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Per Du: Autokanzlerin Angela Merkel und Autopräsident Matthias Wissmann.Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Parteispenden und Lobbyismus: Am Ohr der Kanzlerin

Die Autoindustrie beschäftigt die mächtigsten Lobbyisten – und verlässt sich auf persönliche Kontakte.

Als Gerd Lottsiepen vor Jahren in Brüssel eine Abgeordnete des EU-Parlaments in ihrem Büro traf, um mit ihr über die CO2-Regulierung zu sprechen, überraschte ihn die Politikerin mit dem Satz: „Entschuldigen Sie, der Teppich unter Ihrem Stuhl ist nass.“ Ihrem verdutzten Besucher vom ökologischen Verkehrsclub VCD erklärte sie schmunzelnd: „Es waren so viele Autolobbyisten vor Ihnen hier, die über die geplante CO2-Regulierung in Europa geweint haben.“

Lottsiepen weiß im Rückblick, dass sich die Tränen der Interessenvertreter gelohnt haben. Den jetzt auf Drängen Deutschlands verschobenen Kompromiss für strengere CO2-Vorgaben für Neuwagen in der EU bezeichnet der Umweltexperte als „Meisterstück“ des Industrielobbyismus. BMW und Daimler, die ihr Geld mit großen Limousinen verdienen, werden voraussichtlich mehr Zeit für die Schadstoffreduzierung bekommen – und dürfen ihre wenigen Elektroautos gleich mehrfach auf ihre CO2-Bilanz anrechnen. Die Argumente der Konzerne wurden gehört: Wirtschaftlich seien die geplanten Klimavorgaben der Politik nicht mehr umsetzbar, das Kerngeschäft mit herkömmlichen Fahrzeugen leide – und zwar so sehr, dass Arbeitsplätze in Gefahr sind.

Arbeitsplätze sind ohnehin ein gutes Argument, wenn die Wirtschaft etwas von der Politik will – oder umgekehrt. Niemand in der deutschen Autoindustrie weiß das besser als Matthias Wissmann. Der Präsident des Automobilverbands VDA kennt beide Seiten – 1993 war er Forschungs- und Technologieminister, von 1993 bis 1998 Bundesverkehrsminister. Wissmann, Duz- und Parteifreund von Angela Merkel (CDU), spielt auf der Klaviatur der Lobbyisten deshalb besonders virtuos. „Herr Wissmann hat das Ohr der Kanzlerin“, glaubt Gerd Lottsiepen. In der Debatte um strengere CO2-Werte für BMW, Daimler und Co. warnte der VDA- Präsident stets vor dem Abbau tausender Arbeitsplätze in der deutschen „Schlüsselindustrie“ mit bundesweit 750 000 fest Angestellten und vielen mehr in der Zulieferindustrie. Setze sich die EU-Kommission durch, sei die Existenz deutscher Konzerne gefährdet, sagte Wissmann voraus. „Dann stünde Dingolfing zur Disposition“, warnte der VDA-Präsident beim diesjährigen eMobility Summit des Tagesspiegel und hatte dabei das größte BMW- Werk mit 18 500 Mitarbeitern im Blick.

Viele in der Autoindustrie sagen, dass die Bundesregierung vor allem BMW einen Gefallen getan habe, indem sie den mühsam in Brüssel erzielten CO2-Kompromiss torpedierte. Mit einem durchschnittlichen CO2-Wert seiner Flotte von mehr als 130 Gramm je Kilometer hätte BMW bis 2020 viel zu tun gehabt, um die EU- Norm zu erfüllen. Und sein neues Elektroauto i3 würde sich BMW auch gerne stärker anrechnen lassen, als die EU-Kommission bislang erlauben will.

Doch die CO2-Regulierung ist nur ein Beispiel für erfolgreiche Lobbyarbeit der wichtigsten Industriebranche Deutschlands und die Nützlichkeit persönlicher Netzwerke. Kritik hatte es auch daran gegeben, dass der Ex-Staatsminister im Kanzleramt, Eckart von Klaeden (CDU), am Jahresende Daimler-Lobbyist werden soll. Eher lautlos kam bei Volkswagen der frühere stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg 2012 als „Generalbevollmächtigter für Außen- und Regierungsbeziehungen“ auf die Gehaltsliste. Der Autokanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte ihn ins Bundespresseamt geholt.

Der Wolfsburger Autokonzern, Europas größter Hersteller, ist ohnehin ein Sonderfall: Von 2005 bis 2009 hatten Sozial- und Christdemokraten beim VW-Gesetz bewiesen, dass sie an einem Strang ziehen. Das Gesetz sichert dem Anteilseigner Niedersachsen einen besonderen Einfluss im Konzern, eine Art Sperrminorität für die Interessen des Landes.

Sicherheitsgurt, Tempolimit, Katalysator, Partikelfilter, Pkw-Maut, Effizienzlabel, CO2 – die Liste der regulatorischen Eingriffe, an denen sich die Autolobby abgearbeitet hat, ist lang. „Stets ist es der Industrie gelungen, auf Zeit zu spielen und am Ende Zeit zu gewinnen“, sagt VCD-Experte Lottsiepen. Das ist nicht zuletzt den Heerscharen von Lobbyisten in Brüssel zu verdanken, wo die Branche am härtesten gegen unangenehme Gesetze und Verordnungen kämpft – hinter gut verschlossenen Türen. „Intransparenz verschafft vor allem denen Vorteile, die über informelle Wege – wie etwa gute Kontakte – einen Informationsvorsprung erlangen können“, kritisiert die Organisation Lobby-Control. Dass auf offener Bühne nun über Merkels Intervention in Brüssel und die Großspende der BMW-Mehrheitseigentümer für die CDU diskutiert wird, dürfte die Autoindustrie alarmieren. „Frau Merkel hat den Bogen in Brüssel überspannt und viele sehr verärgert“, sagt ein Beobachter. Dies könne sich in Zukunft für die Autobranche rächen.

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