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Wirtschaft: Aller Anfang

Am 1. September ist Ausbildungsstart. Vielen Jugendlichen fällt der Wechsel von der Schule in die Arbeitswelt nicht leicht. Worauf sie achten sollten.

Am ersten Tag musste Anni Knitter noch nicht die „Laboruniform“ überziehen, den beigen, flammenfesten Kittel und die Hose, die Schutzschuhe mit der versteckten Aluminiumkappe an der Spitze, die aussehen wie robuste Turnschuhe, die Schutzbrille und die Handschuhe. Sie musste noch nicht ihre naturwissenschaftliche Neugier unter Beweis stellen, lernen, wie man Apparaturen aufbaut oder Substanzen reinigt und Klausuren schreiben, in denen sie zeigt, dass sie die Arbeitsvorschriften beherrscht. Das kam erst später.

Am 1. September 2011, dem ersten Tag ihrer Ausbildung zur Chemielaborantin bei Bayer Pharma in Wedding, wurde sie mit einem Frühstück empfangen. Gemeinsam mit den anderen 70 neuen Azubis des Konzerns bekam sie zwei Tage lang eine Einführung in das Unternehmen und darüber, was in den dreieinhalb Jahren Ausbildung auf sie zukommt. Dann ging es zum zweiwöchigen Outdoortraining nach Blossin im Dahme-Spreewald, südöstlich von Berlin. Dort stand eine Floßtour auf dem Programm, abends Grillen und Seminare, in denen Teamarbeit geprobt wurde.

Der 1. September ist der Stichtag. Da starten die meisten Unternehmen ihre Berufsausbildungen. Für die neuen Azubis verändert sich mit diesem Tag ihr Leben komplett. Mit dem Einstieg in die Arbeitswelt ist plötzlich alles anders, die Umgebung, die Situation, ganz am Anfang zu stehen, nachdem man zum Ende der Schulzeit immer zu den Großen gehört hat. Man hat zum ersten Mal Kollegen, muss sich an die Regeln im Unternehmen halten, hat neue Aufgaben. Doch wie verhält man sich da richtig? Wie gelingt der Spagat zwischen authentisch sein und sich in die gegebenen Hierarchien einfügen? Wie kommt man fachlich voran und mit den anderen Mitarbeitern gut klar?

Erfolgsrezepte gibt es dafür nicht. Tipps von Experten und die Erfahrungen von Azubis, die schon länger dabei sind, können aber helfen, Fehler zu vermeiden.

EINE KRASSE UMSTELLUNG

Die Startbedingungen sind von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. In kleineren Betrieben gibt es für solche Einführungsangebote wie bei Bayer kaum Kapazitäten. „Die Berufseinsteiger sind vom ersten Tag an in den Arbeitsalltag integriert und müssen von Anfang an Verantwortung übernehmen“, sagt Dietmar Niedziella von der Industrie- und Handelskammer Berlin. Bei den Großen sei die Lehre professionalisierter. Ganze Abteilungen befassen sich dort mit der Ausbildung der neuen Lehrlinge.

Die Kennlerntour-Tour ihres Arbeitgebers hat ihr das Ankommen in die Berufswelt erheblich erleichtert, sagt Anni Knitter. Danach wusste sie, was sie erwartet. Und vor allem: Sie fühlte sich nicht allein, kannte die anderen Azubis, schloss Freundschaften.

Dennoch war die Ausbildung für sie eine krasse Umstellung. Um 8 Uhr im Betrieb zu sein und bis halb fünf zu arbeiten, strengte sie an, erinnert sich die 20-Jährige. Auch fachlich ging es nun mehr zur Sache. „Chemie war viel schwerer als früher“, sagt sie. Sie schrieb Klausuren im Betrieb und in der Berufsschule – und es kam jetzt nicht mehr nur auf gute Noten an, sondern darauf, zu behalten, was sie gelernt hat, es zu verstehen und anzuwenden.

Mit den Kollegen gut klar zu kommen, fiel ihr dagegen nicht schwer. Höfliche Umgangsformen, wie sie bei Bayer erwartet werden, sind für sie selbstverständlich. Sie grüßt auf dem Flur, wünscht in der Mittagspause „Mahlzeit“ und verabschiedet sich mit „Auf Wiedersehen“. Es ist für sie auch völlig normal, dass man als Neue nicht an den Abläufen im Betrieb herumkritisiert. „Dann hat man ja noch nicht ganz so viel Ahnung und weiß nicht, warum das so gemacht wird“, sagt sie. Auch den Chefs gegenüber würde sie sich immer zurückhaltend verhalten. „Es gibt nun mal Hierarchien und da halte ich mich besser an die Regeln.“

DAS RICHTIGE MASS

„Wer als Azubi in ein Unternehmen kommt, sollte weder als allwissend noch als unterwürfig daherkommen und ständig befürchten, etwas falsch zu machen“, empfiehlt die Berliner Karriereberaterin Uta Glaubitz. „Es dauert, bis man versteht, wie ein Unternehmen funktioniert.“ Deshalb sollten Jugendliche erst einmal Augen und Ohren öffnen und herausfinden, wie der Laden läuft.

So rät Glaubitz auch bei der Kleidung von Extremen ab. Das Make-up sollte nicht zu dick, die Fingernägel nicht zu lang, das Shirt nicht zu cool aussehen. Gibt es keinen Dresscode, sei ein gepflegtes Äußeres angesagt, Jeans und Hemd oder Bluse und gepflegte Schuhe.

Anni Knitter hat an ihrem ersten Tag Jeans, Strickjacke und Turnschuhe getragen, ganz locker, so wie die anderen Bayer- Azubis auch. Sie erinnert sich noch gut daran.

ZU EHRGEIZIG ZU SEIN, DAS STRESST

Sie weiß auch noch genau, wie wichtig es ihr damals war, einen guten Eindruck zu machen. „In den ersten Monaten habe ich mich deshalb sehr unter Druck gesetzt“, sagt die 20-Jährige. Das hat sie gestresst. Inzwischen kann sie die Ausbildung endlich lockerer sehen, kann besser akzeptieren, wenn ihr einmal etwas misslingt. Sie hat Spaß an ihrem Job, daran, dass sie Schritt für Schritt mehr dazulernt. Als sie die erste Substanz selbst hergestellt und ihr erstes richtiges Protokoll geschrieben hat, fühlte sich das danach sehr gut an.

Von Anfang an hat es ihr nichts ausgemacht, nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstanden hat. Das ist auch heute noch so. „Zuerst frage ich andere Azubis und, wenn die nicht weiterhelfen können, den Ausbilder“, sagt sie. „Selbst, wenn man zum fünften Mal etwas nachfragt, ist das bei uns kein Problem.“

Das sollte auch so sein, sagt Benjamin Krautschat, der beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) für Jugendthemen zuständig ist. „Die Ausbildung ist ein Lernverhältnis. Wenn man Fragen hat, muss man sie auch stellen können, auch zum zweiten oder dritten Mal.“

WENN ETWAS SCHIEF LÄUFT

Bei Bayer Pharma ist der Ausbilder erster Ansprechpartner, wenn es um Fragen in der Ausbildung geht. Doch nicht in jedem Unternehmen steht für die Azubis auch tatsächlich ein Betreuer zur Verfügung. Laut DGB-Ausbildungsreport hat etwa jeder zehnte Lehrling keine direkte Bezugsperson.

Hat ein Azubi Probleme in der Ausbildung, muss er täglich Kaffee kochen oder kopieren und lernt nicht wirklich etwas dazu, dann sollte er sich an die Azubivertretung des Arbeitgebers wenden, an den Betriebsrat oder die Gewerkschaft. „Dort kann man sich über seine Rechte und Pflichten informieren, und erfährt, welche Optionen man hat, die Lage zu ändern“, rät Krautschat.

Zu wenig dazuzulernen – davor fürchtet sich Anni Knitter nicht. Sie hat noch zweieinhalb Jahre vor sich. Die Zeit, die ihr noch bleibt, versucht sie jetzt „zu genießen“, sagt sie, bevor es beruflich dann richtig ernst wird: Etwa jeder zweite Azubi wird bei dem Pharmakonzern übernommen.

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