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Wirtschaft: Aktionäre werden hofiert: Heidelberger Zement baut um

Während des größten Teils des vergangenen Jahrhunderts war die Heidelberger Zement AG so unbeweglich wie ihre Produkte. Die alten Industriellen und die großen Banken, die noch 60 Prozent der Aktien halten, haben das größte europäische Zementunternehmen bislang vor Übernahmen und gewinnsüchtigen Aktionären geschützt.

Während des größten Teils des vergangenen Jahrhunderts war die Heidelberger Zement AG so unbeweglich wie ihre Produkte. Die alten Industriellen und die großen Banken, die noch 60 Prozent der Aktien halten, haben das größte europäische Zementunternehmen bislang vor Übernahmen und gewinnsüchtigen Aktionären geschützt. Sowohl Produktion als auch Erlös bewegten sich zwei Jahrzehnte lang kaum von der Stelle.

Die Unternehmensspitze trat den Aktionären nur einmal im Jahr gegenüber und hielt die Reden auf deutsch. Der Betriebsgewinn vor Zinsen und Steuern lag im vergangenen Jahr bei knapp zwölf Prozent des Umsatzes - und lag damit unter dem Branchendurchschnitt von rund 15 Prozent.

Doch die Tage geduldiger Aktionäre und gesicherter Unabhängigkeit sind gezählt. Auch Heidelberger Zement muss sich ändern. Im vergangenen Jahr gab der Baustoffhersteller vier Milliarden Euro für die Übernahme überwiegend ausländischer Unternehmen aus. "Das Hauptmotiv war, so groß zu werden, dass wir für eine Übernahme nicht mehr in Frage kommen", sagt Vorstandschef Rolf Hülstrunk. Und zum ersten Mal in der 127-jährigen Geschichte des Unternehmens hofiert Heidelberger seine neuen Aktionäre - auch ausländische. Mit etwa fünf Prozent sind mittlerweile doppelt soviel Aktien in ausländischer Hand als vor zwei Jahren.

Die tiefgreifende Steuerreform setzt Heidelberger Zement unter Druck. Von 2002 an können die größten Unternehmensaktionäre - neben der Dresdner Bank (18 Prozent) ist das unter anderem die Deutsche Bank (neun Prozent) - ihren Anteil verkaufen, ohne dass sie für den Verkaufserlös hohe Steuern zahlen müssen.

Für die Deutsche Bank ist Heidelberger daher ein "klarer Verkaufskandidat", sagt Axel Pfeil, der bei dem Kreditinstitut den 20-Milliarden-Euro-Bereich für Industriebeteiligungen leitet. "Es ist nur eine Frage von Zeitpunkt und Preis." So deutlich wird man bei der Dresdner Bank zwar nicht. Immerhin aber ist bekannt, dass die Bereitschaft zum Aktienverkauf im Hause grundsätzlich vorhanden ist.

Heidelberger gehört zu einem Dutzend deutscher "Old Economy-Unternehmen", die sich wenig hervortun, aber bislang geschützt waren durch Überkreuz-Aktienbeteiligungen. Dieses Netzwerk war beim Aufbau der Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg viele Jahre durchaus nützlich. Die veränderten steuerlichen Rahmenbedingungen wird dieses Netzwerk aber wohl nicht überleben.

Bereits im Vorfeld kommt es zu Restrukturierungen bei Unternehmen. So will sich der Industriegase- und Anlagenbaukonzern Linde AG, der zu 20 Prozent der Deutschen Bank und dem Versicherungskonzern Allianz AG gehört, auf das Kerngeschäft Industriegase konzentrieren und von Randbereichen trennen.

Der Reifenhersteller Continental AG, der dieselben zwei Finanzinstitutionen zu seinen Großaktionären zählt, will auf den wachstumsstarken High-Tech-Markt für Autoteile Fuß fassen. Und der Lastwagenhersteller MAN - zum einem Drittel in der Hand von Banken und Versicherern - kauft Unternehmen dazu, um nicht selbst zum Übernahmeziel zu werden.

Die großen Veränderungen bei Heidelberger begannen 1993, als das Unternehmen einen 42-Prozent-Anteil an dem belgischen Zementhersteller SA Cimenteries CBR übernahm. Das war der erste große internationaler Zukauf seit der Übernahme des US-amerikanischen Zementunternehmens Lehigh Portland im Jahr 1977.

Im vergangenen Jahr kaufte Heidelberger dann die restlichen CBR-Anteile und übernahm den schwedischen Zementhersteller Scancem AB. In diesem Jahr setzte das Unternehmen die Expansions-Tour fort mit der Vereinbarung eines Joint-ventures mit einem großen indonesischen Zementhersteller. Mittlerweile erwirtschaftet Heidelberger insgesamt 82 Prozent seines 6,4-Milliarden-Euro-Jahresumsatzes im Ausland. Vor zehn Jahren waren es noch weniger als 25 Prozent. Auch in der Führungsspitze ist die Globalisierung spürbar: Im siebenköpfigen Vorstand, der einst rein deutsch war, sitzen nun zwei Belgier und ein Schwede. Dank der Akquisitionen hat sich der Jahreserlös seit 1993 auf 1,25 Milliarden Euro (1999) verfünffacht. Heidelberger versucht auch, neue Aktionäre zu gewinnen, wenn auch aus Rücksicht auf seine Großaktionäre recht diskret.

So behandelt das Unternehmen heute potenzielle Aktionären sehr viel zuvorkommender als früher. Als vor vier Jahren ein US-amerikanischer Investmentmanager in die Unternehmenszentrale kam, konnte er mit den vorgetragenen Präsentationen nichts anfangen - weil er kein deutsch sprach.

Das hat sich verändert: Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen erstmalig im Ausland Präsentationen vor Analysten gehalten. Und dieses Jahr waren Unternehmensvertreter zu diesem Zweck zweimal in London, außerdem reisten sie nach Brüssel und erwägen auch, ein Analystentreffen in New York zu organisieren. Und das ist noch nicht alles. Nachdem Heidelberger jahrelang Finanzdaten nur zweimal im Jahr veröffentlicht hatte, hat das Unternehmen in diesem Jahr auch Quartalszahlen bekannt gegeben - und die Kapitalbeschaffungskosten. Bisher war das ausgeschlossen.

Doch Heidelberger hat noch einen langen Weg vor sich. Das wurde im September klar, als der designierte Vorstandschef Hans Bauer Analysten und Fondsmanager in London traf, um über die Ergebnisse der ersten Jahreshälfte zu diskutieren. "Es ist einfach, Aktionäre zu besuchen und die Konten aufzudecken", sagt Neil Shah, Analyst von Goldman Sachs International. "Aber es ist sehr viel schwieriger, die Unternehmenskultur zu verändern." So fragte ein Fondsmanager, warum das Unternehmen die Kostenersparnisse durch seine Vorjahres-Akquisitionen mit bescheidenen 0,5 Prozent des Umsatzes angab - während die entsprechende Zahl bei Konkurrenten sechs Prozent oder mehr beträgt. Der Vorstandschef erwiderte lediglich, dass Heidelberger noch ein konservatives Unternehmen sei.

Das Management von Heidelberger bewegt sich auf einem schmalen Grad. Einerseits will es weiter ein gutes Verhältnis mit den großen institutionellen Aktionären haben, weil diese wertvolle Verbündete im Falle einer feindlichen Übernahmeversuchs wären. Doch andererseits weiß der Unternehmenschef, dass der Aktienkurs von Heidelberger unter der gegebenen Aktionärsstruktur leidet .

Mit insgesamt 27 Prozent sind die Deutsche und Dresdner Bank nicht die einzigen Großaktionäre. Das deutsche Baustoffunternehmen Schwenk hält 22 Prozent und das Zementunternehmen Merckle zehn Prozent. Zudem ist Schwenk mit zehn Prozent und die Dresdner Bank mit 15 Prozent an dem Zementhersteller Dyckerhoff AG beteiligt.

Trotz kartellrechtlicher Bedenken scheint eine Fusion unvermeidbar. Und das wird durch die Steuerreform noch wahrscheinlicher. "Die deutschen Unternehmenschefs sind wie Sammler", sagt das Deutsche Bank-Vorstands Pfeil. "Sie wollen behalten, was sie haben. Jäger unter ihnen sind rar. Aber dieses Gesetz wird zeigen, wer was ist."

Christopher Rhoads

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