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Axel Weber: Der Stressmacher

Axel Weber ist hoch aufgestiegen. Aus einem Wissenschaftler wurde der Chef der Bundesbank. Jetzt will er an die EZB-Spitze. Sein gefährlichster Gegner auf dem Weg dahin: er selbst.

Irgendwann Anfang Mai trifft Axel Weber eine Entscheidung, die vielleicht bedeutet, dass seine Träume schon bald platzen. Er wird gegen einen ehernen Kodex dieser eigenen Welt verstoßen, in der er lebt. Er wird das Schweigen brechen.

Ein Sonntag, der 9. Mai. Weber ist zu einer Telefonkonferenz verabredet. Er, der Präsident der Bundesbank, und 21 andere einflussreiche Männer, die obersten Hüter des Euro, stehen vor einer der schwierigsten Entscheidungen ihres Berufslebens. Die Lage an den Finanzmärkten hat sich zum Wochenende dramatisch zugespitzt. Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) muss handeln. Entweder sie beschließen, Schuldscheine schwacher Euroländer aufzukaufen und so gegen alle ihre Prinzipien zu verstoßen. Oder sie sehen womöglich bald zu, wie die Währungsunion wieder in ihre Einzelstaaten zerfällt.

Deutsche, Franzosen, Italiener, Spanier sind zugeschaltet. Es wird eine heftige Diskussion. Weber, auch sonst einer der Wortführer in diesem Gremium, gehört zu denen, die davor warnen, im großen Stil Staatsanleihen zu erwerben. Die Runde beschließt dennoch, am nächsten Morgen mit einer Mitteilung an die Öffentlichkeit zu gehen: Die Wertpapiermärkte funktionierten nicht mehr, die EZB werde daher Schuldtitel ankaufen. Außer der Mitteilung soll – wie immer – nichts an die Öffentlichkeit gelangen. Doch am Dienstag erscheint in der „Börsen-Zeitung“ ein Interview mit Weber. Er sagt darin, was er von dem gemeinsamen Beschluss hält: nichts.

Man muss den Korpsgeist der Notenbanker verstehen, um die Schwere dieses Verrats zu ermessen. Nie zuvor hat einer aus diesem Kreis Einzelheiten eines wichtigen Beschlusses ausgeplaudert oder eine abweichende Meinung verkündet.

Milliarden wurden schon und werden noch ausgegeben. Zu Beginn dieser Woche, an deren Ende die Stresstest-Ergebnisse europäischer Banken bekannt gegeben wurden, teilte die Notenbank mit, dass sie in der zurückliegenden Woche Staatspapiere im Wert von einer Milliarde Euro gekauft habe. In den Vorwochen seien es jeweils vier Milliarden gewesen.

Weber wurde für seinen Tabubruch von einigen Kollegen gelobt, mancher nannte seinen Mut gefährlich, und es gibt solche, die beides mit einem Gesichtsausdruck kommentieren, als habe man ihnen eine tote Maus zum Frühstück angeboten. Was sie eint, ist die Frage: Warum riskiert ein Mann, der bald Chef der EZB werden will, alles; die eigene Zukunft, das Ansehen der EZB?

Axel Weber ist wie ein Komet durch die deutsche Gesellschaft geschossen. Aus einem langhaarigen Abiturienten aus der pfälzischen Provinz ist erst in Konstanz und Siegen ein Wirtschaftswissenschaftler und dann einer der mächtigsten Zentralbanker der Welt geworden. Er vertritt Deutschland in der Europäischen Union, im Weltwährungsfonds, bei den Treffen der großen Industrie- und Entwicklungsländer, den G 20 und den G 7. Seit Ausbruch der Finanzkrise ist er einer der wichtigsten Berater der Bundesregierung. Viele im Politbetrieb halten Weber für Angela Merkels Schattenkanzler, wichtiger als manchen Minister.

Warum also?

Weber selbst will die Frage nicht beantworten. Eine Anfrage zu einem Gespräch lehnt er ab. Aber er hat Spuren hinterlassen, die zeigen, wie ein hohes Amt und Macht einen Mann verändert haben, der als Seiteneinsteiger in die Welt der Notenbanken kam.

Das Haus mit der Nummer 3 steht an einer sachte steigenden Straße. Ein kleines Haus, eine kleine Straße, ein kleiner Ort, eingerahmt von saftig grünen Hügeln. Glan-Münchweiler, Landkreis Kusel, Westpfalz, 5000 Einwohner. Es ist die Heimat von Axel Weber, in der er nur noch Gast ist. Es ist die Welt seiner frühen Maßstäbe.

„Die Webers haben sich krummgelegt, um ihren drei Kindern zu ermöglichen, dass sie studieren können“, sagt ein Freund der Familie. Die Eltern selbst schweigen. Die Familie und dieser Ort sind eines der letzten Rückzugsgebiete, die Axel Weber geblieben sind.

Wenn Weber zu Besuch sei, so erzählen es die Leute im Ort, begegne man ihm kaum. Manche haben sich deshalb ein altes Bild von Axel Weber bewahrt. Ein paar Frauen seines Alters erinnern sich an einen hübschen jungen Mann, den Schülersprecher, dem sie verschämte oder offen interessierte Blicke geschenkt haben und der auf der Kuseler Herbstmesse, dem großen Fest in der Gegend, oft zu den Letzten gehörte, die nach Hause gingen.

Werner Sofsky erinnert sich an einen jungen Burschen, der vor mehr als 30 Jahren in den Ferien bei ihm im Dachdeckerbetrieb gearbeitet hat. Ein Gymnasiast, aber tauglich für den Bau, kein Jammerlappen. Er sieht „den Axel nur noch so ein, zwei Mal im Jahr hier“. Sie reden dann ein bisschen, über den Gartenzaun hinweg, wie früher. Ob das noch der Axel ist? „Man kann den Leuten ja nicht in den Kopf gucken, aber ich glaube schon.“

Ein anderer, der Weber zu Schulzeiten kannte, hat ihn auf Jahrgangstreffen wiedergesehen und fand ihn sympathisch, charmant. Trotzdem schiebt sich ein zweites Bild über das des netten jungen Mannes von einst. Es ist das Bild aus den Fernsehnachrichten: ein Mann mit licht gewordenem Haar, dessen fülligeres Gesicht ihm rätselhaft vorkommt, verschlossen. Er fragt sich, woher ein Mensch, den er offenherzig in Erinnerung hat, die Kraft nimmt, alles Leben in sich auf null herunterzudimmen.

Die Bundesbank ist eine Festung aus Beton und Glas, und oben vom 12. Stock aus, wo Weber sein Büro hat, sieht die Welt beherrschbar aus. Das Bankenviertel steht da, als wäre es einzig zu dem Zweck gebaut, dem Bundesbankpräsidenten ein angemessenes Panorama zu bieten. Dieses Haus am Rande Frankfurts ist Webers Hofstaat. Anders als die meisten seiner Untertanen musste sich Weber nicht erst mühsam durch die Abteilungen dienen. Er kam als Quereinsteiger. Er hatte einen Namen und die Unabhängigkeit eines Wissenschaftlers, der Distanz zu den Dingen hält. Weber arbeitet hier, isst hier, er lebt hier quasi, wenn er nicht gerade seinem Terminkalender hinterherreist. Privatleben und Freizeit, sagt ein Kollege, verschwänden, wenn man ein solches Amt innehabe. Die Gefahr ist groß, dass irgendwann die Verbindung nach draußen verloren geht.

Und bei Weber fing es schon nach der Promotion in Siegen an, ziemlich schnell zu gehen. Mit 37 bekommt er einen Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie an der Universität Bonn. Er wechselt nach Frankfurt, nach Köln, renommierte Adressen, Jens Weidmann, Merkels Mann für Wirtschaftsfragen im Kanzleramt, ist einer seiner Studenten, wie Jörg Asmussen, der Staatssekretär im Finanzministerium. Er wird in den Sachverständigenrat berufen. Die Aufnahme in den Kreis der fünf Wirtschaftsweisen ist die höchste Auszeichnung für einen Wirtschaftswissenschaftler in diesem Land. Als die rot-grüne Regierung 2004 einen Bundesbankpräsidenten braucht, weil der alte sich von Firmen einladen ließ, macht sich Finanzminister Hans Eichel für Weber stark.

Es gibt da eine Sache, an die sich sein Doktorvater Hans-Edi Loef erinnert, die ihn sehr beschäftigt hat. Er habe eine Party gegeben, sagt Loef. Weber, gerade dabei, habilitiert zu werden, hatte eine Professur in Bonn bekommen. Mensch, sagte Loefs Frau, wie schön, dass Sie so ein Glück gehabt haben. „Nicht Glück“, habe Weber da geantwortet. „Können.“

Im Erdgeschoss eines Berliner Hotels ist die Luft zum Schneiden dick, Weber tupft sich mit einem Taschentuch die Stirn. In den Sitzreihen ist kein einziger Platz frei, die Menschen stehen in mehreren Reihen an beiden Seiten des Saals.

Als der Moderator das Wort an Weber übergibt, packt der sich sein Mikrofon, er spricht sonor hinein, klar akzentuierte Worte, keine Spur mehr von einem Pfälzer Akzent. Weber sagt, Deutschland werde die Wachstumslokomotive Europas sein. Er sagt, Staatsschulden seien Zeitbomben. Deutschland müsse sparen. Er spricht von Stabilität, Zukunftsausgaben, notwendiger Disziplin. Er klammert sich mit beiden Händen an das Mikrofon, als werde er es nicht mehr hergeben. Als er fertig ist, stehen die Leute auf und klatschen. In dem Applaus schwingt eine Sehnsucht nach Halt und Haltung mit.

Weber scheint sie zu bedienen. Er wird gefeiert als einer, der sagt, wie die Dinge sind, auch wenn es Zumutungen bedeutet. Eigentlich unterscheidet ihn an diesem Ort nichts von Roland Koch, dem CDU-Politiker. Auch Koch hält eine Rede über das Sparen. „Ich würde mir wünschen“, sagt Koch schließlich mit Blick auf Weber, „dass er bald ein anderes Amt haben wird“, er meint: die EZB-Spitze.

„Axel Weber“, sagt, ein paar hundert Kilometer entfernt, Bert Rürup in seinem Frankfurter Büro, „spielt die Rolle seines Lebens, er ist ganz eindeutig mit seinem Amt gewachsen. Aus der Höhe des akademischen Elfenbeinturms gekommen, ist er ein Politiker geworden, aber einer mit einem fantastischen Hintergrund an ökonomischen Wissen.“ Rürup und Weber sind Kollegen, sie kennen sich, sie saßen gemeinsam im Rat der Wirtschaftsweisen. Rürups Worte sind als Kompliment gemeint, für Weber aber gefährlich. Es vermengt zwei Welten. Notenbanker legen größten Wert auf ihre Unabhängigkeit. Sie wollen ihre Entscheidungen nach Notwendigkeiten ausrichten, nach ihren Daten, Analysen, Einschätzungen, nicht danach, was sich eine Kanzlerin oder ein Finanzminister wünscht.

Die Frage ist, wie viel Distanz Weber aufrechterhalten kann. Er will Chef der EZB werden. Und er berät die Regierung. Weber braucht die Mächtigen, vor allem Merkel. Ohne sie wird es unmöglich, ihn zum obersten Notenbanker Europas zu machen. Denn kaum etwas fürchten Franzosen und Italiener mehr, als dass der Einfluss der Deutschen zu groß wird. Einer wie Weber, glauben sie, könnte zu streng, geldpolitisch zu stabilitätsorientiert sein. Sie stören sich an Sätzen wie diesem: „Die Bundesbank und das gesamte Eurosystem stehen für Preisstabilität in der Währungsunion ein, bislang und ebenso in der Zukunft.“

Weber sagte ihn im Frühsommer in einem seiner wenigen Zeitungsinterviews. Wenig später legte er vor dem Haushaltsausschuss des Bundestags nach: „Das Eurosystem wird keinen Millimeter vom Ziel der Preisstabilität abweichen.“ Und bei einer Auslandsreise erklärte der Bundesbankchef: „Es gibt keine Alternative zu einer schnellen und glaubhaften Haushaltskonsolidierung.“ Das sind Sätze, wie sie nicht jeder europäische Politiker gerne hört. In solchen Situationen bleibt offen, ob Weber aus Überzeugung handelt oder aus Kalkül.

Weber sage sehr klar seine Meinung, erzählen solche, die ihn häufig erleben, sei aber gegenüber den Mächtigen konfliktscheuer, als es den Anschein habe. In der Bundesbank sprechen Mitarbeiter von der Zeit im Herbst vor zwei Jahren, seit der sich vieles verändert habe. Vor allem der Chef selbst.

Als in den USA ist die Investmentbank Lehman Brothers pleitegegangen ist und in Deutschland der Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate vor dem Aus steht, beginnt die Zeit der Krisentreffen im Kanzleramt. Übernächtigte Banker und Politiker stehen unter Druck. Um zwei Uhr früh eröffnen Asiens Börsen, und wenn die Händler dort mitbekommen, dass die Hypo Real Estate nicht gerettet ist, dann könnten auch viele weitere deutsche Banken- und Versicherungspapiere abstürzen. Viele, die dabei waren, sagen, dass es Weber war, der den Politikern den Ernst der Lage vor Augen geführt und den Banken gedroht hat. Die Banken versprechen schließlich Notfallkredite, der Bund bürgt mit 35 Milliarden Euro.

Aber die Krise ist nicht aus der Welt. Weber schlägt vor, einen Sonderfonds einzurichten, von dem Banken in Not sich Geld leihen können, um den Geldkreislauf aufrechtzuerhalten. Es ist jetzt Webers Spiel. Er kann sein, was er am liebsten ist: neutrale Autorität. Deutschland hat ein volkswirtschaftliches Problem. Weber glaubt, er hat die Lösung. Es sind Wochen, in denen er über die Bedeutung eines Bundesbankchefs hinauswächst. Der Chef einer Behörde erklärt plötzlich der Bundeskanzlerin und ihrer Regierung, wie die Welt zu retten ist. Weber hat jetzt die Macht eines wichtigen Ministers.

Diese Rolle habe Weber nicht mehr abgelegt, sagen Menschen, die Weber kennen. Seit er zur Bundesbank kam, hat er gesagt, dass die Bank wichtig sei. Aber der Beweis fehlte. Der Herbst 2008 war der Beweis. Weber hat ihn erbracht, auf Augenhöhe mit den Mächtigen. Er war sein Erfolg, und wenn man Mitarbeitern glauben darf, wollte er ihn nicht teilen. Weber hat sich der Politik genähert, aber von seiner Bank hat er sich entfernt.

Einer, der das gesehen und genutzt hat, ist Jan Pieter Krahnen, der Weber Ende der 90er Jahre nach Frankfurt geholt hat, an sein Institut, das Center for Financial Studies. Für Krahnen war es ein Experiment. Weber, „ein Mann mit einer instinktiven Distanz zur Finanzindustrie“, an einem wissenschaftlichen Institut, dessen Forschung die Banken finanzieren. Krahnen schüttelt den Kopf. „Er hatte so eine urdeutsche Angst vor den Märkten. Aber hier bei uns muss man die Banker kennenlernen.“ Es war eine Gratwanderung zwischen Abschottung und Kooperation, zwischen Unabhängigkeit und Abhängigkeit. Ein Crashkurs in Pragmatismus. Der Versuch ist geglückt.

Krahnen erzählt von einem Mann, der sich mit den Spielregeln arrangiert hat. Er erzählt von Blödeleien, Komik aus dem Moment heraus. Krahnen sieht den lachenden Axel Weber vor sich. Es ist ein anderer Axel Weber als der, der auf Empfängen oft lange an der gleichen Stelle steht, manchmal den ganzen Abend. Krahnen beschreibt ihn wohlwollend, sagt: „Man könnte sagen, wir haben ein freundschaftliches Verhältnis, ein freundschaftliches Kollegenverhältnis.“ Der Unterschied ist ihm wichtig. Ein großer Rest von Distanz, sagt Krahnen, bleibt immer.

Axel Weber will anerkannt werden und dabei unerkannt bleiben. Er lässt sich noch provozieren, das ist eine Schwäche. Sein Temperament, die Lust an der Provokation, seine Eitelkeit, auch das sind Schwächen. Sind sie der Grund, dafür, dass er Anfang Mai gegen den eisernen Kodex seines Berufsstands verstoßen hat? Wer war der Mann, der sich entschieden hat, das zu tun?

„Ich glaube, es war der Wirtschaftsprofessor in ihm, der besorgte Fachmann“, sagt Hans-Edi Loef, der Doktorvater.

„Ich glaube, dass ihn eine aufrichtige Sorge um die Zukunft der EZB umgetrieben hat, aber auch eine Sorge um die Zukunft der Währungsunion“, sagt Jan Pieter Krahnen.

„Er selbst hat doch mit seiner Bundesbank die meisten zweifelhaften Ramsch- Anleihen aufgekauft“, sagt ein Mann aus EZB-Kreisen.

Was, wenn Weber nun nicht Chef der EZB wird? Kann er dann noch im Rat der EZB Gleicher unter Gleichen sein?

In informierten Kreisen geht ein Gerücht um. Weber besitze einen Plan B. Er könnte den Chefsitz des Internationalen Währungsfonds anstreben. Es ist nur ein Gerücht. Das würde aber zu einer anderen Geschichte passen. Der nämlich, dass das Verhältnis zur Bundeskanzlerin seit jenem Interview in der „Börsen-Zeitung“ gelitten habe. Damit, sagte die Kanzlerin im kleinen Kreis, habe er sich keinen Gefallen getan. Sie hat nicht verstanden, was er mit seiner Kritik an der europäischen Geldpolitik bezwecken wollte. Das passt zwar zu diesem Mann, der schwer zu fassen ist: Wissenschaftler, Notenbanker, Politiker, Taktierer, Solist, Abstandhalter. Aber die Kanzlerin weiß auch, dass ihr Ziel, Weber zum Präsidenten der EZB zu machen, dadurch schwieriger geworden ist.

Marc Neller, Marietta Kurm-Engels

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