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Auch in der Bauwirtschaft sind in Berlin neue Jobs entstanden.

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Berlins Wirtschaft: Vom Absteiger zum Meister

Berlins Wirtschaft läuft besser als die anderer Bundesländer. Doch Arbeitslose profitieren davon kaum. Neue, hochwertige Jobs werden oft von Zugezogenen besetzt statt von Berlinern.

Berlin - Berlin, das Schlusslicht der Republik, Berlin, die Hauptstadt der Armen und der Pleiten – derlei Schlagzeilen gehören offenbar der Vergangenheit an. Die Wirtschaft in der Hauptstadt entwickelt sich so gut wie seit der Einheit nicht mehr: Das Bruttoinlandsprodukt ist in den vergangenen Jahren so stark gewachsen wie in keinem anderen Bundesland. Auch die Beschäftigung steigt an der Spree stärker als im Durchschnitt der Republik und anderer Großstädte. Das geht aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt. „Berlin hat die Trendwende geschafft“, urteilt Karl Brenke, Ökonom und Autor der Studie. Die Stadt „scheint die schwierigste Zeit hinter sich zu haben“, findet er.

Zwischen 2004 und 2009 ist die Berliner Wirtschaft Brenkes Berechnungen zufolge pro Jahr um durchschnittlich 1,69 Prozent gewachsen – im Bundesmittel waren es nur 0,49 Prozent. Auch wenn man die Krise 2009 ausnimmt, die andere, industrielastige Länder wesentlich härter traf, bleibt die Stadt an der Spitze. Zuvor hatte es eine lange Durststrecke gegeben: Seit Mitte der 1990er Jahre war das Inlandsprodukt – mit Ausnahme eines einzigen Jahres – beständig gesunken. Auch deshalb ist der absolute Wohlstand in anderen Regionen beträchtlich höher: Die Bruttowertschöpfung je Einwohner war 2009 mit 23 500 Euro nur gut halb so hoch wie diejenige Hamburgs.

Auch auf dem Arbeitsmarkt geht es bergauf. Knapp 140 000 Erwerbstätige sind zwischen dem Tiefpunkt im zweiten Quartal 2005 und dem ersten Quartal 2010 hinzugekommen. Das sind neun Prozent mehr, während das Plus deutschlandweit nur bei 3,5 Prozent lag. Berlin ist damit auch besser die 13 übrigen deutschen Großstädten zusammengenommen.

Entstanden sind die Jobs vor allem im Dienstleistungsbereich. Zwei von drei Euro werden in der Stadt mittlerweile hier eingenommen. „Die Beschäftigung konnte auch deshalb besonders kräftig zulegen, weil hier solche Wirtschaftszweige ein großes Gewicht haben, die in Deutschland in den letzten Jahren besonders wachstumsstark waren“, heißt es im DIW-Bericht. Öffentliche und private Servicebetriebe sind zudem kaum vom Auf und Ab der Wirtschaft abhängig – etwa in den Bereichen Gesundheit, Soziales, Erziehung und Unterricht – aber auch bei Dienstleistungen für Firmen wie Beratung und Werbung. Hinzu kommen Hotels und Restaurants, die vom Zustrom der Touristen profitiert haben. Das Gastgewerbe steht zwar laut DIW nur für drei Prozent der Wirtschaftsleistung, sorgt aber in anderen Branchen, etwa im Verkehr, für gute Geschäfte.

Dagegen nahm die Zahl der Stellen in der Industrie zwischen 2005 und 2009 weiter ab. In Berlin, der einst größten Industriestadt Europas, spielen Fabriken nur eine Nebenrolle – trotz der Stabilisierung in den letzten Jahren.

Bemerkenswert ist bei der Beschäftigungsbilanz des DIW, dass die Hauptstadt bei höher qualifizierten Berufen aufholen konnte. So habe es bei Ingenieuren, Naturwissenschaftlern, EDV-Experten und Wirtschaftsprüfern ein deutliches Plus gegeben. Auch die Zahl der Selbstständigen liegt über dem Normalmaß: Jeder siebte Erwerbstätige war 2009 laut DIW sein eigener Chef, deutschlandweit war es nur jeder neunte.

Zugleich sind einfache Jobs auf dem Rückzug. Hier sieht das DIW ein Problem: Die Arbeitslosigkeit sei gesunken – aber nicht so stark, wie es angesichts des Stellenbooms zu erwarten gewesen wäre. „Viele der zusätzlichen Arbeitsplätze sind offensichtlich von Personen besetzt worden, die nach Berlin zugewandert sind“, vermutet Brenke. Grund: Die Arbeitslosen in der Stadt sind schlecht qualifiziert, 80 Prozent von ihnen beziehen Hartz IV, sind also seit langem ohne Stelle. Brenke befürchtet daher eine Spaltung des Jobmarktes – mit hoch Qualifizierten auf der einen Seite und Chancenlosen auf der anderen. Er empfiehlt der Politik, auf Bildung zu setzen, „damit die Stadt auch in Zukunft das Fachkräftepotenzial hat, das sie benötigt“.

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