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Baden-Württemberg: Zurück auf Platz drei

Angst vor Rot-Grün? In Baden-Württemberg wird nächste Woche gewählt. Die wirtschaftliche Dynamik ist im Ländle immer schwächer geworden.

Gute Tage hat der Herr Minister schon länger nicht mehr gehabt. „Jeder Tag, an dem Baden-Württemberg besser ist als Bayern, ist ein guter Tag“, pflegt Ernst Pfister zu sagen. Der Wirtschaftsminister freute sich zwar zuletzt über eine Wachstumsrate von 4,7 Prozent und eine Arbeitslosenquote von 4,5 Prozent – immerhin 0,1 Prozentpunkte weniger als in Bayern. Das war’s aber auch. „Die Bayern haben bei Hightech-Gütern die Nase vorn“, gibt Pfisters Sprecher zu. Es bleibt ihm auch nichts anderes übrig. Die Fakten können die Stuttgarter Wirtschaftspolitiker in einer Studie mit dem Titel „Technologien, Tüftler und Talente“ aus dem Sommer nachlesen: „In Baden-Württemberg lässt sich eine deutliche Abschwächung der wirtschaftlichen Dynamik feststellen.“

Im Auftrag des Staatsministeriums hatten McKinsey und das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung die Situation im Land unter die Lupe genommen. Und was es da zu sehen gab, war nicht schön für die selbstbewussten Cleverles. „In den 80er Jahren lag Baden-Württemberg noch an der Spitze der deutschen Flächenländer, 1990 wurde es jedoch von Hessen überholt und 1994 auch von Bayern.“ Warum das so ist, weiß Jörg Hofmann, Chef der baden-württembergischen IG Metall. Das Land habe gute Voraussetzungen wegen der hohen Industriedichte, doch „es gibt keine Forschungs-, Bildungs- und Industriepolitik aus einem Guss.“ Der Gewerkschafter empfiehlt ähnliche politische Schwerpunktsetzungen wie die McKinsey-Berater. „Die schwarz-gelbe Regierung war dazu nicht ausreichend in der Lage“, sagte Hofmann dem Tagesspiegel.

Das Herz der Wirtschaft schlägt trotzdem – oder deswegen? – für Schwarz- Gelb, wie Andreas Richter erläutert, Chef der Industrie- und Handelskammer der Region Stuttgart. Wobei gar nicht ausgemacht ist, dass die gewohnte Regierung die drängenden Themen besser abarbeiten würde. Richter zufolge sind das Finanzierungsengpässe, der Verkehrsstau sowie der Umbau der Energiewirtschaft. „Die Kurzfristigkeit der Finanzierung ist ein Problem“, sagte Richter. „Die Firmen bekommen keinen Kredit mehr für fünf oder sieben Jahre.“

Immerhin sei die Eigenkapitalausstattung in den letzten Jahren deutlich besser geworden. „Das hilft etwas“, sagte Richter dem Tagesspiegel. Doch alles in allem müssten sich die Unternehmen, eben auch der klassische Mittelständler, neuen Finanzierungsformen öffnen. Zum Beispiel Finanzinvestoren oder einem neuen Anleihenmarkt an der Stuttgarter Börse. Neben den Finanzierungsproblemen nervt die baden-württembergische Wirtschaft vor allem der Verkehr. Weniger das Ballyhoo um „Stuttgart 21“ als die verstopften Straßen. Das bestätigt auch IG- Metall-Chef Hofmann. „Es gibt Autobahnabschnitte und Tage, da fahren die Pkw auf der linken und die Lkw auf der rechten Spur. Über 60, 80 Kilometer haben sie kaum eine Chance, runterzufahren.“

Die IHK ist inzwischen für eine Pkw-Maut, um mit den Einnahmen den Verkehrsausbau zu fördern. „Wir sind da der Treiber“, sagte Richter. CDU, SPD und Grüne sieht er dabei an seiner Seite. Überhaupt gibt sich der Kammerchef entspannt im Hinblick auf einen möglichen Regierungswechsel. „Die Wirtschaft wird mit jedem Ministerpräsidenten leben.“ Flexibilität gehöre zu den Charakterzügen der baden-württembergischen Unternehmer. Die wüssten sich mit jeder Regierung zu arrangieren und weiter ihren Geschäften nachzugehen. Im Übrigen, meint jedenfalls Richter, habe sich auch mancher aus dem Unternehmerlager eine schwarz-grüne Kombination vorstellen können, etwa wegen der Positionen der Grünen in der Bildungspolitik. Doch nach „Stuttgart 21“ und dem Theater um die Akw sei das wohl unmöglich.

Jörg Hofmann, wie die meisten Gewerkschafter Mitglied der SPD und wie die meisten Metaller Anhänger einer steuernden Wirtschaftspolitik, sind die Grünen nicht geheuer. „Die Grünen leben ja vom Bürgertum, das die Früchte der industriellen Wertschöpfung erntet. Wie die wachsen, interessiert sie weniger.“

Eine industriepolitische Fokussierung empfehlen die Gutachter in ihrem Papier über „Technologien, Tüftler und Talente“. Etwa eine „einheitliche Anlaufstelle für den Technologietransfer“ sowie eine „Umsetzungsorganisation, die an den Ministerpräsidenten berichtet“. Es geht um die Förderung von vier Bereichen: nachhaltige Mobilität, Umwelttechnologien, Gesundheit und Pflege sowie Informationstechnologien. Wenn sich die Politik auf diese Felder konzentrierte, könnte nach Einschätzung der Berater das Wachstum bis 2020 bis zu einen Prozentpunkt höher ausfallen als bislang veranschlagt. 500 000 zusätzliche Arbeitsplätze wären möglich.

Welche Politik die nächsten Jahre prägt, entscheidet sich in einer Woche. Der IG-Metaller Hofmann freut sich auf ein historisches Ereignis. „Wenn die Schwarzen nicht mehr regieren, würde das gesamte Netzwerk der Maultaschenconnection durcheinandergewirbelt.“

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