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Wirtschaft: Ackermann will trotzdem bleiben

Der Bundesgerichtshof hebt die Freisprüche auf und wirft den Angeklagten Untreue vor. Der Chef der Deutschen Bank gerät immer stärker unter Druck

Der Staatsanwalt genießt still. Klaus Esser hat den Saal längst verlassen, sich an den Kameras vorbei zu seinem Wagen gequält, als Gerhard Altvater heraustritt. „Genugtuung“ sei keine Kategorie, in der er zu denken pflege, beginnt er einen kleinen Vortrag. Der Mann in der roten Robe redet leiser als sonst, allenfalls an seinem süffisanten Zug um die Mundwinkel kann man ahnen, wie er sich fühlt. Wenig später schiebt er nach, dass die Medienvertreter die Angeklagten doch nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) „bitte schön“ nicht allzu hart beurteilen mögen: „Es gilt für sie die Unschuldsvermutung.“

Zu diesem Zeitpunkt ist Klaus Esser verschwunden. Der ehemalige Chef von Mannesmann hat sich zwar alle Mühe gegeben, keine Regung zu zeigen. Als der Vorsitzende Richter Klaus Tolksdorf aber den Tenor seines Urteils verkündet, zieht Esser sein Mobiltelefon aus der Tasche, und niemandem bleibt verborgen, wie sehr seine Hand zittert. Später wird er gefragt, warum er als einziger der Angeklagten im Gerichtssaal präsent ist. „Wenn es um meine Angelegenheit geht, muss ich dabei sein“, sagt Esser.

Der Morgen muss für ihn – und für die Angeklagten, die es wie Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann vorgezogen haben, nicht zu erscheinen – schmerzhaft gewesen sein. Richter Tolksdorf trifft die Angeklagten nicht nur damit, dass er den Freispruch des Düsseldorfer Landgerichts in wesentlichen Teilen aufhebt, er ärgert Ackermann und Co. auch mit seinen Hinweisen zu den Gepflogenheiten in der Wirtschaft.

Es gehe in seinem Urteil nur um das Strafrecht und nicht um die „Sozialschädlichkeit“ von Millionenprämien. Wenn sich aber Spitzenmanager auffällig zahlreich dazu geäußert hätten, dass freiwillige und nachträglich gezahlte Boni ein absolut unverzichtbares Element für die Motivation seien, hält ihnen Tolksdorf entgegen: Dies zeige, dass solche Kritiker „die Bodenhaftung verloren“ hätten. „Wer sich von einer Herbstwiese drei Äpfel nimmt, wird kaum strafrechtlich verfolgt werden. Wer aber einen ganzen Sack Äpfel nimmt, sollte sich nicht mehr sicher sein“, sagte Tolksdorf.

Der Richter und seine BGH-Kollegen sehen Gefahren für den Rechtsstaat, wenn Verhaltensweise als normal gelten würden, wie sie die Spitzenmanager am Ende des Übernahmekampfes zwischen Vodafone und Mannesmann Anfang Februar 2000 gezeigt haben. Das Gericht teilt im Wesentlichen die Feststellungen der Düsseldorfer Richter, zieht aber in entscheidenden Punkten andere Schlüsse. Während die Düsseldorfer Kammer noch zurückhaltend bemerkte, „die Sonderzahlungen waren für die Mannesmann AG ohne jeden Nutzen“, wählen die Karlsruher Richter eine deutlichere Sprache. Für sie ist etwa die 15,3-Millionen-Prämie an Klaus Esser „als treupflichtwidrige Verschwendung des anvertrauten Gesellschaftsvermögens zu bewerten“. Zusätzlich hatte er noch einen Bonus von fast 16 Millionen erhalten.

Dieser Vorwurf trifft neben Esser vor allem Josef Ackermann und Ex-IG-Metall-Chef Klaus Zwickel, die die Esser-Prämie im Präsidium ebenso schnell durchgewinkt haben wie die Sonderzahlung an Ex-Aufsichtsratschef Joachim Funk, der drei Millionen Euro erhielt. Vor allem das Geld für Funk wird für Ackermann zum Problem: Er habe die Summe bewilligt, bescheinigen ihm die Richter, obwohl er durch die Wirtschaftsprüfer der KPMG auf die Unrechtmäßigkeit und Unangemessenheit der Zahlung aufmerksam gemacht worden sei. „Die Prämie wurde willkürlich beschlossen“, urteilt der BGH.

Die Konsequenzen, die ein neuer Prozess für Ackermann haben wird, sind noch nicht absehbar. Für den Fall einer erneut langen Verfahrensdauer wird im Umfeld der Deutschen Bank sein Rücktritt erwartet. Ackermann selbst will seinen Posten behalten. Am Abend teilte er am Rande einer Tagung in München mit, die „enorme Unterstützung“ von Mitarbeitern, Kunden und Aktionären bestärke ihn darin, „auch weiterhin als Sprecher des Vorstandes und Chairman des Group Executive Committee die Geschäfte der Bank zu leiten“. Aufsichtsratschef Rolf Breuer hatte bereits in einem Interview ungewöhnlich offen über eine mögliche Nachfolgeregelung spekuliert. Aktionärsvertreter forderten Ackermann zum Rücktritt auf. Auf der Führungsebene der Bank sieht man allerdings keinen Kronprinzen, der den Vorstandsvorsitz kurzfristig übernehmen könnte: „Intern gibt es niemanden, der es machen könnte“, sagte ein führender Manager dem Tagesspiegel. Mit einer offiziellen Stellungnahme stärkte der Aufsichtsrat Ackermann den Rücken: „Der Aufsichtsrat hat keinen Zweifel, dass Herr Dr. Ackermann seine Arbeit erfolgreich fortsetzen wird, und unterstützt ihn dabei.“

Peter von Blomberg, stellvertretender Vorsitzender von Transparency International, sagte, das Urteil zeige, „dass sich die Vorgänge bei Mannesmann in einer Grauzone jenseits des Strafrechts“ abgespielt hätten. Berührt sei die Wirtschaftsethik. „Die Höhe der Abfindungen war und ist nicht hinnehmbar“, sagte von Blomberg dem Tagesspiegel. Das Verhalten der Angeklagten „vergrößert das Misstrauen in die Wirtschaftsverfassung und die Verlässlichkeit der Aufsichtsorgane“.

SPD-Wirtschaftsexperte Rainer Wend sagte, das BGH-Urteil ergebe im Zusammenspiel mit dem „respektlosen Auftreten“ Ackermanns beim ersten Prozess eine für den Banker „brisante Kombination“. Wend sagte, der Prozess habe für die Unternehmenskultur „viel in Gang gebracht“. Das sieht auch Mark Wahrenburg, Professor für Bankbetriebslehre an der Universität Frankfurt, so: „Der Finanzplatz Deutschland hat gewonnen, Ackermann ist der große Verlierer“, sagte er dem Tagesspiegel. Der BGH habe Vertrauen geschaffen. „Auch der Finanzplatz braucht einen aktiven Gesetzgeber.“

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