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Wirtschaft: Alles fließt

Kaktusfeige, Fichte, Holunderblüte: Die Limonadenszene in Deutschland erfindet sich ständig neu

Berlin - Aberhunderte Flaschen bahnen sich in der Berliner-Kindl-Schultheiss- Brauerei in Hohenschönhausen täglich ihren Weg durch zwei große Abfüllanlagen. Es klappert und zischt, wenn die bräunliche Flüssigkeit aus den großen Metalltanks über Schläuche in die Flaschen gefüllt wird. Kronkorken drauf, Etikett drum, und fertig ist die Limo. Denn die Brauerei stellt nicht nur Bier her, sondern auch eine berühmte Limonade namens „Rixdorfer Fassbrause“. Sie ist die originale Fassbrause, sagt die Brauerei, die das Getränk schon seit 1940 verkauft. Mittlerweile gibt es auch Nachahmer. In Berlin wird die Fassbrause auch „Sportmolle“ genannt – Molle heißt auf Berlinerisch Bierglas oder Bierflasche. In dem Getränk, das leicht fruchtig und malzig schmeckt, stecken Wasser, Frucht- und Kräuteraroma sowie Kohlensäure. Besonders beliebt ist die Fassbrause in Berlin und im Osten, sagt die Brauerei. Wie beliebt, will das Unternehmen aber nicht verraten. Denn Kindl-Schultheiss gehört zur Radeberger-Gruppe, und die ist im Besitz vom Lebensmittelkonzern Oetker. Zahlen gibt die Gruppe nicht heraus. Die Fassbrause, die wie ihr Name verspricht, nicht nur in Flaschen, sondern auch in Fässer abgefüllt wird, laufe gut, sagt Bettina Pöttken, Sprecherin der Brauerei. „Endlich ist Sommer, die Fußball-WM hat begonnen, und die Nachfrage zieht an.“

Limonade herstellen klingt leicht und wirkt wie ein verlockendes Geschäft. Denn für eine Limo müssen meist nur Wasser, Aroma und Kohlensäure vermischt werden. Im Supermarkt aber lässt sich mit einfachen zuckrigen Erfrischungsdrinks heute nicht viel verdienen. „Erfrischungsgetränke stehen unter einem hohen Preisdruck“, sagt Detlef Groß, Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke. Obwohl die Limonadenproduktion 2009 um sieben Prozent anstieg, sanken die Umsätze um rund fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Getränke wurden billiger. Um Geld mit Limo zu verdienen, muss ein Großkonzern dahinter stehen oder eine originelle Idee für die Massen her. „In Szenebars ist ein anderer Preis realisierbar als im Vertrieb über den Einzelhandel oder Supermärkte“, sagt Groß.

Bionade hat es vorgemacht. Einst ein Nischenprodukt, ist das Erfrischungsgetränk längst zur Massenware geworden. Die Bio-Limo, die nicht gemixt, sondern gebraut wird, steht heute in jedem Supermarkt. Erfunden hat sie Dieter Leipold, in einer kleinen Brauerei in Ostheim an der Rhön, die Mitte der 90er Jahre kurz vor der Pleite stand. Leipold wollte ein Erfrischungsgetränk schaffen, das fermentiert wird, ohne, dass dabei Alkohol entsteht. Zehn Jahre forschte er, bis er ein Brauverfahren entwickelt hatte – abgeguckt von der Honigproduktion der Bienen.

Bionade hat ein gesundes Image, wirbt mit wenig Zucker und mit Bioinhaltsstoffen aus der Region. Doch zunächst wollte das Getränk keiner kaufen. Seinen Durchbruch feierte es erst Anfang des Jahrtausends in Hamburg. Bionade schwamm auf der Biowelle. 2002 übernahmen die Söhne der Gründerfamilie die Geschäfte und machten Bionade zum Massengetränk. In einigen Städten kooperiert der Hersteller mit Coca-Cola, Bionade gibt es bei McDonald’s, bei Starbuck’s und sogar bei Ikea. Statt Szene das große Geld. Aus wenigen Millionen Flaschen sind mehrere hundert Millionen geworden. Umsätze kommuniziert die Firma nicht. Allerdings gab es im Jahr 2009 einen Einbruch, nachdem das Unternehmen die Preise um 30 Prozent erhöht hatte.

Die Gründersöhne verkauften ihr gut laufendes Geschäft im Oktober 2009 zu 70 Prozent an Oetker. Der Kaufpreis, so wird in den Medien spekuliert, soll bei 20 Millionen Euro gelegen haben. Die Gründersöhne haben das nach eigenen Angaben wieder in ihre Limo investiert.

Seit das Bionade-Zeitalter angebrochen ist, gibt es ständig neue Szenegetränke. „Bionade ist eine tolle Erfolgsgeschichte, da haben viele gedacht, das machen wir auch“, sagt Niklas Other vom Branchenmagazin „Inside Getränke“. Manche werben mit Lebensgefühl, andere mit ihrem gesunden Image, wieder andere mit politischen Botschaften. Nur ein paar überleben am Markt. 2007 kam die Surfer-Limonade Aloha heraus, 2009 die Fairtradedrinks LemonAid und Charitea, der Heilpflanzendrink Sutherlandia und Wostok, der nach Fichtennadel schmecken soll. Reich geworden sind die meisten der kleinen Szenegetränk-Start-ups bisher mit ihren Limonaden nicht. Der Transport und der Ankauf von Flaschen und Kästen fürs Mehrwegsystem sind teuer. Die Getränke kosten in den Kneipen meist zwischen 1,80 und drei Euro, das meiste davon bleibt aber beim Kneipier.

Die Hamburger Jakob Berndt und Paul Bethke saßen monatelang in der Küche, brühten Tee auf, pressten Limetten aus, so lange, bis sie den richtigen Geschmack gefunden hatte. Am Anfang zogen sie mit Bottichen von Kneipe zu Kneipe, weil sie noch keine Flasche entworfen hatten. „Wir wollten Fairtrade-Limo und -Tee verkaufen – ohne, dass sie ans Reformhaus erinnern“, sagt Berndt. Die Macher von LemonAid und Charitea verwenden so weit möglich nur Fairtrade-Produkte. Mittlerweile befüllen sie 50 000 Flaschen im Monat. „Vergangenen Monat haben wir uns das erste Gehalt ausgezahlt“, sagt Berndt.

Die Erfinder der Surfer-Limonade Aloha haben dagegen über Warsteiner den Sprung in die Supermärkte geschafft. „Wir sind hinter Bionade Nummer zwei“, behauptet Mitbegründer John Wiebelitz. Selbst Surfer, wollte er eine exotische und fruchtige Limonade schaffen, die nicht „so biomäßig“ ist. In Aloha stecken exotische Fruchtsäfte. „Wir hoffen, dass wir irgendwann gut damit verdienen“, sagt Wiebelitz. Noch keine Spur vom großen Geld also. Zwar würden Marken wie Bionade und Aloha stark wahrgenommen, weil sie in der exponierten Szenegastronomie ausgeschenkt werden, sagt Branchenexperte Other. „Die tatsächlichen Marktanteile sind aber viel geringer als man denkt.“ Das bestätigt auch Verbands-Geschäftsführer Groß: „Die Klassiker wie Cola werden weiterhin den Markt dominieren.“

Abnehmer für die Szenegetränke gibt es indes genug. Die Deutschen trinken gerne Limonaden, 2009 waren es rund 90 Liter pro Kopf und damit rund acht Prozent mehr als im Jahr zuvor. Besonders legten die fruchtsafthaltigen Limos zu, die Cola büßte deutlich ein. Denn viele Konsumenten geben ihr Geld lieber kleinen Herstellern als großen Konzernen, kaufen Nischencolas wie Fritz- und Afri-Cola, den Wachmacher Club-Mate oder die Kräuterlimo Almdudler aus Österreich. Auch Coca-Cola versuchte, auf den Trend der gesunden Limonaden aufzuspringen und schuf „The Spirit of Georgia“. Trotz wenig Zucker und Blutorangen-Kaktusfeigen-Geschmack wird es das Getränk des Großkonzerns in der Szene schwer haben.

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