zum Hauptinhalt
Martin Müller-Elschner ist Chef der IVU.

© Georg Moritz

Berliner Wirtschaft ganz nah (2): Jede Minute zählt

Fährt die Bahn? Ist mein Bus pünktlich? Die Software-Schmiede IVU Traffic Technologies sorgt dafür, dass der Nahverkehr fließt.

Das ist das Schlimmste: wenn der Bus zu spät kommt. Oder gar nicht. Man weiß es ja oft nicht so genau. Und wird ungeduldig, ja panisch. Diese Fahrpläne! Diese Busfahrer! Dieser Verkehr! Genervte, schlecht informierte Kunden sind eines der größten Risiken für den Nahverkehr, das wissen die Unternehmen der Branche. Wer sich verschaukelt fühlt, obwohl er viel Geld für den Fahrschein bezahlt hat, fährt lieber Auto – wenn er eines hat.

Martin Müller-Elschner, 45, ist klar, dass es so weit nicht kommen darf. Deshalb versucht er jeden Tag, die Leute vom Umsteigen abzuhalten. Mit elektronischen Anzeigetafeln an den Haltestellen klappt das ganz gut, seit einiger Zeit auch mit Smartphone-Apps. Müller-Elschner ist Chef des Software-Unternehmens IVU Traffic Technologies. Im Haus der ehemaligen Askania-Manufaktur in Friedenau schreiben er und seine Leute Programme, die die Fahrgäste mit minutengenauen Informationen darüber versorgen, wie lange sie noch warten müssen und ob es einen schnelleren Weg ans Ziel gibt.

Die Firma verkauft seine Ideen in die ganze Welt

Den Berlinern begegnen IVU-Produkte jeden Tag – in der U-Bahn, an den Haltestellen für Bus und Tram, auf ihrem Handy. „Die Kunden schätzen das, Verlässlichkeit ist extrem wichtig“, sagt BVG-Sprecherin Petra Reetz. Das ist auch in Mainz so, in Aachen, Leverkusen oder London – IVU verkauft seine Ideen mittlerweile auf dem gesamten Globus, in Vietnam ebenso wie in Chile oder Kolumbien.

Dabei geht es nicht nur um Informationen für die Kunden. Die Software der IVU-Leute ist so etwas wie das Rückgrat eines Verkehrsbetriebs, ein Gerüst für die komplexen Abläufe. Die Programme legen fest, wie viele Busse und Fahrer für einen Fahrplan benötigt werden und kalkulieren vorgeschriebene Pausen ebenso ein wie Stoßzeiten im Verkehr. Der Computer sorgt dafür, dass die Werkstätten über den Zustand der Fahrzeuge Bescheid wissen, ob sie gerade im Stau stehen und wann sie in die Werkstatt müssen. Er weiß, welcher Busfahrer wie lange unterwegs gewesen ist und regelt das Finanzielle mit den Kunden – per Fahrschein-Automat oder elektronischem Ticket.

IVU exportiert Pünktlichkeit

„Ein reibungslos fließender Verkehr ist lebenswichtig für eine Stadt“, sagt Müller-Elschner. Das gelte vor allem in Schwellenländern. „Wer es schafft, seinen Verkehr in Ordnung zu bringen, bekommt oft auch andere Strukturen in den Griff – die Wasserversorgung oder die Verwaltung.“ Insofern sind die IVU-Programmierer ein bisschen wie Entwicklungshelfer – und sie exportieren ein sehr deutsches Produkt: Pünktlichkeit.

Wie IVU an die Börse ging - und eine Krise überlebte

Martin Müller-Elschner ist Chef der IVU.
Martin Müller-Elschner ist Chef der IVU.

© Georg Moritz

Dazu gilt es, eine Flut von Daten zu bändigen. Das tun in dem Software-Haus in erster Linie Ingenieure, Mathematiker und Programmierer. Es werden immer mehr, 400 Beschäftigte arbeiten mittlerweile bei IVU, pro Jahr kommen 40 hinzu. Doch vom Berlin der Start-ups und Nerds, die mit ihren Ideen die Welt zu erobern versuchen, ist IVU ein Stück weit entfernt. „Wir haben eine andere Kultur“, erzählt Müller-Elschner. Das liegt an den Kunden – zum einen gehören sie fast immer dem Staat, zum anderen pochen sie auf Sicherheit und Bewährtes. IVU ist eher wie einer dieser grundsoliden Mittelständler, wie sie es auf der Schwäbischen Alb hinter jedem Hügel, aber in Berlin noch immer viel zu selten gibt – eher bodenständig als wagemutig, eher detailversessen als selbstverliebt.

Zumal sie bei IVU erlebt haben, wohin Übermut führen kann. Als Ende der neunziger Jahre der New-Economy-Boom eingesetzt hatte, wagten sich auch die Berliner aufs Parkett – und erzielten einen üppigen Preis für ihre Papiere, gerade noch rechtzeitig, bevor die Blase aus schnellem Geld und heißer Luft platzte.

Nach einigen Fehlentscheidungen war die Firma fast bankrott

Dann traf der Vorstand eine Reihe von Fehlentscheidungen, verhob sich mit dem Kauf eines Unternehmens, und IVU ging fast bankrott. Frisches Kapital von Mitarbeitern und einem Investor sowie eine Bürgschaft des Landes Berlin retteten IVU. „Wenn man auf einmal zu viel Geld hat, macht man Fehler“, bekennt Müller-Elschner heute. Dennoch ist er stolz. „Wir haben uns am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen – das schaffen nicht viele.“ Gerade erst sind die letzten Spuren der Krise aus der Bilanz getilgt. Bei fast vier Millionen Euro lag der Gewinn 2013 – bei 46 Millionen Euro Umsatz.

An das ganz große Geld hatten die fünf Gründer von der Technischen Universität wohl gar nicht gedacht, als sie 1976 IVU aus der Taufe hoben. Informatik, Verkehr und Umwelt – dafür stehen die Großbuchstaben. In der ersten Zeit ging es in erster Linie um Beratung rund um den Verkehr. Doch die Preise verfielen, Software dagegen wurde ein immer wichtigeres Thema. Dann kam der Mauerfall – und jeder Verkehrsbetrieb in den neuen Ländern meldete dringenden Modernisierungsbedarf an. Für IVU begannen fette Jahre. „Man musste nur einen Betrieb nach dem anderen abklappern. Im Wochenrhythmus kamen Aufträge“, erzählt Müller-Elschner, der seit 1991 dabei ist.

Seit zwei Jahren ist die Firma schuldenfrei

Am Geschäftsmodell hat sich nicht viel geändert – verkauft wird nicht nur die Software, sondern auch die Anpassung an die Systeme vor Ort, die Wartung und die Pflege. Dafür fallen jedes Jahr Gebühren an. Der Trend ist dabei der Freund der IVU: Weltweit flüchten immer mehr Menschen in die Städte, die Schwellenländer kommen mit dem Bau neuer Verkehrssysteme kaum nach. IVU-Produkte helfen nicht nur gegen Stau und Smog, sie sparen auch bares Geld: Wenn eine Kommune dank eines effizienteren Umlaufs einen Bus oder eine Tram gar nicht erst anzuschaffen braucht, spart sie Millionen.

„Wir sind in einer Nische unterwegs“, sagt Vorstandschef Müller-Elschner. „Sie ist nicht zu klein, weil es für die Produkte weltweit einen Markt gibt. Sie ist aber auch nicht so groß, dass sich große Konzerne darauf stürzen würden.“ Doch übermütig wollen sie bei IVU kein zweites Mal werden. Seit zwei Jahren ist man schuldenfrei, trotzdem will sich Müller-Elschner bei Investitionen zurückhalten. „Wir sind da gebrannte Kinder. Aber der Markt honoriert unsere Vorsicht ja auch.“ Die Aktie kennt derzeit jedenfalls nur eine Richtung – nach oben.

Zur Startseite