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Einsame Reise. Deutsche, die sich auf den Weg in die EU machen, gehören zu einer Minderheit. Weniger als ein Prozent der hiesigen Arbeitnehmer ist beruflich in einem anderen europäischen Land tätig. Foto: Fotolia/Christian Müller

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Wirtschaft: Auf nach Europa Arbeitslose Europäer zieht es nach Deutschland.

Aber auch Deutsche gehen in der EU auf Jobsuche – und machen häufig die Erfahrung, dass das recht kompliziert ist.

Maja Baldus hat Deutschland eher zufällig verlassen. Im Urlaub in Portugal lernte die Erzieherin eine deutsche Familie kennen, die in der Nähe von Lissabon lebte und nach einem Au Pair-Mädchen suchte. Die damals 26-Jährige sagte zu, zog nach Portugal und kümmerte sich um die Kinder der Familie. In ihrer Freizeit lernte sie Portugiesisch – und fühlte sich immer wohler im Land, am Meer, unter den Portugiesen. Nach einem Jahr beschloss sie, zu bleiben und bewarb sich bei deutschen Einrichtungen. Ihre Qualifikationen waren gefragt. Heute arbeitet sie in einem deutschen Kindergarten in Estoril, eine halbe Autostunde westlich von Lissabon entfernt.

Die Geschichte von Maja Baldus ist ein Beispiel, mit denen die Bundesagentur für Arbeit in der Broschüre „Mobil in Europa, Arbeiten im Ausland“ berufliche Perspektiven in europäischen Ländern veranschaulicht. Darunter ist auch ein Maurer, den es nach seinem Jobverlust in die Ferne zieht sowie eine Vertriebskauffrau aus der Umweltschutz-Branche, die Auslandserfahrungen sammeln will.

„Deutsche, die heute für begrenzte Zeit ins europäische Ausland gehen, wollen ihre Karrierechancen verbessern“, sagt Beate Raabe, die Sprecherin der zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit.

Theoretisch ist das ganz einfach. Bürger der Europäischen Union können in jedem der 27 EU-Staaten leben und arbeiten. Das Recht auf Freizügigkeit besteht für Arbeitnehmer seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957. Dieses Recht ist inzwischen auch auf Selbstständige, Familienangehörige, Studenten und Rentner ausgedehnt worden. Die EU-Vorschriften gelten auch in den Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums, wie Island, Lichtenstein und Norwegen. Mit der Schweiz hat die EU Vereinbarungen getroffen, die den EU-Regelungen sehr nahe kommen.

Trotz der gesetzlich festgeschriebenen Freizügigkeit, scheitern Jobsucher aber häufig an bürokratischen Hürden oder Diskriminierungen durch Arbeitgeber. So werden etwa im Herkunftsland gesammelte Berufserfahrungen nicht immer anerkannt und ausländische Mitarbeiter in niedrigere Gehaltsklassen eingestuft.

Grundsätzlich muss ein deutscher Staatsbürger, der beispielsweise in Österreich oder Dänemark arbeiten will, die Anforderungen erfüllen, die dort an seinen Beruf gestellt werden. Gibt es Unterschiede in der Ausbildung, kann ein Eignungstest oder ein Anpassungslehrgang verlangt werden. Dies geschieht häufig bei reglementierten Berufen, bei denen der Staat eine bestimmte Qualifikation verlangt. Dazu zählen in Europa rund 740 Berufe vom Apotheker über Lehrer bis hin zum Handwerksmeister.

Zum Beispiel Lehrer: Wer in Deutschland an einer Hochschule das Erste Staatsexamen für Lehrer gemacht hat, muss sich beispielsweise in Frankreich und Luxemburg wie jeder inländische Bewerber einem strengen Auswahlverfahren, dem „Concours“, unterziehen. Der deutsche Hochschulabschluss gilt als Zulassungsvoraussetzung. Wer den Concours bestanden hat, wird in das französische Beamtenverhältnis übernommen. Die anschließende Beschäftigung und Bezahlung entspricht der eines Berufseinsteigers. Der Zugang zu Privatschulen ist freier geregelt und hängt von Land und Schule ab.

Eine Erzieherin wiederum kann nach einer Ausbildung in Deutschland in Irland nur in Kindertagesstätten arbeiten, in denen Kinder im Alter von drei Monaten bis sechs Jahre betreut werden. Für eine Tätigkeit in einer vorgezogenen Primarschule, die Kinder zur Vorbereitung auf die Schule ab vier Jahren besuchen, ist wie in skandinavischen Ländern ein Hochschulstudium erforderlich.

Relativ problemlos können sich Mediziner, Krankenpfleger und Architekten mit ihren Abschlüssen auf einen Job in einem anderen EU-Land bewerben. So ist ein Tierarzt mit einem deutschen Zeugnis über die tierärztliche Staatsprüfung berechtigt, seinen Beruf überall in der EU auszuüben. Zieht es ihn nach Frankreich, hat er allerdings einige bürokratische Hürden zu überwinden. Er muss sich unter anderem in der Region der Niederlassung registrieren lassen und eine Eid ablegen. Bleiben noch die für jeden Ausländer üblichen Formalitäten: Spätestens drei Monate nach der Einreise muss eine Aufenthaltsgenehmigung beantragt werden und bei Selbstständigen die Anmeldung beim Finanzamt.

Wer als Krankenschwester nach Spanien geht, hat beim zuständigen Ministerium nur das Abschlusszeugnis der Ausbildung vorzuweisen. Nach einer EU-Richtlinie muss die Lehre in Theorie und Praxis drei Jahre dauern. Diese Anforderung wird in Deutschland erfüllt.

Komplizierter ist es bei Berufen, für die im Gastland keine Bezeichnung existiert. „So gibt es etwa in den meisten anderen EU-Staaten kein wirkliches Pendant zum deutschen Abschluss zur Bürokauffrau/zum Bürokaufmann“, erklärt Wido Geis vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Dann müssten sich die Arbeitssuchenden mit den Anforderungen und Aufgaben verschiedener Berufsbilder beschäftigen, was bei mehreren Ländern zu einem enormen Aufwand führen könne.

Laut Monika Schneid vom Raphaelswerk, das Menschen berät, die Deutschland dauerhaft oder befristet verlassen wollen, haben deutsche Fachkräfte vor allem in der Schweiz, den Niederlanden, England und Skandinavien gute Chancen. „Gefragt sind Pflegekräfte, Ärzte, Ingenieure und Fachkräfte im Bauwesen sowie in Urlaubsgebieten in Hotellerie und Gastronomie“, sagt die Leiterin der Informationsstelle in Hamburg. Gefragte Länder in Europa seien Spanien, Österreich und die Schweiz, am beliebtesten aber seien die USA und Kanada.

Das Gehalt hängt von dem ab, was üblicherweise in einem Land gezahlt wird, und vom jeweiligen Arbeitgeber. In den meisten europäischen Ländern gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn. Auch die Dauer der Arbeit unterscheidet sich von Land zu Land. Im Schnitt arbeiten Vollbeschäftigte mit rund 37 Wochenstunden in Finnland am wenigsten und in Rumänien mit rund 41 am meisten.

Entscheidend für einen Wechsel sind insbesondere die Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Nach Angaben des europäischen Amtes für Statistik „Eurostat“ ist die Arbeitslosenquote mit 4,9 Prozent in Österreich am niedrigsten und am höchsten in Spanien mit 26, 2 Prozent. Die meisten deutschen Erwerbstätigen, die ins EU-Ausland gegangen sind, hat es im vergangenen Jahr nach Österreich gezogen. Es waren 85 000.

Unter allen Europäern seien Deutsche am seltensten für die Arbeit ins EU-Ausland gezogen. Weniger als ein Prozent der deutschen Arbeitnehmer sei in einem anderen europäischen Land tätig. Laut Armindo Silva, Direktor für Beschäftigung und soziale Gesetzgebung in der Europäischen Kommission, „ist ein echter EU-Arbeitsmarkt noch immer ein Traum, da nicht einmal vier Prozent der EU-Bevölkerung in einem anderen EU-Land lebt und arbeitet“.

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