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Berliner Wirtschaft in der Nazi-Zeit: Wie die IHK bei der Judenverfolgung half

Die Hälfte aller jüdischen Unternehmen in Deutschland hatte ihren Sitz in Berlin. An deren Vernichtung hatte die Handelskammer entscheidenden Anteil. Das zeigt eine neue Ausstellung.

Lea Fränkel weiß sich zu wehren. 1938 fordert die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) die Chefin des Lederwarenhandels Hermann Fränkel & Co. auf, ihr Unternehmen aus dem Handelsregister löschen zu lassen. Fränkel erhebt Einspruch. „Das Geschäft wird von mir nach wie vor betrieben und mein Beitrag an die Handelskammer bezahlt“, antwortet sie schriftlich. Ihre Argumentation sichert der jüdischen Unternehmerin die Existenz – vorläufig. Fränkel behält ihr Geschäft gegen alle Repressionen der neuen Machthaber.

„Wie Lea Fränkel entwickelten viele jüdische Geschäftsleute teils kluge Strategien gegen das System“, sagt Christoph Kreutzmüller, Kurator der Ausstellung „Verraten und Verkauft“, die ab kommenden Montag im Ludwig-Erhard-Haus in der Fasanenstraße zu sehen ist. Während einige gegen die ungerechte Behandlung seitens der Nationalsozialisten vor Gericht ziehen, suchen sich andere ganz bewusst Marktnischen, um sich möglichst unentbehrlich zu machen. Wieder andere setzen auf ihre Auslandskontakte: So hoffen sie, als Devisenbringer verschont zu werden und sich gleichzeitig für den Notfall einen Rückzugsweg zu schaffen.

Dennoch wurden in der Zeit nach 1933 zehntausende jüdische Unternehmen in Deutschland in den Bankrott getrieben, liquidiert oder „arisiert“. Letzteres geschah zum Beispiel im Fall des Kreditkaufhauses Jonass. Ende der 20er Jahre laufen die Geschäfte für den Kaufmann und Bauunternehmer Hermann Golluber so gut, dass er in der Lothringer Straße 1 – heute Torstraße 1 – sein zweites Warenhaus eröffnet. Das erste steht in der Belle-Alliance-Straße, dem heutigen Mehringdamm. Kaufhäuser sind im Berlin des frühen 20. Jahrhunderts der letzte Schrei, und so ist das 1928 errichtete zweite Haus auch noch heute, mehr als 80 Jahre später, ein Hingucker, in dem seit einigen Jahren das Soho House beheimatet ist. Damals beeindrucken die Eigentümer des Gebäudes mit Dachterrasse und Restaurant und versorgen die vornehmlich ärmere Bevölkerung der Rosenthaler Vorstadt mit Kaufscheinen und Krediten. Ab dem Frühjahr 1933 sinken durch den Boykott jüdischer Geschäfte die Umsätze. Hinzu kommt, dass der Friedhof gegenüber eine Pilgerstätte für die SA ist, weil dort Horst Wessel begraben ist – das schreckt die jüdische Kundschaft ab. Golluber überlässt das Haus den Nazis, Geschäft und Firmensitz verlegt er an den Alexanderplatz. In den folgenden Jahren muss Golluber zwei nicht-jüdische Gesellschafter aufnehmen, 1938 verlassen er und ein weiterer Partner die Firma: Sie gilt nun als nicht mehr jüdisch. Das ehemalige Kaufhaus in der Lothringer Straße wird 1942 an die Reichsjugendführung der NSDAP verkauft. Arischer geht es nach damaligem Verständnis wohl kaum.

Das Café Wien am Ku’damm war in den 20er Jahren schwer angesagt.
Das Café Wien am Ku’damm war in den 20er Jahren schwer angesagt.

© bpk / Kunstbibliothek, SMB, Phot

Den Begriff Arisierung verwendet Christoph Kreutzmüller nicht gern. „Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der Juden beschreibt das, was damals geschehen ist, anschaulicher.“ An dem, was damals geschehen ist, hat die Berliner IHK entscheidenden Anteil. Rund 50 000 jüdische Unternehmen sitzen Anfang der 30er Jahre in Berlin – die Hälfte der jüdischen Unternehmen in Deutschland überhaupt. Der Pogrom 1938 habe in der Hauptstadt deshalb auch drei Tage gedauert und nicht nur eine Nacht, erklärt Kreutzmüller. Danach sei die Existenz jüdischer Einzelhändler zwar vernichtet gewesen. Der Großhandel habe jedoch noch jahrelang überlebt. Bereits in den Jahren zuvor seien viele jüdische Unternehmer aus dem damaligen Reichsgebiet nach Berlin gekommen, weil sie in der Anonymität der Großstadt noch vergleichsweise unbehelligt blieben. Noch im Juni 1938 habe es letzte jüdische Unternehmen gegeben, die sich im Berliner Handelsregister eintragen ließen.

Das Warenhaus Jonass in der heutigen Torstraße.
Das Warenhaus Jonass in der heutigen Torstraße.

© bpk/Foto Marburg

Bereits 1933, unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, prüft die IHK auf Behördenanfragen hin, ob Unternehmen jüdisch seien. „Dabei gab es damals nicht mal eine offizielle Definition, was überhaupt ’jüdisch’ sei“, sagt Kreutzmüller. Das neu geschaffene Einzelhandelsamt erfasst dennoch systematisch, ob die Gesellschafter „arisch im Sinne der Vorschriften für die Beamten“ sind. Seit ihrer Gründung Anfang des Jahrhunderts genießt die Handelskammer einen guten Ruf, vor allem unter dem langjährigen Präsidenten Franz von Mendelssohn. Der Bankier führt den Verband von 1914 bis 1931. Was dann folgt, beschreibt Eric Schweitzer, seit Mendelssohn erster Berliner IHK-Chef, der auch die Dachorganisation DIHK leitet. Jüdische Unternehmer seien nicht nur Gewalttaten ausgeliefert gewesen, „sondern vor allen Dingen Bürokratie und Verwaltung“. Wesentlichen Anteil hieran hatte die Industrie- und Handelskammer zu Berlin. Die NS-Zeitung „Der Angriff“ fordert im Frühjahr 1933, die „vollkommen verjudete“ IHK müsse gesäubert werden. 1935 wird der amtierende Präsident Karl Gelpcke durch einen – wie die Kammer schreibt – „deutschnational“ gesinnten Banker ersetzt. In den Folgejahren intensiviert die IHK ihre Prüfungen. Sie richtet eine „Arisierungsabteilung“ ein. Mit Beginn der massenhaften Deportation von Juden 1941 melden IHK-Mitarbeiter dem Amtsgericht, welche Firmen den Betrieb eingestellt haben. Lea Fränkel wird am 14. November 1941 nach Minsk deportiert. 1942 beantragt die IHK die Löschung aus dem Handelsregister.

Die Zerstörung der jüdischen Geschäftswelt ist nachhaltig. Von denen, die sich vor der Verfolgung ins Ausland hatten retten können, kehren nur wenige in die Trümmer Berlins zurück. Karl Kutschera überlebt das Konzentrationslager und baut nach 1945 das „Café Wien“ wieder auf, das er in den 20ern zu einem der angesagten Kaffeehäuser am Ku’damm gemacht hatte. Seine Frau Josephine führt es nach seinem Tod bis in die 70er Jahre weiter.

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