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Kein Bus, keine Angehörige. Die Infrastruktur ist schlecht in vielen Orten Brandenburgs. Die Familie ist weit weg oder hat keine Zeit. Arzthelferinnen können durch die Hausbesuche eine wichtige Bezugsperson werden für die älteren Patienten. Sie übersetzen die ärztlichen Anordnungen und haben ein Auge für die Bedürfnisse der Kranken. Foto: ddp

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Wirtschaft: Allein auf weiter Flur

In Brandenburg fehlen Hausärzte. Eine Fortbildung befähigt Arzthelferinnen, selbst Patienten zu behandeln

Golzow ist ein beschaulicher 1400-Seelen-Ort der brandenburgischen Provinz, 19 Kilometer südlich der Stadt Brandenburg. Seit 30 Jahren ist Melitta Köppen dort Arzthelferin in einer Hausarztpraxis. Doch die Patienten versorgt sie nicht nur dort. Oft besucht sie sie im Wechsel mit ihrer Chefin Zuhause, erneuert Verbände, misst den Blutdruck, kontrolliert Medikamente und schaut nebenbei, ob sich die Kranken noch gut Zuhause versorgen können. Ist das nicht der Fall, überlegt sie mit ihnen, welche sozialen Dienste helfen könnten. „Die Infrastruktur in der Region ist schlecht, Busse fahren gar nicht oder zu selten und Kinder oder andere Angehörige wohnen weit entfernt oder haben keine Zeit, die alten Menschen zum Arzt zu fahren“, sagt die 49-Jährige. Hausbesuche sind oft der einzige Weg, die älteren Kranken auf dem Land zu erreichen. Im vergangenen Jahr ließ sich die Medizinische Fachangestellte, wie Arzthelferinnen offiziell heißen, zur nichtärztlichen Praxisassistentin weiterbilden.

Seit Juli 2009 sind die Leistungen für ärztlich angeordnete Hausbesuche durch Medizinische Fachangestellte mit entsprechender Fortbildung als Kassenleistung abrechenbar. Allerdings nur bei Besuchen bei Patienten über 65 Jahren mit chronischen Erkrankungen in niedrigbesiedelten Gebieten wie Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Und nur, wenn die Patienten sonst keine Möglichkeit haben, die Praxis aufzusuchen. Auch schon während der Ausbildung kann die Leistung in Rechnung gestellt werden. Damit soll der Ärztemangel in diesen Regionen kompensiert werden.

„Grundlage dafür ist das Pflegeweiterentwicklungsgesetz vom Mai 2008. Zum 1. April 2009 hatten sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Spitzenverband der Krankenkassen über eine neue Gebührenordnungsposition geeinigt, die die ärztliche Versorgung des Patienten zuhause sicherstellt“, erklärt Dr. Udo Wolter, Präsident der Ärztekammer Brandenburg. Die Akademien der regionalen Ärztekammern setzen das von der Bundesärztekammer beschlossene Curriculum für die Fortbildung um.

Vorläufer der neuen Regelung ist das Modellprojekt „AGnEs“ unter der Leitung von Professor Wolfgang Hoffmann an der Erst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Die Abkürzung steht für „arztentlastende, gemeindenahe, E-Health-gestützte systemische Intervention“ und wurde als Gemeindeschwester-Projekt seit 2005 in Ostdeutschland erprobt.

Hausärztin Kathrin Meiburg ist froh über die Entlastung durch Schwester Melitta. Im Quartal macht ihre Praxis etwa 120 Hausbesuche, über die Hälfte übernimmt inzwischen ihre Arzthelferin. Atrose, Gelenk- und Herz-Kreislauferkrankungen sind die häufigsten Gründe für die 20- bis 30-minütigen Besuche, aber es geht auch um Fürsorge und menschliche Zuwendung. Melitta Köppen wurde in Golzow geboren. Viele Patienten kennt sie seit Jahren und Jahrzehnten, mit vielen duzt sie sich.

Für die Weiterbildung wurde Schwester Melitta freigestellt, die Kosten zwischen 1000 und 2000 Euro trug ihre Vorgesetzte. Die Lehrmodule fanden einmal monatlich am Freitagnachmittag und Sonnabend in den Räumen der Kassenärztlichen Vereinigung in Potsdam statt. Mehr Geld verdient Melitta Köppen mit der neuen Qualifikation nicht, aber sie konnte ihren Horizont erweitern, zum Beispiel im Bereich Palliativmedizin und Hospizarbeit, chirurgischer und gereatrischer Erkrankungen. Nach einer Weiterbildung zur Betriebsschwester war es die zweite Fortbildung ihrer Berufslaufbahn.

Mit ihrer langen Berufserfahrung gehörte Melitta Köppen zu den alten Hasen in ihrem Kurs. „Die meisten der 24 Teilnehmerinnen waren deutlich jünger und standen am Anfang ihrer Berufslaufbahn“, sagt sie. Mindestanforderung für die Fortbildung ist, dass man bereits seit drei Jahren als Medizinische Fachangestellte gearbeitet hat. Eine Altersbeschränkung gibt es nicht. Um die Hausbesuche auch in entlegenen Gebieten durchzuführen, ist ein Führerschein sinnvoll.

Einen Zuschuss für die Fortbildung können Interessierte als Bildungsprämie beim Bundesministerium für Bildung und Forschung beantragen. „Außerdem sollte man prüfen, welche regionalen Möglichkeiten es für Zuschüsse gibt. Sachsen-Anhalt fördert die Maßnahme zum Beispiel mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds“, sagt Brigitte März, Referatsleiterin für medizinische Fachangestellte beim Verband medizinischer Fachberufe (VMF). Je nach Berufserfahrung ist der Umfang der Stunden gestaffelt. Bei Melitta Köppen waren es insgesamt 190 Stunden. Ihre Fortbildung dauerte eineinhalb Jahre und endete mit einer Prüfung.

Wie sie waren auch die anderen Kursteilnehmerinnen in brandenburgischen Praxen angestellt. „Für arbeitslose medizinische Fachangestellte, die so ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern möchten, eignet sich die Weiterbildung eher nicht, weil man parallel zur theoretischen Ausbildung den Bezug zum Patienten braucht“, sagt Brigitte März. Ihr Verband setzt sich dafür ein, dass mit der höheren Qualifikation der Arzthelferinnen auch ihr Gehalt steigen sollte. „Außerdem sollte die häusliche Versorgung durch die nichtärztlichen Praxisassistenten noch stärker ausgeweitet werden, beispielsweise auf jüngere, chronisch kranke Patienten“ sagt März. Auch in ärztlich nicht unterversorgten Gebieten sollte ihrer Ansicht nach die Leistung abrechenbar sein.

Ihr ist wichtig, dass der Beruf der Medizinischen Fachangestellten durch die neue Regelung aufgewertet wird. „Für die Patienten ist die Schwester gerade in kleinen Orten eine wichtige Bezugsperson. Sie ‚übersetzt’ die Anordnungen des Arztes, ist der Kummerkasten für medizinische und persönliche Probleme“, weiß Brigitte März aus ihrer eigenen Tätigkeit als Arzthelferin.

Allgemeinmedizinerin Kathrin Meiburg, die 2007 nach ihrer Facharztausbildung die Praxis in Golzow übernommen hat, schätzt die Arbeitsteilung mit Melitta Köppen und verlässt sich auf ihr Urteil. „Schwester Melitta kennt viele Patienten schon lange und hat ein Auge für ihre Situation und was in Zukunft wichtig werden könnte“, sagt Ärztin Meiburg.

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