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Billigsegmente: Wirtschaft verdient an der Armut

Textil-Discounter, Budget-Hotels und Kleinwagen-Hersteller machen schon jetzt gute Geschäfte. Die Wirtschaft hat sich längst auf die wachsende Armut in Deutschland eingestellt.

Egal, ob Textilketten, Autoproduzenten oder Hoteliers – sie alle stellen sich mit neuen Angeboten im Billigsegment auf den Trend ein und erwarten hohe Zuwachsraten. Am anderen Ende der Skala blüht der Luxus.

In Deutschland ist der Bundesregierung zufolge bereits jeder achte Bundesbürger arm. Das geht aus dem Armutsbericht der Regierung hervor, der am Montag in Berlin vorgelegt wurde. Als arm gilt danach jeder, der weniger als 781 Euro netto im Monat verdient. Nicht nur die Zahl der Armen wachse, auch die Lücke zwischen Arm und Reich werde in Deutschland immer größer.

„Wir haben schon seit Jahren eine Polarisierung im Modemarkt“, sagt Axel Augustin, Sprecher des Bundesverbands des Deutschen Textileinzelhandels. Das absolute Luxussegment läuft gut, gleichzeitig eröffnen immer mehr Läden mit Ramschklamotten, wo es die Jeans schon für zehn Euro gibt. Beispiel Kik: Kein Textilunternehmen ist in den vergangenen Jahren so stark gewachsen wie die Tengelmann-Tochter – und das, obwohl der Einzelhandel insgesamt seit Jahren über rückläufige Umsätze klagt. Der 1994 gegründete Discounter Kik hat bereits 2200 Filialen in Deutschland, 3000 sind geplant. „Der Bedarf nach günstigen Einkaufsquellen ist nach wie vor gegeben. Diese Entwicklung wird sich sicherlich fortsetzen“, sagte eine Kik-Sprecherin. Auch C & A hatte Anfang März eine neue Billiglinie namens Avanti eröffnet. Konkurrenten wie Takko oder Ernsting’s Familiy sind schon länger am Markt.

„Wir haben hohe Zuwachsraten im unteren Preissegment“, bestätigt Hilmar Juckel von der Kölner Unternehmensberatung BBE. „Diese Tendenz wird sich fortsetzen.“ Besonders deutlich zeige sich die Polarisierung der Käufer auch im Glas-/Porzellan- und Keramikhandel. „Ein Drittel des gesamten Marktvolumens ist hier in den letzten 15 Jahren verloren gegangen, dennoch wurde mengenmäßig nicht weniger gekauft, eben halt nur preiswerter“, sagt Juckel. Neue Anbieter wie Butlers, Das Depot oder Ikea hätten die traditionelle Mitte, also die Fachgeschäfte, mehr und mehr verdrängt. Das Geschäft der Luxusanbieter blieb dagegen mit einem Umsatzanteil von rund zehn Prozent stabil.

Die wachsende Armut zeigt sich auch auf deutschen Straßen. „Der Automarkt ist quasi das Spiegelbild des Armutsberichts“, sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Fachhochschule Gelsenkirchen. So würden die Autos im Allgemeinen immer älter und billiger, weil sich viele Verbraucher keine Neuwagen leisten könnten. „Zugleich aber gewinnen die Premiumhersteller, wie Mercedes, BMW, Audi oder Porsche, deutlich Marktanteile“, sagte Dudenhöffer. Einen weiteren Hinweis auf das Auseinanderdriften der Gesellschaft sieht der Experte darin, dass Autos im mittleren Preissegment, wie etwa ein Opel Vectra, weniger gut verkauft würden. Gut verkauften sich Autos für 8000 Euro und im Luxussegment für bis zu 350000 Euro.

Auch in der Hotellerie verdeutlicht sich, wie sehr sich die Branche schon auf die auseinanderklaffende Gesellschaft eingestellt hat. So gibt es etwa in Berlin derzeit schon knapp 20 Luxushotels der Fünf-Sterne-Kategorie, die Suiten zu mehreren Tausend Euro anbieten und manchmal sogar einen Privatbutler stellen. Gleich mehrere Nobelherbergs-Ketten planen Häuser zu eröffnen. „Conrad by Hilton, Mandarin Oriental, Sheraton oder St. Regent – die schauen sich alle auf dem Markt um“, weiß Stephan Gerhard, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Treugast. Doch gleichzeitig haben auch die Billigketten Berlin im Visier. So gibt es bereits zehn Ibis-Hotels und sechs Etap-Filialen – beides Billigtöchter der französischen Accor-Gruppe. Easy-Hotel will im kommenden Jahr einen Ableger am Hackeschen Markt eröffnen.

„Auf der einen Seite beobachten wir den Boom der Billigketten im Ein- und Zwei-Sterne-Bereich, andererseits eine gute Auslastung bei den Vier- und Fünf-Sterne-Hotels“, sagt Ernst Fischer, Präsident des Hotel- und Gaststättenverbandes. Die Branche müsse sich darauf einstellen, dass die Menschen weniger Geld für den privaten Konsum zur Verfügung hätten. „Den Mercedes wird man wohl behalten, aber zum Essen muss man nicht unbedingt ausgehen“, sagt Fischer.

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