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Navarri

© Kai-Uwe Heinrich

André Navarri: "Die Eisenbahn ist stark im Kommen"

Der Chef des größten Bahntechnikkonzerns Bombardier Transportation, André Navarri, über saubere Züge, die Expansion der Russen und den Standort Berlin.

Herr Navarri, Sie dürften einer der wenigen sein, die gegen steigende Benzinpreise nichts einzuwenden haben.

Ja, die Entwicklung beim Öl ist gut für den Schienenverkehrssektor. Viele können es sich nicht mehr leisten, mit dem Auto zu fahren. Deshalb wachsen die Fahrgastzahlen im öffentlichen Nahverkehr vielerorts mit zweistelligen Raten. Der Klimawandel kommt hinzu: Der Verkehr verursacht 30 Prozent des Kohlendioxid-Ausstoßes. Davon kommen 84 Prozent vom Straßenverkehr, aber nur ein Prozent von der Schiene. Die Eisenbahn ist das umweltfreundlichste Verkehrsmittel, deshalb wird es für sie einen neuen Schub geben.

Was bedeutet das für die Bahnindustrie?

Ohne den Ausbau der Schiene werden sich die CO2-Emissionen bis 2020 nicht um 20 Prozent senken lassen. Europa hat die einmalige Gelegenheit, hier zum Vorreiter zu werden. Der Kontinent besitzt eine hervorragende Infrastruktur, auf der noch viel mehr Zugverkehr möglich ist. Wir lesen das am Auftragseingang ab. Pro Jahr bekommen wir Bestellungen im Wert von elf Milliarden Dollar, insgesamt sind es derzeit 31 Milliarden. Das hat es in der Branche noch nie gegeben. Die großen Länder bestellen alles, von der Straßenbahn bis zum Hochgeschwindigkeitszug. Die Eisenbahn ist stark im Kommen.

Die Autobahnen sind voll, Bahn fahren gilt bei uns noch immer als teuer.

Wer einmal erlebt hat, wie angenehm das Reisen in modernen Zügen ist, lässt sein Auto stehen. Das ist wie ein Schneeballeffekt: Es gibt mehr Komfort, Klimatisierung, Platz, Passagierinformation. Das werden die Deutschen bald sehen. Die Deutsche Bahn hat 321 Regionalzüge vom Typ „Talent 2“ bestellt, die wir ab 2009 ausliefern. Wir werden ihn erstmals im September auf der Bahn-Messe Innotrans in Berlin präsentieren. Bei den Regionalzügen erwarten wir in den kommenden Jahren das stärkste Wachstum.

Die Bahn will auch neue Schnellzüge für Verbindungen nach Frankreich kaufen. Wie sind Ihre Chancen?

Der Wettbewerb wird sich zwischen uns, Siemens und Alstom entscheiden. Wir rechnen uns mit unserem Zug „Zefiro“ gute Chancen aus.

Bislang hat Siemens alle ICE-Züge gebaut. Wird es gerecht zugehen?

Siemens hat den ICE mit uns im Konsortium gebaut. Ein erheblicher Teil der ICE- Technologie kommt von Bombardier. Übrigens sind wir in Westeuropa an 95 Prozent aller Hochgeschwindigkeitsprojekte beteiligt. Wir sind auf die Ausschreibung gut vorbereitet und haben keinen Grund zur Annahme, dass ein Anbieter bevorzugt werden soll. Es ist Zeit für eine neue Generation von Hochgeschwindigkeitszügen. Sie muss genauso komfortabel sein wie die Business-Class im Flugzeug.

Tut die Politik genug für die Eisenbahn?

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist eine starke Unterstützerin des Klimaschutzes. Wir brauchen mehr Politiker wie sie, die etwas für die Umwelt tun und nicht nur darüber reden. Frustriert bin ich dagegen darüber, wie wenig auf der europäischen Ebene passiert. Seit Jahren streiten die Länder über eine Euro-Vignette für Lastwagen. Oder über den Ausbau des Korridors Rotterdam-Genua für den Güterverkehr. Oder über das elektronische Zugsteuerungs- und Signalsystem ERTMS, das den grenzüberschreitenden Verkehr erleichtert. Angesichts des Klimawandels ist es gefährlich, wenn politische Entscheidungsprozesse so lange dauern.

Was bedeutet der Börsengang der Bahn für Sie?

Der Konzern kann mit dem frischen Geld aus der Teilprivatisierung modernisieren und expandieren. Die Bahn ist einer unserer größten Kunden, deshalb ist die Privatisierung gut für uns. Aber die Debatte hat viel zu lange gedauert. Wenn der Konzern nun neue Züge bestellt, könnte es angesichts der anziehenden Nachfrage zu sehr langen Lieferfristen kommen.

Warum sollte die Bahn in neue Züge investieren – statt in Güterverkehrszentren in China, die mehr Rendite versprechen?

Die Bahn ist vor allem ein deutscher Anbieter, der auch weiterhin im Regionalbereich eine starke Rolle spielen wird. Die Bahn wird ihr Intercity-Netz weiterentwickeln. Und sie ist der größte Anbieter im Schienen-Güterverkehr. Wächst die Bahn, dann wächst auch Bombardier.

Die deutschen Bombardier-Werke stehen also vor rosigen Zeiten?

Wir hatten seit 2004 eine schwierige Phase – wir mussten Arbeitsplätze abbauen, unsere Fabriken restrukturieren und das Werk in Halle-Ammendorf sogar schließen. Das ist nun vorbei, von unserem hohen Auftragsbestand profitieren alle acht deutschen Standorte, natürlich auch Hennigsdorf. Die „Talent-2“-Regionalzüge für die Deutsche Bahn werden maßgeblich in Deutschland gefertigt. Straßenbahnen und Lokomotiven exportieren wir in alle Welt. Die deutschen Werke sind momentan ganz gut ausgelastet, allerdings gibt es noch Spielraum nach oben. Von unseren weltweit 30 000 Beschäftigten arbeiten 8000 in Deutschland, wir haben hier den größten Marktanteil.

Wie wird sich Hennigsdorf entwickeln?

Hennigsdorf ist eines der größten Werke in Europa. Es ist Zentrum unserer wichtigsten Division Mainline. Allein 1600 Menschen arbeiten in Hennigsdorf in diesem Geschäftsbereich. Hennigsdorf profitiert stark vom „Talent-2“-Auftrag der Bahn. Auch die Endmontage der Straßenbahnen für die BVG erfolgt dort.

Werden Sie zusätzliche Stellen schaffen?

Ja, wir suchen Personal. Ich kann nicht sagen, wie viel es sein wird, aber es wird nicht einfach, genügend Ingenieure und Projektmanager zu finden. Deshalb machen wir Partnerschaften mit Universitäten. Für uns wird qualifiziertes Personal der größte Engpassfaktor sein.

Berlin ist Ihre Welt-Zentrale – am stärksten wächst das Geschäft aber in Asien.

Berlin ist ein guter Standort für ein Hauptquartier. Die Stadt ist schön, die Politik unterstützt uns, wir haben nicht vor, etwas zu verändern. Mit der Bahn und den privaten Anbietern haben wir viele wichtige Kunden hier. Bislang ist unsere Beziehung zu Berlin eine Love-Story. Europa wird auf Dauer ein wichtiger Markt bleiben, hier machen wir 70 Prozent unseres Umsatzes. Aber Sie haben Recht, der asiatische Markt wächst stärker. In Indien bauen wir ein neues Werk. In China sind wir schon sehr lange aktiv und das sehr erfolgreich. Jede zweite U-Bahn, die heutzutage bestellt wird, geht nach China.

Der russische Bahntechnik-Hersteller Transmashholding hat große Pläne. Ist es denkbar, dass die Russen bei Bombardier einsteigen – und im Gegenzug umfangreiche Aufträge an Sie vergeben?

Das ist in absehbarer Zeit nicht unser Plan, aber wir können nie nie sagen, das Leben ist immer offen. Mit Transmashholding unterhalten wir drei Gemeinschaftsunternehmen. Wir entwickeln die nächste Generation russischer Lokomotiven. Die schiere Größe des Landes und den Bedarf an Material halten wir für viel versprechend. Bis 2015 braucht Russland über 11 500 neue Lokomotiven, da müssen wir dabei sein.

Für Russland wäre der Einstieg bei einem Konzern aus einer strategisch wichtigen Branche nicht uninteressant. Gibt es politische Bedenken – etwa seitens der USA?

Das sind Spekulationen. Bombardier ist ein Familienunternehmen. Wir legen Wert darauf, die Kontrolle zu behalten. Deshalb machen wir in erster Linie Partnerschaften, bei denen wir entscheiden.

Sie wollen bis 2009 ihre Rendite auf sechs Prozent steigern. Schaffen Sie es angesichts des Booms nicht früher?

Wir könnten besser sein. Sicherlich sind wir nicht so profitabel wie Yahoo oder Google. Aber wir sind erst vor vier Jahren in die Gewinnzone zurückgekehrt, jetzt liegt die Rendite bei 4,8 Prozent. Es braucht Zeit, die Marge zu erhöhen. Aber wenn wir die sechs Prozent erreicht haben, ist das auch nachhaltig. Und kennen Sie ein Unternehmen mit mehr als vier Jahren Auftragsbestand? Dem Markt scheint unsere Story zu gefallen: Als ich zu Bombardier kam, kostete die Aktie 2,50 Dollar, jetzt ist sie bei etwa acht Dollar.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup

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