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Wirtschaft: Bauindustrie ortet den "Katalog der Schrecklichkeiten"

Ein Ende des Stellenabbaus ist nicht in Sicht / Verband wirft der Bundesregierung vor, den Prozeß noch zu beschleunigenVON MARGARITA CHIARI BERLIN. Die deutsche Bauwirtschaft wirft der Bundesregierung vor, die Probleme der Branche "nicht wirklich ernst zu nehmen".

Ein Ende des Stellenabbaus ist nicht in Sicht / Verband wirft der Bundesregierung vor, den Prozeß noch zu beschleunigenVON MARGARITA CHIARI

BERLIN. Die deutsche Bauwirtschaft wirft der Bundesregierung vor, die Probleme der Branche "nicht wirklich ernst zu nehmen".Im Vorfeld des europäischen Beschäftigungsgipfels sagte der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der deutschen Bauindustrie, Michael Knipper, in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel, seit dem Scheitern der großen Reformpläne profiliere sich die Bundesregierung durch einen "verheerenden Aktionismus".Die Betriebe würden mit immer neuen Verordnungen, Gesetzen und Abgaben belastet, Investoren seien verunsichert, Planungssicherheit sei nicht mehr gegeben ­ "von verläßlichen Rahmenbedingungen keine Spur".Für die Beschäftigten der deutschen Baubetriebe gab Knipper keine Entwarnung.Die erst kürzlich vom Verband veröffentlichte Prognose, wonach 1998 weitere 70 000 Stellen wegfallen würden, davon 40 000 im Osten, hält er sogar für optimistisch."80 000 bis 100 000 Stellen könnten es wieder werden." Und trotz der neuen Winterregelung, wonach die Betriebe die Minderarbeit in der kalten Jahreszeit durch Mehrarbeit im Frühjahr und Sommer ausgleichen können, schließt der Verbandssprecher nicht aus, daß in diesem Winter bis zu 300 000 Bauarbeiter arbeitslos sein könnten ­ nicht deutlich weniger als der "Rekord" von 400 000 im vergangenen Jahr.Haben die Vereinbarungen der Tarifpartner ­ wie Mindestlohn, Öffnungsklauseln und Flexibilisierung der Arbeitszeit ­ also nichts genutzt? Nein, sagt Knipper."Die Trendwende in der Tarifpolitik hat noch Schlimmeres verhindert."Dabei ist es nicht allein die Konjunktur, die der Bauwirtschaft zu schaffen macht.Die Branche, so Knipper, befinde sich vielmehr in einem tiefgreifenden Strukturwandel, der hierzulande lediglich durch den Boom der Nachwendezeit hinausgeschoben wurde.Kennzeichen seien die zunehmende Ausrichtung auf Europa, verbunden mit einer entsprechenden "Arbeitsteilung" und der Verringerung des Stammpersonals, mehr Flexibilisierung, Zusammenschlüsse mittelständischer Betriebe und der Trend zu industriellen Fertigungsmethoden.Diese Entwicklungen, räumt Knipper ein, hätten die deutschen Betriebe spät erkannt.Nun sei die Umstrukturierung aber in vollem Gang.Umso verheerender wirke sich deshalb der Aktionismus der Bundesregierung aus, den Knipper als "Katalog der Schrecklichkeiten" bezeichnet.Schon die Erhöhung des Rentenbeitrages auf 21 Prozent treffe die noch immer personalintensive Baubranche ­ der Lohnkostenanteil liegt bei knapp 50 Prozent ­ naturgemäß hart und beschleunige den Trend zum Stellenabbau.Zu den "Schrecklichkeiten" gehörten aber auch der "in einer Nacht- und Nebelaktion" Ende September verhängte Stopp der Werkvertrags-Kontingente, der Lehrlingserlaß für öffentliche Ausschreibungen, "der völlig ignoriert, daß die Bauwirtschaft als einzige Branche allen Firmen eine Ausbildungsabgabe von 2,8 Prozent der Lohnsumme abverlangt", die jüngsten Querschüsse aus dem Bundesarbeitsministerium gegen Arbeitsgemeinschaften am Bau (Tsp.vom 2.10.) oder die Pläne, Generalunternehmer künftig für die Sozialversicherungsbeiträge der Subunternehmer haftbar zu machen.Auch die kleinen Steuerreformen brachten Belastungen, wie die Abschaffung der Drohverlustrückstellungen für halbfertige Bauten oder die Einführung einer Kfz-Steuer für selbstfahrende Arbeitsmaschinen.Enttäuschung für die Berliner: Das jüngste Urteil des Kartellamtes gegen die Vorgabe der Senatsverwaltung, bei öffentlichen Aufträgen die Einhaltung der Berliner Tarifverträge zu pochen, wird vom Hauptverband unterstützt.Ungleichbehandlung dürfe es nicht geben, "die öffentlichen Auftraggeber sollten vielmehr darauf achten, daß die Mindestlöhne gezahlt werden", sagte Knipper.Den Weg zu mehr Beschäftigung sieht er denn auch vor allem in der Lohnpolitik.Die Einstiegslöhne müßten sich auf dem Mindestlohnniveau einpendeln, um ungelernten Bauarbeitern und Langzeitarbeitslosen eine Chance zu geben ­ dies habe die Entwicklung in den USA bewiesen.Letztlich würden davon alle profitieren.Wenn Bauen billiger werde, würde auch mehr investiert.

MARGARITA CHIARI

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