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Anwalt Ulrich Schellenberg: „Sollen wir uns etwa im Park treffen?“

Ulrich Schellenberg, Chef des Berliner Anwaltsvereins, über das Abhören von Telefonen, Erfolgshonorare und Abmahnanwälte.

Herr Schellenberg, würden Sie Ihrem Sohn raten, Anwalt zu werden?

Das ist eine schwierige Frage. Die Berufsaussichten sind im Moment nicht so, dass man vorbehaltslos zum Anwaltsberuf raten kann. Noch vor zehn Jahren konnte man sich einfach selbstständig machen, sein Schild an der Tür aufhängen und warten, dass die Mandanten kommen. Das geht heute nicht mehr. Heute braucht man, um Erfolg zu haben, eine gute, präzise Planung, einen Businessplan. Der Anwalt muss wie ein Unternehmer denken. Das heißt: Er muss sich entweder auf ein bestimmtes Rechtsgebiet spezialisieren oder auf eine bestimmte Kundschaft. Junge Anwälte sollten sich zudem unbedingt mit anderen Kollegen zusammenschließen.

Wie viele junge Anwälte scheitern?

Die Quote der Berufsanfänger, die ihre Zulassung zurückgeben, steigt kontinuierlich.

Es gibt Anwälte, die auf Laufkundschaft warten und eine Rechtsberatung für ein Pauschalhonorar von 20 Euro anbieten, und Wirtschaftsanwälte, die große Firmenfusionen begleiten. Wie groß ist die Verdienstspanne in der Anwaltschaft?

Die Schere hat sich weit geöffnet. Es gibt den Anwalt, der nebenher noch Taxi fährt, und den Anwalt, der Millionen verdient.

Einige Anwälte suchen gezielt im Internet nach Rechtsverstößen und leben davon, dass sie Schülern Unterlassungserklärungen schicken, weil diese unerlaubterweise einen Stadtplan auf ihre Homepage gestellt haben. Schadet das nicht dem Image der Anwaltschaft?

Im Internetbereich gibt es jetzt eine Obergrenze für die anwaltlichen Gebühren. Aber die Politik könnte noch weiter gehen und bei bestimmten Bagatellfällen gänzlich von einer Rechtsverfolgung absehen. Solange das nicht geschieht, arbeitet auch der Abmahnanwalt auf einer gesetzlichen Grundlage. Dennoch ist es fatal, wenn das eigene Gebühreninteresse im Vordergrund steht. Wenn ein Anwalt gezielt nach Rechtsverstößen und Mandanten sucht, um Gebühren zu kassieren, muss sich die Anwaltschaft damit beschäftigen. Ich warne vor einem Anwaltsbild, wie wir es in Amerika haben.

Auch in Deutschland sollen Anwälte künftig Erfolgshonorare verlangen dürfen. Das klingt doch sehr nach amerikanischen Verhältnissen.

Dass Erfolgshonorare zugelassen werden sollen, geht auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurück. Dabei ging es um einen Einzelfall, bei dem ein Kläger keine Prozesskostenhilfe beantragen konnte, die Anwaltskosten aber auch nicht aus eigener Tasche zahlen konnte. Die Anwaltschaft und das Bundesjustizministerium sind sich aber einig, das Tor nur ein Stück zu öffnen.

Wie soll das gehen?

Angenommen, jemand klagt wegen einer Erbschaft oder wegen eines ärztlichen Kunstfehlers auf eine Million Euro, könnte aber im Fall des Misserfolgs das Anwaltshonorar nicht zahlen, dann wäre das ein Fall für ein Erfolgshonorar. In dieser Nische arbeiten bislang die Prozessfinanzierer.

Können die künftig einpacken?

Bei Prozessen mit guten Erfolgsaussichten ist es für den Anwalt und den Mandanten lukrativer, ein Erfolgshonorar zu vereinbaren. Prozesse mit schlechten Erfolgschancen sind aber auch für die Prozessfinanzierer uninteressant. Insofern dürfte das Geschäft für die Prozessfinanzierer in Zukunft schwerer werden.

Was würde passieren, wenn Anwälte nur noch nach Erfolg bezahlt würden?

Wir hätten dann eine volle Kommerzialisierung unseres Berufsstandes. Der Mandant braucht aber einen Anwalt, der ihm auch mal davon abrät, einen Prozess zu führen. Heute wird über die Hälfte aller Fälle vom Anwalt gütlich beigelegt. Diese wirtschaftliche Freiheit geht verloren, wenn Anwalt und Mandant in einem Boot sitzen. Hinzu kommt, dass der Anwalt das Erfolgshonorar dann so hoch ansetzen müsste, dass er damit die verlorenen Fälle quersubventionieren könnte. Dann hätten wir aber wirklich amerikanische Verhältnisse. In den USA gibt es ein ausgeklügeltes System, um Schadenersatzansprüche geltend zu machen. Aber es interessiert sich kein Anwalt für kleinere Streitwerte, zum Beispiel im Familienrecht, Arbeitsrecht oder Mietrecht. Bei solchen Fragen gibt es kaum wirksamen Rechtsschutz.

Wie sehr dürfen Anwälte zu Kumpanen ihrer Mandanten werden und ihnen etwa bei der Hinterziehung von Steuern – Stichwort Liechtenstein – behilflich sein?

Der Anwalt ist parteiisch. Er muss sich immer für die Interessen der Mandanten einsetzen. Dabei kommt er natürlich an Grenzbereiche. Die Grenze liegt da, wo die Straftat beginnt. Der Anwalt darf sich nicht zum Kumpanen des Mandanten machen, wenn es um Rechtsverletzungen geht. Und die Anwälte tun das auch nicht, denn ein solches Verhalten könnte sie die Zulassung kosten.

Seit Anfang des Jahres dürfen die Telefone und Kanzleiräume von Anwälten verwanzt werden, die Telefonverbindungen werden gespeichert. Lässt sich das Berufsgeheimnis überhaupt noch aufrechterhalten?

Wir haben jetzt eine paradoxe Situation: Strafverteidiger dürfen nicht abgehört werden und ihnen dürfen auch keine Trojaner auf den Computer geschickt werden. Andere Anwälte sind dagegen nicht geschützt. Hier wird die Anwaltschaft auseinanderdividiert. Das ist nicht akzeptabel, und es ist auch nicht praktikabel. Was soll ich denn machen, wenn mir ein Mandant am Telefon von einem vermeintlich zivilrechtlichen Problem erzählt und ich merke, es geht um eine Straftat? Soll ich dann sagen: Kein Wort mehr, wir treffen uns im Park? Die Politik ist weit übers Ziel hinausgeschossen, wir müssen dagegen kämpfen.

Das Gespräch führte Heike Jahberg.

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