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Arzneimittel-Atlas 2007: Berliner schlucken die meisten Pillen

In keinem anderen Bundesland ist der Arzneiverbrauch so hoch wie in der Hauptstadt. Auch insgesamt wird in Ostdeutschland wesentlich mehr Geld für Medikamente ausgegeben als im Westen. SPD-Politiker Lauterbach sieht die Pharmaindustrie in der Verantwortung.

Berlin - Die Berliner schlucken bundesweit die meisten Medikamente. Mit 446 Euro lag der Verbrauch pro Einwohner im vergangenen Jahr um 100 Euro höher als in Bayern, dem Land mit den niedrigsten Pillenkonsum. Das ist Ergebnis des Arzneimittel-Atlas 2007, der am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Auftraggeber ist der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA). Auch insgesamt, das zeigt die Studie, geben die gesetzlichen Krankenkassen in Ostdeutschland wesentlich mehr Geld für Medikamente aus als westdeutsche Kassen. Auf jeden Ostdeutschen kommen statistisch gesehen 425 Euro für Pillen – und damit 55 Euro mehr als im Westen.

Der Unterschied zwischen Ost und West hat nach Ansicht des Gesundheitsexperten und Mitautors Bertram Häussler vom Berliner IGES-Institut vor allem demografische Gründe. Weil der Anteil älterer Menschen in den neuen Bundesländern größer sei, seien auch die Medikamentenausgaben höher. Außerdem gebe es in Ostdeutschland mehr kranke Menschen, schreiben die Autoren des Arzneimittel-Atlas. Sie machen das fest an dem Anteil übergewichtiger Menschen, der im Osten besonders hoch sei.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gibt dagegen den Ärzten und der Pharmaindustrie eine Mitschuld am hohen Pillenverbrauch. Weil Ärzte in Ostdeutschland weniger Zusatzeinkünfte durch Privatpatienten erzielen könnten als ihre westdeutschen Kollegen, seien sie anfälliger für das Marketing der Pharmaunternehmen, sagte Lauterbach dem Tagesspiegel. Mediziner seien daher eher bereit, ihren Patienten neue, teure Medikamente zu verschreiben.

Insgesamt gaben die gesetzlichen Kassen im vergangenen Jahr 25,9 Milliarden Euro für Arzneimittel aus. Mit zwei Prozent habe der Zuwachs aber deutlich unter den Werten des Vorjahres gelegen, heißt es beim VFA. Hintergrund ist das seit Frühjahr 2006 geltende Arzneimittelsparpaket, das zu Preissenkungen auf breiter Front geführt hat. Der Verbrauch an Arzneimitteln, vor allem an Cholesterin- und Blutdrucksenkern sowie Diabetesmitteln, ist nach Verbandsangaben aber um 1,2 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Dies sei aber zum größten Teil durch andere Faktoren wie Preissenkungen kompensiert worden.

Für das erste Halbjahr 2007 meldete das Bundesgesundheitsministerium gestern wieder schneller steigende Ausgaben. Nach vorläufigen Zahlen habe das Plus bei drei Prozent gelegen, teilte Gesundheitsstaatssekretärin Marion Caspers-Merk mit. Die Mehrwertsteuererhöhung im Januar sei dabei nicht berücksichtigt. Die SPD-Politikerin wertet den gedämpften Kostenanstieg als Erfolg der schwarz-roten Gesundheitsreform.

Doch nicht alle Kassen teilen diese Meinung. Der Bundesverband der Betriebskrankenkassen erwartet für das Gesamtjahr wieder einen Kostenanstieg von 8,4 Prozent bei den Arzneimitteln – das wären 2,1 Milliarden mehr als im Vorjahr. Insgesamt würden noch immer zu viele zu teure Medikamente verschrieben, zu denen es billige Alternativen gäbe, kritisierte der SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach.

Maren Peters

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