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Wirtschaft: Ausgebremst

Aus Protest gegen den Krieg hat die Fahrradfirma Riese und Müller alle US-Aufträge storniert

Berlin (pet). Ihre Produkte geben keinen Hinweis darauf, dass sie es mit den Amerikanern im Moment nicht so haben. Birdy blue, Culture Silver oder Delite black (von Englisch delight, Freude) heißen die teuren, preisgekrönten Fahrräder, die Heiko Müller und Markus Riese in der eigenen Werkstatt in jahrelanger Arbeit ausgetüftelt haben und jetzt bundesweit verkaufen. Und nicht nur zum „Hessischen Innovationspreis“, auch zu internationaler Berühmtheit haben die beiden Darmstädter es schon gebracht: Als einziger Fahrradhersteller durfte die Firma Riese und Müller auf der Weltausstellung Expo 2000 die voll gefederten Spezialfahrräder ausstellen. Vielleicht fühlen sich Riese und sein Kompagnon Müller deshalb berufen, ein deutliches Zeichen zu setzen. Seit die ersten Bomben auf Bagdad fielen, bauen sie ihre Fahrräder ohne die üblichen Zulieferteile aus den USA – aus Protest gegen den Krieg. Alle Aufträge bei den drei US-Zulieferern wurden storniert. „Die Amerikaner sind nur über das Geld zu kriegen“, sagt Geschäftsführer Heiko Müller. Von den drei Millionen Euro, die die Firma jährlich für Zubehör ausgibt, flossen bisher zehn Prozent nach Amerika. Künftig werden die Bremsen, Felgen und Sattelstützen nur noch in Europa und Japan gekauft. „Als Firma waren wir bisher nicht politisch engagiert“, sagt Müller, der auf der Internetseite höchstens mal zur Unterstützung von Schulprojekten im Himalaya aufrief. „Aber bei der Tragweite des Krieges haben wir uns gesagt: da können wir nicht schweigen.“ Die Entscheidung haben die Firmenchefs gemeinsam mit den 30 Angestellten getroffen.

Bei den Kunden fiel die Zustimmung nicht so einheitlich aus: Nach Angaben Müllers unterstützen mehr als 80 Prozent den Boykott, eine Minderheit halte ihn für keine geeignete Maßnahme. „Die Kritiker verweisen darauf, wie viel wir Deutschen den Amerikanern verdanken.“ Ob sie ihr Fahrrad künftig woanders kaufen, weiß Müller nicht. „Das steht aber auch nicht im Vordergrund.“ Seine Hoffnung ist, dass die amerikanischen Zulieferer den Boykott an die eigene Regierung weitergeben. Bisher hat allerdings nur einer von ihnen reagiert – und entschieden, sich nicht öffentlich zu äußern. Müller fordert mehr: Bevor sich nicht alle Drei von der US-Politik distanzieren, will der Vater einer Tochter seinen Boykott aufrechterhalten.

Trotz zahlreicher Boykott-Aufrufe im Internet sind Müller und Riese bislang die einzigen deutschen Produzenten, die US-Produkte tatsächlich aus der Werkstatt verbannt haben. Weiter verbreitet ist der Bann von US-Produkten bei Gastwirten und Kneipiers: Im Bonner Wirtshaus „Zuntz’ seelige Witwe“ werden weder Coca-Cola noch US- Whisky ausgeschenkt, und auch in der Kreuzberger „Osteria“ gibt es nur noch Afri-Cola. Der Rest der Branche distanziert sich. „Im Gastgewerbe“, sagt Karl Weißenborn, der Geschäftsführer des Berliner Gaststättenverbandes kopfschüttelnd, „muss man den politischen Kopf auch mal abschalten.“

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