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Wirtschaft: „Bei der IG Metall hat die Vernunft gesiegt“ IWH-Präsident Pohl zum Ende

des Streiks in Ostdeutschland

Herr Pohl, die IG Metall hat im Streit um die 35Stunden-Woche in Ostdeutschland kapituliert. War das richtig?

Ja, ich freue mich sehr darüber. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass die IG Metall in dieser Situation in der Lage war, die Vernunft siegen zu lassen. Das Ende des Streiks ist eine gute Nachricht für Ostdeutschland. Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung in dieser Situation wäre in höchstem Maße unvernünftig gewesen und hätte dem Standort Ostdeutschland geschadet.

Ist die IG Metall im Osten damit tot?

Es wäre falsch, die Metallgewerkschaft jetzt für einen Papiertiger zu halten. Das ist sie nicht. Sie wird auch in Ostdeutschland nach wie vor ihre Interessen geltend machen, sie verhandeln und teilweise sicher auch durchsetzen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass irgendwann auch wieder über die Arbeitszeit verhandelt wird. Da wird es dann aber mehr um das Thema Flexibilität gehen als um eine kollektive Verkürzung. Das wollen im Übrigen auch die Arbeitnehmer in den Unternehmen so.

Fürchten Sie, dass die IG Metall in der nächsten Lohn- und Gehaltstarifrunde im kommenden Herbst Rache für diese Niederlage nimmt?

Bei diesem Tarifkonflikt haben sicher auch verbandsinterne Interessen eine Rolle gespielt, und ich sehe schon die Gefahr, dass das auch in der nächsten Verhandlungsrunde der Fall sein könnte. Aber am Ende zählt immer das Ergebnis. Und da war die Gewerkschaft diesmal in der Lage, eine Entscheidung der Vernunft zu fällen. Es gibt keinen Grund, warum das im Herbst anders sein sollte.

Gibt es in Ostdeutschland jetzt noch einen Flächentarifvertrag?

Auch wenn es jetzt so aussieht, als sei der Flächentarifvertrag tot, glaube ich, dass die IG Metall mit ihrer Entscheidung seine weitere Erosion aufgehalten hat. Sie hat mit den stärksten Unternehmen der Branche Haustarifverträge geschlossen und so den Raum geschaffen, dass sich für die schwächsten Unternehmen die Bedingungen nun wenigstens nicht verschlechtern. Insofern hat diese Strategie dazu beigetragen, eine Entscheidung zu finden, die den vielen schwachen und bedrohten Metallunternehmen hilft.

Die Entscheidung, die für diese Unternehmen passt, heißt: Pfeift auf den Tarifvertrag?

Nein. Der Flächentarifvertrag geht dann kaputt, wenn er sich immer nur an der Leistungsfähigkeit der stärksten Unternehmen orientiert. Die IG Metall wird ihre Verhandlungsmacht dann zurückgewinnen, wenn sie Verträge abschließt, die auch für die Schwachen verkraftbar sind. Dann nämlich zieht der Vorteil der Flächentarifverträge wieder: Nicht jeder Arbeitgeber muss einzeln verhandeln, und zwischen den Verhandlungen gibt es die Friedenspflicht und Ruhe in den Unternehmen.

Trauen Sie der Metallgewerkschaft das zu?

Warum nicht? Es hätte ihr ja auch niemand die Einsicht vom Wochenende zugetraut.

Wenn nicht, wird der Osten ein tariffreies Gebiet.

Man darf sich nicht in die Tasche lügen. Im Osten herrscht keine andere Welt, und es gelten keine anderen Gesetze. Auch hier gibt es die Tarifautonomie, hier gibt es Betriebsräte und die Mitbestimmung.

Was ist das Signal für Unternehmen, die in Ostdeutschland investieren wollen?

Das Signal ist, dass wirtschaftliche Vernunft bei der Formulierung der Arbeitsbedingungen eine Rolle spielt. Das Signal ist auch, dass die IG Metall mit diesem Konflikt weitgehend isoliert war. In anderen Branchen wie der Chemieindustrie wird hier noch 40 Stunden gearbeitet.

Hat der Streik dem Wachstum in Ostdeutschland geschadet?

Das kann man jetzt noch nicht sagen. Aber ich schätze, dass es keine spürbare Wachstumsschwächung gegeben hat.

Das Interview führte Ursula Weidenfeld.

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