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Wirtschaft: „Beiträge bald bei 20 Prozent“

Renten-Experte Raffelhüschen gibt Bundesregierung die Schuld

BERND

RAFFELHÜSCHEN

ist Professor für

Finanzwissenschaft in Freiburg und Bergen und Mitglied der

RürupKommission. Foto: promo

Herr Raffelhüschen, schon im Jahr 2005 soll ein Nachhaltigkeitsfaktor in die Rentenberechnung einfließen. Überrascht Sie das Tempo?

Nein. Es stand ja zu erwarten, dass wir mit den konjunkturellen Defekten, die wir jetzt haben, in arge Bedrängnis kommen. Es war klar, dass wir schnell was machen müssen.

Die Regierenden waren ja schon mal so weit. Bei der Union hieß das Mittel nur anders – Blüm nannte es den demographischen Faktor.

Die Vorschläge, die wir jetzt gemacht haben, sind im Grunde ein Sammelsurium an demographischer Reaktion. Die Rente mit 67 reagiert darauf, dass das Lebensalter steigt. Der Nachhaltigkeitsfaktor (siehe Lexikon Seite 16) reagiert darauf, dass so wenig Kinder geboren werden. Blüms demographischer Faktor hat damals aber schon beides umfasst.

Man hat also wertvolle Zeit verloren?

Das zu beurteilen ist nicht mein Job. Aber man könnte es schon so sagen.

Ihr zweiter Vorschlag, die Rente mit 67, wird noch deutlich länger auf sich warten lassen.

Die Erhöhung der Lebensarbeitszeit ist nur langfristig zu bewerkstelligen. Wir beziehen uns damit auf 2010 bis 2035. Dann gibt es am Arbeitsmarkt eine ganz andere Ausgangsposition. Es werden nicht mehr genug Junge da sein, um die Alten zu ersetzen. Insofern müssen die Alten, also wir, deutlich länger arbeiten. Demographisch ist es schon jetzt so, dass die abtretenden Jahrgänge deutlich höhere Zahlen aufweisen als die zuströmenden.

Helfen könnte da ja Ihre dritte Forderung: höhere Abschläge für Frührentner.

Zurzeit ist es so, dass die 3,6 Prozent pro Jahr etwa das ausgleichen, was an Kosten tatsächlich entsteht. Wenn sich die Arbeit im Jahr 2015 oder 2020 verknappt, kann es gut sein, dass wir nachbessern müssen. Aber das kann man im Gehen erledigen, später also.

Wie hoch müssten die Abschläge denn ausfallen, um die Menschen länger im Job zu halten?

Wenn man den Anreiz geben will, später in Rente zu gehen, sind wir bei viereinhalb bis fünf Prozent, vielleicht sogar drüber.

Die jetzigen Rentner wären von alledem kaum betroffen. Sollten die nicht auch mitbezahlen?

Die jetzigen Rentner sind betroffen von der Riester-Reform, die auch die Bestandsrentner erwischen wird, und vom Nachhaltigkeitsfaktor, der ebenfalls für geringere Rentensteigerungen sorgt. Aber um das ins richtige Licht zu setzen: Die Schweiz will ebenfalls die Rente mit 67 – aber bis 2025. Und sie will hin zu einem reinen Inflationsausgleich. Das heißt, die Schweiz, die sich in einer viel komfortableren Position befindet, geht viel drastischer vor. An einen reinen Inflationsausgleich trauen wir uns dagegen nicht ran.

Sie hätten es gerne drastischer?

Wir sollten erst mal den Nachhaltigkeitsfaktor einführen und dann sehen, ob das reicht. Der Faktor hat auch noch eine kleine Stellschraube, da kann man nachjustieren.

Was halten Sie denn von einer Nullrunde für die Rentner oder gar von Rentenkürzungen?

Nominale Rentenkürzungen sind nicht durchsetzbar. Das gäbe auch ein völlig falsches Signal. Und wenn wir im nächsten Jahr die Rückwirkungen der Riester-Reform haben, könnte es sein, dass die Rentensteigerung schon ziemlich nah an null sein wird. Ich weiß nicht, ob wir dann durch eine Nullrunde noch viel gewinnen.

Der Finanzminister könnte die Probleme der Rentenkasse noch verschärfen. Er sagt, der Bundeszuschuss ist zu hoch. Sehen Sie das auch so?

Im Grunde ja. Wir haben durch die Ökosteuer den Bundeszuschuss erhöht, und zuvor auch schon durch eine Mehrwertsteuererhöhung. Nun ist der Bundeszuschuss deutlich höher als die versicherungsfremden Leistungen. Und er wird nochmal steigen.

Ist das nicht aufeinander abgestimmt?

Seit der Rentenreform 1992 wächst der Bundeszuschuss, sobald der Beitragssatz steigt. Das führt dann dazu, dass er im Herbst, wenn wir die Beiträge auf 19,8 oder 19,9 Prozent erhöhen müssen, auch wieder hoch geht. Das ist das, was Eichel zu Recht verhindern will. Der Minister darf nicht auf einer drastisch steigenden Subventionierung des Rentensystems sitzen bleiben. Sonst kriegt er Ärger aus Brüssel. Und wir können nicht den Steuerzahler mehr und mehr zum Beheber der Probleme in der Rentenversicherung machen.

Wann werden denn die Beiträge die 20-Prozent-Marke knacken?

Wenn die Konjunktur so bleibt, wie sie ist, schon im nächsten Jahr. Aber wir kommen selbst dann über 20 Prozent, wenn die Konjunktur anzieht. Unser Problem ist nämlich, dass die Schwankungsreserve der Rentenversicherung quasi auf null zurückgefahren wurde. Wir müssten vier, fünf Monatsausgaben als Reserve haben, um nicht im Konjunkturzyklus mit den Beitragssätzen reagieren zu müssen. Die Politiker haben die Reserve so runtergefahren, weil sie sich nicht getraut haben, vor den Wahlen Beiträge zu erhöhen.

Das Gespräch führte Rainer Woratschka

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