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Wirtschaft: Berliner Wirtschaft: Der Hauptstadt fehlt noch immer die Dynamik

"Man kann überall arbeiten, aber nur an einem Ort leben - in Berlin", schwärmt Peter Schwenkow, Chef der am Neuen Markt notierten Deutschen Entertainment AG. Der führende deutsche Konzertveranstalter ist davon überzeugt, dass Berlin - beflügelt durch den Zuzug von Regierung und Verbänden Dienstleistungsstandort Nummer Eins in Deutschland werden wird.

"Man kann überall arbeiten, aber nur an einem Ort leben - in Berlin", schwärmt Peter Schwenkow, Chef der am Neuen Markt notierten Deutschen Entertainment AG. Der führende deutsche Konzertveranstalter ist davon überzeugt, dass Berlin - beflügelt durch den Zuzug von Regierung und Verbänden Dienstleistungsstandort Nummer Eins in Deutschland werden wird. Schwenkow ist einer von vielen, die derzeit das hohe Lied auf den Standort Berlin singen. Auch in der Branche der Informationstechnologie (IT) gehe "die Post ab", sagt Karsten Pierschke vom Softwarehersteller PSI, der ebenfalls am Neuen Markt notiert ist. Grund sei die steigende Nachfrage von Medien und Werbewirtschaft.

Gewiss, die Großen der Branche - IBM, SAP, Microsoft oder Oracle - haben ihren Sitz in Süddeutschland. Doch in der Berliner Mitte haben sich eine ganze Reihe von Start-ups angesiedelt. Schon ist die Rede von einer "Silicon Alley" in der zentral gelegenen Chausseestraße. Als Pluspunkt gelte der hervorragend ausgebildete Nachwuchs, erläutert Pierschke. Noch sei die Konkurrenz um junge Computerexperten deutlich schwächer als in München oder Stuttgart.

Derzeit werden an Berlins Hochschulen gut 12 500 Fachleute für Medien- und Kommunikation ausgebildet. Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner (CDU) propagiert Berlin als "capital of talent". Insgesamt gebe es fast 8000 Berliner Unternehmen in diesem Metier, die mit 100 000 Mitarbeitern 20 Milliarden Mark umsetzen. In der Bio- und Gentechnik sei die Region mit 96 Anbietern gar der erfolgreichste deutsche Standort, wirbt der CDU-Politiker. Eines der renommiertesten Unternehmen ist wohl die ScheringTochter Metagen, deren Chef André Rosenthal an der Erforschung des Human-Genoms beteiligt war. Wen man fragt, offenbar sind sich alle einig, dass "die Bonner" - Regierung, Verbände, Diplomaten, Unternehmensrepräsentanten, Medien und Verbände - den Weg aus dem Tal der Tränen geebnet haben. Der Umzug habe "den ersehnten Sog ausgelöst", schwelgt die Hauptstadt-IHK, bringe "neue Zuversicht" in die Stadt, wie die Berliner Bankgesellschaft feststellt. Für Berlins ranghöchsten Marketing-Mann, "Partner für Berlin"-Chef Volker Hassemer, ist der Regierungsumzug das "eindrucksvollste Beweisstück für die ungewöhnliche Dynamik", und die ziehe vor allem "junge, aktive Leute an".

Der Berlin-Hype ist sogar messbar: Nach vier Jahren Rezession hat die Berliner Wirtschaft 2000 erstmals wieder zugelegt. Vorerst zwar nur um 1,5 Prozent, doch schon 2001 sollen es 2,5 Prozent werden. Das wäre Bundesdurchschnitt. Die Zahl der Beschäftigten steigt nach jahrelangem Abbau seit April langsam an. IHK-Präsident Werner Gegenbauer sieht die Stadt "auf gutem Kurs".

Stimmungstief überwunden

Im Tourismus scheint das Stimmungstief nach 1990 - nicht mehr exotische Mauerstadt und noch nicht Regierungssitz - überwunden: Das Jahr 2000 war mit 11,3 Millionen Übernachtungen das beste seit 1990; Berlin ist nach Paris, London und Rom auf Rang vier vorgerückt. 2001 soll der Gästestrom weiter um bis zu zehn Prozent zulegen. Auch die Zahl der Fluggäste ist um fast neun Prozent gewachsen. "Wenn das so weiter geht, ist der Großflughafen Schönefeld schon ausgelastet, wenn er 2007 eröffnet wird", sagt Hartmann Kleiner, Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbände Berlin/Brandenburg.

Doch noch ist er eben nicht da, der Großflughafen. Vor allem Unternehmen klagen über fehlende Direktverbindungen ins Ausland. Immerhin kündigte die Lufthansa kürzlich an, ab März von Berlin aus Non-Stop in die USA zu fliegen. Doch der Flughafen bleibt eines der Projekte, bei denen sich der IHK-Präsident eine "deutlich erhöhte Schlagzahl" wünscht.

Die provinzielle Anbindung war mit ein Grund dafür, dass Berlin das Rennen um die deutsche UMTS-Gesellschaft der spanischen Telefónica mit etwa 5000 Jobs gegen München verlor. Doch auch die schwerfällige Berliner Bürokratie stieß den Spaniern sauer auf. Den "roten Teppich", den die Münchner ausrollten, suchten sie in Berlin vergeblich.

Da helfen auch vergleichsweise niedrige Büromieten nichts. Zwar ziehen die im Zentrum neuerdings an, aber auch nur dort. Das Preisniveau liegt noch weit unter dem von 1992 - kein Wunder bei einer Leerstandsquote von acht Prozent.

Am Immobilienmarkt wird überdeutlich, wie tief das Tal ist, aus dem Berlin nun die ersten Schritte macht. Zwar ist die Beschäftigung im Dienstleistungssektor gegenüber 1997 um 55 000 gestiegen. Doch gilt der Standort hier noch immer als "Entwicklungsland": Die Quote der Bürobeschäftigten liegt bei 36 Prozent - in Frankfurt (Main) sind es laut Deutsche Bank 52 Prozent. Und die Industrie baut weiter Stellen ab. "Hier kann uns lediglich die neuerdings höhere Produktivität trösten", räumt Kleiner ein. Kein Ende ist in der Krise am Bau abzusehen. Wie der Flughafen liegt auch die politische Fusion mit Brandenburg in weiter Ferne - obwohl Unternehmen die Region längst als Einheit begreifen. So siedelte etwa die Software-Firma SAP das Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik in Potsdam an.

Hickhack um die Fusion

Zwar versichern Berliner und Brandenburger Politiker immer wieder, in diesem Jahrzehnt einen neuen Anlauf für die 1996 abgelehnte Länderfusion wagen zu wollen. Doch der monatelange Hickhack um einen gemeinsamen Medienbeauftragten, von dem jede Seite befürchtete, er werde die andere besser bedienen, oder der schon rituelle Streit um die Kosten von "KindergartenPendlern" entlarven die wahre Qualität des Engagements.

Und trotz leicht gestiegener Stellenzahl ist der Arbeitsmarkt der hoch verschuldeten Stadt in trauriger Verfassung. Noch immer sind 255 000 Berliner arbeitslos gemeldet, über 15 Prozent der Beschäftigten. Die Quote ist mehr als doppelt so hoch als im Westen und kaum niedriger als in Ostdeutschland.

Angesichts dieser Zahlen kann durchschnittliches Wirtschaftswachstum nicht genug sein. "Um den Anschluss zu bekommen, müssen wir jahrelang überdurchschnittlich wachsen", sagt Unternehmer- Chef Kleiner. Berlin-Werber Hassemer setzt noch eins drauf: "Berlin ist nur was für Leute, die Dynamik lieben, nicht für solche, die aus dem Vollen schöpfen wollen. Die Entwicklung der Hauptstadt ist eine Sache von 25 Jahren."

bag

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