagt er. Doch er steckte nicht auf, als selbstständiger Rudertrainer wollte er die Wende schaffen. Träge Angestellte von Großunternehmen, Fitness-Studios, auch übergewichtige Bundeswehr-Rekruten wollte er wieder fit machen. Die Idee ließ ihn nicht mehr los, er schrieb einen Geschäftsplan, bekam einen Förderkredit von 20 000 Euro von der staatseignene KfW-Bank.

Anfangs ging der Plan auf: Bis ins Bundeskanzleramt fuhr er mit seinem neu gekauften Transporter. Ließ eine Gruppe von hohen Beamten auf den gemieteten Rudergeräten schwitzen. Doch die Aufträge kamen unregelmäßig, die Fitness-Studios zeigten kein Interesse. Die Fixkosten von 700 Euro pro Monat ließen sich so nicht decken. Ab dem Sommer muss er den KfW-Kredit zurückzahlen. Davor hat er Angst. „Ich habe einfach falsch kalkuliert“, bekennt er.

Früher in Schwedt brachte Frank im Monat 1580 Euro netto nach Hause. Zusammen mit dem Gehalt seiner Frau reichte es für ein Haus, zwei Autos und regelmäßige Skiurlaube. „Damals war noch alles schick“, erinnert sich Frank. Der Familientrip in die Berge war im letzten Jahr der erste große Verzicht. Dann verkaufte er den Zweitwagen, wechselte zu einem günstigeren Telefonanbieter, stellte die Lebensversicherung beitragsfrei. Für die Mittagspause schmiert er sich heute lieber Stullen, statt essen zu gehen. Dazu hat ihm die Schuldnerberatung geraten. Bei denen ist er nur einer von vielen: 25 000 Menschen allein in Berlin suchen bei ihnen Hilfe. Dabei sind in der ganzen Hauptstadt 550 000, denen die Schulden über den Kopf gewachsen sind.

In der Schule ist Frank einer von mehr als 3000 Menschen über 40, die sich in einem neuen Beruf ausbilden lassen wollen. Selbst Akademiker sitzen in seinem Kurs, Architekten oder Elektroingenieure etwa. Während die Umschulung läuft, bekommt Frank noch Arbeitslosengeld I ausbezahlt. „Mein Rettungsanker“, sagt er. Nein, auf Hartz-IV-Niveau wolle er auf keinen Fall absinken, das wäre eine Horrorvorstellung.

In der Familie, sagt Frank, werde über die Situation nicht viel geredet. Er ist erleichtert, dass wenigstens die Zukunft der Kinder gesichert ist: Die Tochter bekommt als Leistungsruderin ein Stipendium an der Universität, der Sohn hat eine Lehrstelle in Aussicht. Immerhin das Rudern ist Frank geblieben, am Wochenende arbeitet er nebenher ein paar Stunden als Trainer. Das ist ein Hobby, kein Beruf mehr. Das zu akzeptieren fällt ihm noch schwer. Kathrin Drehkopf

Kathrin Drehkopf

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