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Wirtschaft: „Arbeit ist gut für die Seele“

Richard Layard, ehemaliger Berater von Tony Blair und Wirtschaftsprofessor, über die Rolle des Glücks für Politik und Wirtschaft

Herr Layard, was hat Glück mit Wirtschaft zu tun?

Im 19. Jahrhundert haben Ökonomen wie John Stuart Mill darüber nachgedacht, unter welchen Bedingungen man die glücklichste Gesellschaft schaffen kann. Im 20. Jahrhundert adoptierten sie die Sicht, dass man Glück nicht messen kann. Also schrumpften Ökonomie und Psychologie zu engstirnigen Wissenschaften, die davon ausgehen, dass Geld und Glück zusammengehören. Nun befasst sich die Psychologie aber wieder damit, unterstützt von Neurologen. Ich hoffe sehr, dass die Wirtschaftswissenschaft ihnen folgt und wir Einkommen wieder nur als einen von vielen Faktoren sehen, die das Glück einer Person definieren.

Wie kann man Glück denn messen?

Man kann die Menschen fragen. Der Durchbruch ist, dass Neurologen Gebiete im Hirn gefunden haben, die aktiver sind, wenn die Person denkt, dass sie glücklich ist. Also ist Glück ein objektiv messbares Phänomen.

Bei einer Gehaltserhöhung reagiert das Gehirn also nicht?

Wir haben herausgefunden, dass ab einem bestimmten Wohlstandslevel, wenn die dringendsten Bedürfnisse gestillt sind, das Glücksempfinden kaum noch wächst. Wirtschaftswachstum allein macht also nicht glücklicher. Glück hat vor allem mit persönlichen Beziehungen zu tun. Einkommen spielt vor allem eine Rolle, weil man sich mit den anderen vergleicht. Wir sollten aber persönliche Beziehungen bei der Jagd nach mehr Einkommen nicht opfern.

Was kann die Politik tun?

Wichtigster Grund für Unglück sind psychische Erkrankungen. Wir sollten den 16 Prozent der Bevölkerung, die unter Depressionen und Angstzuständen leiden, viel mehr zur Seite stehen. Das ist meine aktuelle Kampagne, in der ich dazu aufrufe, dass der britische staatliche Gesundheitsdienst 10 000 Psychotherapeuten einstellt. Wichtige Aufgabe der Politik ist aber auch, die Menschen in Arbeit zu bringen. Denn das ist Bedingung für das psychische Wohlbefinden.

Sie sind Architekt der „Welfare to Work“-Politik der britischen Labour-Partei. Den Druck auf Arbeitslose zu erhöhen, einen Job anzunehmen, macht sie also glücklich?

Arbeit ist gut für die Seele. Mit fast jeder Arbeit wird man sich besser fühlen, als wenn man keine Arbeit hätte. Unsere Forschung zeigt, dass es in Ländern, deren Arbeitsmarktpolitik Druck auf Menschen ausübt, vorhandene Jobs anzunehmen, weniger unglückliche Menschen gibt.

In Deutschland scheinen die Hartz-Reformen die Menschen nicht glücklicher gemacht zu haben.

Die Reformen sind eben nicht weit genug gegangen. Am Ende werden die Arbeitslosen sich bei der Bundesregierung bedanken.

Stehen die Glücksforscher auf der Seite der liberalen Wirtschaftspolitik, die den Arbeitsmarkt flexibilisieren will?

Begriffe wie liberal und flexibel sind nutzlos.Was soll daran flexibel sein, wenn ein Arbeitsloser eine Arbeit annehmen soll? Wir müssen weg von den Ideologieschlagworten hin zu der menschlichen, psychologischen Realität einer Situation. Es ist ja genauso richtig, dass der Staat am Ende einspringt. Wenn jemand ein Jahr lang keinen Job findet, sollte der Staat ihm eine Tätigkeit anbieten. Die meisten suchen sich vorher lieber selbst einen Job. So ist das auch in Dänemark, und die Dänen gehören zu den glücklichsten Menschen weltweit.

Die USA oder Großbritannien liegen beim Glück im Mittelfeld. Und dort gibt es am wenigsten Arbeitslose.

In Großbritannien und den USA ist vor allem der wachsende Individualismus gefährlich. Die Vertrauenslevel sind hier mehr gefallen als in den anderen EU-Ländern. Hierzulande wächst der Druck auf Individuen enorm, ihren persönlichen Erfolg als einzige Rechtfertigung zum Leben zu haben. Dabei ist man glücklicher, wenn man anderen von Nutzen ist.

Wie soll das die Politik ändern?

Es geht um die Veränderung von Wertesystemen. Ich glaube, dass wir eine Rückkehr des Moralismus brauchen. Gerade machen wir damit Versuche in Schulen mit Elfjährigen. So kann man Depressionen bei Teenagern und antisoziales Verhalten reduzieren. Wir müssen den Kindern beibringen, was gut und schlecht ist, und ihnen erklären, dass sie Zufriedenheit durch gute Beziehungen zu anderen Menschen erlangen und nicht nur über die Suche nach dem eigenen Vorteil.

Kostet das nicht alles sehr viel Geld?

Nein, die Kosten würden sich dadurch aufheben, dass etwa weniger Geld für antisoziales Verhalten oder Arbeitslosengeld ausgegeben werden müsste.

Sie stehen also gar keiner Ideologie nahe?

Ich habe eine Präferenz für das Prinzip der Gleichheit. Ein Mensch mit 10 000 Euro ist über einen Euro glücklicher als jemand, der 100 000 hat. Mehr Gleichheit führt auch zu besseren menschlichen Beziehungen und mehr Vertrauen.

Das Gespräch führte Flora Wisdorff.

Richard Layard (72) ist Wirtschaftsprofessor an der London School of Economics. Er ist Autor von „Die Glücksgesellschaft“ und hat Tony Blair bei dessen Arbeitsmarktpolitik beraten.

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