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Wirtschaft: Auf schnellen Sohlen

Sportschuhe im Stil der 70er tragen Städter auch zum Anzug – für Hersteller ist der Retro-Look ein Riesengeschäft

Alles begann mit drei sonderbaren Jungs. Fast schüchtern betraten sie die Bühne, gekleidet in ulkige alte Trainingsjacken, um ihren Song „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ ins Mikro zu rotzen. Damals, Mitte der 90er, wussten die Jungs von der Hamburger Band „Tocotronic“ noch nicht, dass sie gerade im Begriff waren, eine ganze Bewegung zu starten.

Die Trainingsjacken machten den Anfang, heute ist Sportmode in wie nie – vor allem Turnschuhe. Die Retro-Welle hat sie nach Jahren der Verbannung zurück in die Modeläden gespült. „So vor sechs Jahren ging es in Deutschland los mit der Sneaker-Kultur“, sagt Ariane Massmann von Nike. Sneaker ist der amerikanische Name für Turnschuh, der inzwischen in der ganzen Welt gebraucht wird. Nahezu jeder Hersteller verkauft mittlerweile solche Schuhe, deren Design an Fußballstiefel oder Sprint-Spikes aus den 70ern und 80ern angelehnt ist: selten mehr als zwei Farben, schlichte Formen, einfache Symbole.

Für die Hersteller lohnt sich die Retro- Welle. Die Gewinnmargen liegen bei den 80 bis 120 Euro teuren Sneakern bei bis zu zehn Prozent über denen der richtigen Sportschuhe, weil nicht so viel teure Technologie hineingesteckt wird. Durch diverse Nebenprodukte wie modische Sporttaschen und -jacken hat die Branche außerdem endlich eine Zielgruppe akquiriert, von der sie lange gemieden wurde: Frauen.

„Vor kurzem war eine Frau hier, die hatte noch nie Turnschuhe getragen“, sagt Sabrina Mellouk. „Und dann hat sie sich gleich zwei Paar gekauft.“ Mellouk arbeitet im Schuhgeschäft Oxford&Co. in der Prenzlauer Allee in Berlin und weiß durch Beobachtung ihrer Kunden: Heute trägt jeder Sneaker, gleich, ob Student oder Anzugträger. Nur zum Sport eignen sie sich nicht. Bei einem Fußballspiel würden sie schnell die Grätsche machen.

„Superstar“ läuft neben „Predator“

Vielleicht legen die Hersteller deshalb so viel Wert darauf, Mode- und Sportbereich strikt voneinander zu trennen. Bei Adidas etwa muss der tanzflächenkompatible „Superstar“-Schuh in seiner schlichten Schwarz-Weiß-Kombination völlig unabhängig von den „Predator“-Hightech-Fußballstiefeln existieren können. Der Konzern hat einen ganzen Unternehmensbereich damit beauftragt, die Klassiker aus vergangenen Epochen wieder aufzulegen. Ohnehin sei der Trend zum Rückblick von Adidas ausgegangen, betont Pressesprecherin Anke Breitinger. „Unsere Trainingsjacken liefen in den Second-Hand-Läden so gut, dass wir anfingen, alte Produkte wieder aufleben zu lassen.“

Puma sieht das etwas anders. „Wir haben zur Fußball-WM 1998 mit Gil Sander den ,Avanti’ herausgebracht – einen Modeschuh, der auf dem legendären Fußballschuh ,King’ basiert“, sagt Puma-Sprecher Ulf Santjer. „Das hat den Trend gestartet.“ Auf jeden Fall hat Puma den Wandel von der reinen Sport-Marke zum Lifestyle-Anbieter besonders stark forciert. Mit modischen Sneakern wie dem „Brush Spike“, der auf einem alten Leichtathletikschuh basiert, hat das Unternehmen darauf reagiert, dass bisher nur rund 20 Prozent der verkauften Sportschuhe tatsächlich beim Sport getragen werden.

Puma hat zuletzt am meisten vom Retro- Trend profitiert, doch jeder Hype ist vergänglich. „Puma-Schuhe gehen im Moment gar nicht mehr“, sagt Mellouk von Oxford&Co. Laufen würden dagegen Adidas, die französische Marke Le Coq und auch der britische Hersteller Dunlop.

Nahezu ungerührt von derlei modischen Schwingungen gibt sich der größte Sportschuhhersteller der Welt, Nike. Viele Retro-Artikel findet man im Sortiment nicht. Vielleicht hat Nike deshalb vor kurzem „Converse“ gekauft. Schon James Dean hat sich die Treter mit dem Stern über die Füße gezogen und die Sneaker-Marke zur Legende werden lassen. Ein weiterer Vorteil: „Converse“ ist eine etablierte Marke, die auch noch Schuhe verkaufen wird, wenn der Retro- Trend wieder der Vergangenheit angehört.

Denn der Look wird sich nicht ewig halten. Auf der „Bread&Butter“ in Berlin, der Messe für coole Klamotten, die an diesem Sonntag zu Ende geht, wurden die Kollektionen für 2004 gezeigt. Sie reizen den Retro-Stil bis aufs Letzte aus. Vielleicht bricht danach wieder die Zeit der Klassiker an: „Ein Converse wird immer ein Converse bleiben“, sagt Brigitta Bailly. Sie vermarktet die britische Konkurrenz-Marke Gola, die vor drei Jahren hier zu Lande noch völlig unbekannt war. Jetzt ist sie absolut in. Das Vorzeigeprodukt „Curve“ – einen Sprintschuh aus den 60ern – gibt es für 85 Euro nur in ausgewählten Geschäften wie „Eisdieler“ in Prenzlauer Berg.

Während nun alle Welt Gola kauft, suchen andere Firmen schon nach neuen Trends. Puma etwa setzt auf Produkte aus dem Motorsport wie die „Speedcat“-Schuhe mit flacher Sohle und Kugelferse. Doch ob Retro oder nicht: „Die Versportlichung der Mode lässt sich nicht mehr zurückdrehen“, sagt Puma- Sprecher Santjer, aber was soll er als Angestellter einer Sportartikelfirma sonst sagen? Den liebenswerten Außenseitern von „Tocotronic“ dürfte das egal sein. Sie stehen mittlerweile in Anzügen auf der Bühne.

Christian Hönicke

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