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Vom Kaffee bis zur Schiene. Die Bahn kauft jedes Jahr Produkte im Wert von 25 Milliarden Euro ein.

© Lukas Schulze/dpa

Bahn-Vorstand Gerd Becht im Interview: „Mit uns kann man in Kartellfragen nicht spaßen“

Bei etwa jedem dritten in Europa aufgedeckten Kartell ist die Bahn nach eigenen Angaben betroffen. Rechtsvorstand Gerd Becht beschreibt im Tagesspiegel-Interview den Kampf gegen Preisabsprachen. Im größten Fall - dem Luftfrachtkartell - geht es um mehr als zwei Milliarden Euro Schadenersatz.

Herr Becht, Sie haben bei der Deutschen Bahn eine Abteilung aufgebaut, deren Ziel es ist, bei Kartellverstößen gegen Ihr Unternehmen Schadenersatz einzutreiben. Lohnt sich der Aufwand?
Sicher, aber uns geht es nicht darum, Geld zu verdienen, sondern um einen gerechten Ausgleich für Schäden, die bei der Deutschen Bahn aufgrund von Kartellabsprachen entstanden sind. Aktuell fordern wir von einigen unserer 40 000 Geschäftspartner, die uns mit Preisabsprachen geschädigt haben, insgesamt gut drei Milliarden Euro zurück. Einen dreistelligen Millionenbetrag konnten wir bislang zurückholen, das ist ein großer Erfolg.

Um wie viele Verfahren geht es?
Wir beschäftigen uns mit über 60 Kartellfällen, in elf davon mussten wir vor Gericht klagen. Außergerichtlich konnten wir uns gerade im 14. Fall einigen.

Bereiten Sie weitere Klagen vor?
Eine Klage ist immer das letzte Mittel, denn wir können die überhöhten Beträge, die wir zu viel an die Kartellanten bezahlt haben, ja nicht einfach abschreiben. Wir holen unser Geld bei den kartellbeteiligten Unternehmen zurück. Aber wenn sich die Kartellunternehmen stur stellen, haben wir keine andere Möglichkeit, als vor Gericht zu ziehen.

Gerd Becht. „Bei etwa jedem dritten in Europa aufgedeckten Kartell ist die Bahn betroffen.“
Gerd Becht. „Bei etwa jedem dritten in Europa aufgedeckten Kartell ist die Bahn betroffen.“

© DB Systel GmbH

Warum wird die Bahn besonders von Kartellen in Mitleidenschaft gezogen?
Wir haben ein außergewöhnlich großes Einkaufsvolumen von rund 25 Milliarden Euro pro Jahr – mit etwa 40 000 Lieferanten. Und wir kaufen häufig Waren und Güter ein, die auf uns zugeschnitten sind, etwa Schienen. Auf diesen engen Märkten gibt es nur wenige Anbieter und wenige Nachfrager. Wenn der Markt funktioniert, ist er sehr transparent. Wenn er aber nicht funktioniert, tun sich die wenigen Lieferanten gegenseitig nicht weh – und sprechen sich ab.

Und die Bahn zahlt zu viel – für Schienen, Rolltreppen, Kaffee oder Bier?
Ja. Die Marktteilnehmer einigen sich auf einen Preis, der über dem Marktpreis liegt und den Anbietern einen überhöhten Gewinn einbringt, oder sie teilen Kunden, Liefergebiete oder -quoten untereinander auf. Es findet kein echter Wettbewerb statt. So werden wir, wie viele andere Unternehmen auch, Opfer von Kartellen.

Mehr als andere Großkonzerne?
Ich denke ja. Wir kaufen vom Kaffee bis zur Schiene sehr viele verschiedene Produkte in großen Mengen ein und bewegen uns auf mehr engen Märkten als andere Unternehmen. Bei etwa jedem dritten in Europa aufgedeckten Kartell ist die Bahn in irgendeiner Art betroffen.

So auch beim Bier. Die Bahn kauft jedes Jahr um die 60 000 Hektoliter.
Das schauen wir uns derzeit an und prüfen, inwieweit wir geschädigt wurden.

Verklagen Sie die Lieferanten?
Wie gesagt, als letzte Möglichkeit.

Beim Kaffeekartell haben Sie aber bereits Vergleiche erzielt?
Das Thema Kaffee haben wir beendet. Natürlich geht es bei Themen wie Kaffee oder Bier nicht um die Volumina wie beim Schienenkartell, deshalb setzen wir hier auch Prioritäten. Aber wir lassen die kleineren Fälle nicht verjähren.

Verlieren Sie Geschäftspartner und Lieferanten, wenn Sie so hartnäckig um Schadenersatz streiten?
Nur in Einzelfällen. Wir sind zwar oftmals auf die Lieferanten angewiesen, weil sie die einzigen Produzenten sind. Wenn sich alle Marktteilnehmer in einem Kartell zusammenschließen, könnten wir ja sonst beispielsweise gar keine Schienen mehr einkaufen. Richtig ist aber, die Geschäftsbeziehung muss auf eine neue Basis gestellt werden.

Die Bahn - Kartelljäger der Nation?

Also laufen die Geschäfte parallel weiter?
Ja. Auch das öffentliche Vergaberecht gibt da enge Grenzen vor. Wir können gar nicht beliebig entscheiden, wer bei Aufträgen berücksichtigt werden soll und wer nicht. Bei äußerst hartnäckigen Fällen kämpfen wir jedoch Vergabesperren sogar vor Gericht durch.

Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Lieferanten nicht rückfällig werden?
Wir verlangen eine Selbstreinigung. Sie müssen das betroffene Personal mit Kartellvergangenheit auswechseln und nachprüfbar zusichern, dass künftig keine Kartelle mehr stattfinden können. In unseren Einkaufsbedingungen legen wir außerdem fest, dass bei Kartellrechtsverstößen pauschal 15 Prozent des Auftragswertes an Schadenersatz gezahlt werden müssen. Die meisten Unternehmen sind mit uns diesen Weg gegangen und im Geschäft geblieben. Unser System hat Signalwirkung auf die gesamte deutsche Wirtschaft – und ist auch politisch gewollt.

Die Bahn als Kartelljäger der Nation?
Nein, man muss sich nicht vor uns fürchten – nach dem Motto: Um Gottes Willen, die Bahn kommt! Aber man kann mit uns in Kartellfragen nicht spaßen. Wir betreiben das sehr ernsthaft und nachhaltig.

Man könnte meinen, Sie hätten weniger zu tun, wenn die Kartellstrafen höher wären. Das Kartellamt hat 2014 mehr als eine Milliarde Euro an Bußgeldern verhängt. Trotzdem schreckt das offenbar nicht genug ab.
Als Unternehmen, das als Kartellopfer Schadenersatz fordert, wirken wir zusätzlich abschreckend auf potenzielle Kartellsünder. Heute kann niemand mehr sagen: Ich komme günstig davon und gehe als Kronzeuge straffrei aus, oder ich habe geschickte Anwälte, die mit dem Kartellamt ein niedriges Bußgeld aushandeln. Früher haben sich Kartelle trotz Bußgeld unter dem Strich oftmals gerechnet. Heute folgt auf die Bußgelder eine Welle von Schadenersatzforderungen, nicht nur von der Deutschen Bahn.

Wäre es aus Ihrer Sicht wünschenswert, wenn auch Haftstrafen drohen würden?
Dafür fehlen in Deutschland die Rechtsgrundlagen. Ausnahme sind einige Fälle von Ausschreibungsbetrug wie etwa beim Schienenkartell. Am meisten trifft die Täter persönlich wohl, wenn ihre Unternehmen gegen sie Schadenersatzforderungen geltend machen – wie zum Beispiel derzeit bei Thyssen-Krupp. Da geht es um Summen, die selbst gut bezahlte Manager finanziell ruinieren können.

Der größte Kartellfall, in dem Sie klagen, ist das Luftfrachtkartell zwischen 1999 bis 2006. Die Bahn will von großen und kleinen Fluggesellschaften insgesamt mehr als zwei Milliarden Euro Schadenersatz, allein von der Lufthansa knapp 300 Millionen Euro. Erfolge konnten Sie noch nicht melden. Warum kommen Sie nicht weiter?
Wir sprechen mit allen, in unterschiedlicher Intensität. Die Großen – also etwa Lufthansa, Air France KLM, British Airways – mauern noch. Andere, meist kleinere Airlines, bewegen sich.

Es war zu hören, die ersten Einigungen habe es schon gegeben.
Bei außergerichtlichen Verhandlungen halten wir uns an die Vertraulichkeit. Das Einzige, was wir bestätigen können, ist, dass wir Klagen gegen einzelne Airlines in den USA zurückgenommen haben.

Machen Sie sich Hoffnung, dass auch die Lufthansa, die die Kronzeugin im Luftfrachtkartell war, am Ende zahlt?
Käme es zu ersten Vergleichen, hätte dies sicher Signalwirkung auch für die anderen Fälle. Dann würden die Verteidigungschancen der großen Airlines schwinden. Außerdem bekämen börsennotierte Gesellschaften wohl kritische Fragen von ihren Aktionären und Wirtschaftsprüfern, die nach den Rückstellungen für mögliche Schadenersatzforderungen fragen.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer

ZUR PERSON

Gerd Becht (63) ist seit Oktober 2009 im Vorstand der Deutschen Bahn verantwortlich für Compliance, Datenschutz, Recht und Konzernsicherheit. Der gebürtige Frankfurter war nach dem Jurastudium zunächst als Anwalt in verschiedenen Kanzleien und Unternehmen tätig. 1993 wurde Becht Chefjustiziar bei Opel, 1999 Geschäftsführer der GM Europe Holdings. 2006 wechselte er – zunächst als Chefjustiziar – zur damaligen Daimler-Chrysler AG.

DER KONZERN

Die Deutsche Bahn zählt im Personenverkehr in Deutschland täglich mehr als 5,5 Millionen Kunden. Rund 629 000 Tonnen Güter befördert sie jeden Tag. Der Konzern hat mehr als 300 000 Mitarbeiter, davon rund 196 000 in Deutschland. Am 19. März legt die Bahn Zahlen für 2014 vor.

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