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Ein Albtraum? Nicht zwangsläufig. Mit Rücksicht und Gesprächen unter vier Augen mit dem nervigen Kollegen kann man die meisten Konflikte lösen. Foto: dpa

© picture-alliance/ ZB

Wirtschaft: Auf engstem Raum

Lärm, offene Fenster, Leberwurstbrot – das Großraumbüro birgt viele Konflikte. Doch mit ein paar einfachen Regeln lassen sich die Eigenarten der Kollegen gut ertragen.

Eigentlich könnte der Job ein Volltreffer sein. Anspruchsvolle Aufgaben, gute Arbeitszeiten, das Gehalt stimmt. Wären da nur nicht die Kollegen. Im Großraumbüro ist jeder Schreibtisch, jedes freie Regal hart umkämpft. Ein Mitarbeiter leidet offenbar unter Hitzewallungen, also wird auch bei Minustemperaturen das Fenster aufgerissen. Und obwohl der Lärmpegel bereits hoch ist, telefoniert eine Kollegin mehrmals täglich lautstark mit der Tagesmutter ihrer Kinder. Ob der Kürbisbrei den Kleinen nun geschmeckt hat oder nicht, weiß dann gleich die gesamte Abteilung. So kann der vermeintliche Traumjob im Großraumbüro zur Zerreißprobe werden. Die Konflikte sind vielfältig.

NEU IM TEAM

Vor allem wer neu in ein bestehendes Team kommt, leidet. Ein Beispiel. Trotz Gleitzeit hat sich eine Abteilung entschieden, möglichst früh ins Büro zu kommen und früher Feierabend zu machen. Der neu angestellte Mitarbeiter ist kein Frühaufsteher und nutzt die flexiblen Arbeitszeiten, um seine Schicht später anzutreten. Die Folge: Als der Neue eintrifft und zum Start seine Meinung zum gestrigen Fußballspiel kundtut, arbeiten die Kollegen bereits hochkonzentriert und reagieren genervt auf den Störer. Eine ähnliche Situation entsteht ein paar Stunden später. Der Arbeitstag der Frühaufsteher geht zu Ende, der Lärmpegel steigt. Der neue Kollege steckt gerade mitten in seiner produktivsten Arbeitsphase und wünscht sich Ruhe. Die Situation verschärft sich, der Neue findet keinen Anschluss und denkt sogar an einen Jobwechsel.

„Der Anpassungsprozess an Gepflogenheiten im Großraumbüro ist viel schwieriger als in kleineren Teams“, sagt Dirk Waschull, Professor für Konfliktlösung und Sozialrecht an der Fachhochschule Münster. Vor allem die Balance zwischen stillen und lauten Arbeitsphasen birgt heftiges Konfliktpotenzial. Wer von der herrschenden Büronorm abweicht, wird als Störer empfunden und ausgeschlossen. Ein Dilemma, aus dem man nur schwer herausfindet.

DIE MAROTTEN DER KOLLEGEN

Noch heikler sind die ganz privaten Eigenheiten der Kollegen. Zum Frühstück verspeist die Schreibtischnachbarin täglich ein Stück Kuchen. Ihr Schmatzen ist nicht zu überhören, ignorieren zwecklos. Sobald die Kollegin sich den ersten Bissen in den Mund schiebt, kann die Nachbarin sich nicht mehr konzentrieren und muss ihren Platz verlassen. Was tun? Erstmal nach dem Grund für die eigene Wut forschen, rät Karrierecoach Svenja Hofert. „Nicht die Kollegin ist das Problem, sondern die eigenen Schwächen machen wütend“, sagt Hofert. „Wenn man selbst ständig auf Diät ist, nervt natürlich die Kollegin mit dem Kuchen umso mehr.“

DURCHATMEN

Wie löst man solche Konflikte bevor sie eskalieren? „Eine Anleitung gibt es nicht“, sagt Konfliktberater und Mediator Georg Steffen. Wichtig sei, herauszufinden, was man selbst zum produktiven Arbeiten braucht und sowohl auf die Bedürfnisse des Kollegen als auch auf die eigenen, Rücksicht zu nehmen.

Meist sind weder die Privatgespräche, noch penetrante Parfüms oder die Frischluftfanatiker das Problem. Dahinter steckt viel mehr, dass einige Kollegen mehr Ruhe und Raum brauchen als andere, um gut arbeiten zu können. Der betroffene Mitarbeiter muss mit dem eigenen Anliegen konfrontiert werden – allein, ohne Kollegen und ohne den Chef. „Am besten suchen die Konfliktparteien nach gemeinsamen Lösungen“, sagt Steffen. Manchmal reicht es aus, den Platz zu tauschen. Ist der Lärm das Problem, können vereinbarte Ruhephasen oder Ruhezonen die Lösung sein. Auch gute Kopfhörer helfen gegen lautstarke Kollegen.

Für viele Mitarbeiter spielt der Büroplatz erst dann eine Rolle, wenn der Arbeitsvertrag bereits unterschrieben ist. „Viele bekommen erst bei Arbeitsbeginn mit, an welchem Ort sie arbeiten werden und sind schockiert“, sagt Karrierecoach Svenja Hofert. Vielen fehle das Bewusstsein dafür, welche Auswirkungen die Umgebung auf die eigene Produktivität hat. Hofert rät dazu, bereits im Vorstellungsgespräch nachzufragen, wie der Arbeitsplatz aussieht und ihn sich zeigen zu lassen. „Passt der Raum nicht zu meinen Bedürfnissen, kann das ein Ausschlusskriterium für den Job sein.“

DAS BÜRO DER ZUKUNFT

Ohne Großraumbüro wird es auch künftig nicht gehen. Schließlich kosten sie weniger als Einzelbüros und fördern den fachlichen Austausch bei komplizierten Aufgaben. Doch sie müssen den hohen Ansprüchen der Mitarbeiter genügen. „Im Zuge des demografischen Wandels müssen Arbeitgeber immer mehr darauf achten, dass sie ein attraktives Arbeitsumfeld bieten“, sagt Udo-Ernst Haner, Leiter des Teams Information Work Innovation am Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). „Wenn sich Menschen den Arbeitsplatz aussuchen können, wird das Ambiente zum wichtigen Faktor.“ Haner sucht nach dem Büro der Zukunft. Er erforscht Raumkonzepte und die Auswirkungen von Lärm, Licht oder Gerüchen auf die Produktivität.

DER WOHLFÜHLFAKTOR

Wie die Bedürfnisse der Mitarbeiter in ein Unternehmen passen, zeigt das Arbeitsplatzkonzept „Walk the talk“ von Vodafone. Der Telekommunikationsanbieter baut in Düsseldorf auf rund 85 000 Quadratmetern ein neues Bürogebäude. Auf 18 Etagen finden bis zu 4600 Mitarbeiter einen Arbeitsplatz. Die Räume sind groß und hell, an so genannten Arbeitsinseln kommen die Teams zusammen. Es gibt Ruheräume, Besprechungszimmer, die Sofaecke zum Brainstorming. Bereits in der Konzeptionsphase wurden die Mitarbeiter einbezogen und ihre Wünsche Teil des Neubaus. Der feste eigene Arbeitsplatz verliert an Bedeutung, dagegen wird an dem Ort gearbeitet, der dem aktuellen Bedürfnis entspricht. Das kann im Büro, in der Firmenlounge, unterwegs oder zuhause sein. Flexibilität soll die Arbeit erleichtern und effizienter machen. Ähnliche Konzepte haben die Telekom, die Unternehmensberatung Boston Consulting Group, die Deutsche Bahn oder Adidas.

Doch mit der Flexibilität kommt die Sehnsucht der Mitarbeiter nach einem festen Platz im Unternehmen. Die Lieblingspflanze, die Urlaubskarte vom Kollegen, das selbstgemalte Bild der Tochter, sollen ihren Ort in der Firma bekommen. Ohne Wohlfühlfaktor bringt auch das modernste Bürokonzept keinen Erfolg.

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