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Wirtschaft: Börse: Die Wall Street hält den Atem an

Wenn die Vernichtung eines marktwirtschaftlichen Symbols das Motiv des Anschlags auf das World Trade Center gewesen sein sollte, haben die Terroristen Erfolg gehabt. Die Bürotürme sind am Dienstag eingestürzt und haben Tausende von Menschen begraben.

Wenn die Vernichtung eines marktwirtschaftlichen Symbols das Motiv des Anschlags auf das World Trade Center gewesen sein sollte, haben die Terroristen Erfolg gehabt. Die Bürotürme sind am Dienstag eingestürzt und haben Tausende von Menschen begraben. Das amerikanische Finanzsystem jedoch wird nach Meinung von Experten nicht darunter leiden. Die Börsianer waren sich zwar bis zuletzt nicht einig darüber, in welcher Verfassung die New Yorker Börse am Montag eröffnen wird. Eine Panik an der Wall Street erwartet allerdings keiner.

Zum Thema Online Spezial: Terror gegen Amerika Umfrage: Haben Sie Angst vor den Folgen des Attentats? Fotostrecke I: Der Anschlag auf das WTC und das Pentagon Fotostrecke II: Reaktionen auf die Attentate Fotostrecke III: Rettungsarbeiten in New York Fotostrecke IV: Trauerkundgebung am Brandenburger Tor Chronologie: Die Anschlagserie gegen die USA Osama bin Laden: Amerikas Staatsfeind Nummer 1 gilt als der Hauptverdächtige Schon am Mittwoch und Donnerstag hatten an den Börsen Europas geordnete Verhältnisse geherrscht. Das wirkt in New York beruhigend. Andererseits sind die Marktteilnehmer wegen des erhöhten Rezessionsrisikos besorgt. Nach einer Prognose des Konjunkturinstituts Conference Board befindet sich die Weltwirtschaft in einem Stadium erhöhter Verwundbarkeit. Zuvor war für das zweite Quartal ein Anstieg des US-Bruttosozialproduktes um nur noch 0,2 Prozent und ein Rückgang des Verbraucher-Vertrauens im August mitgeteilt worden. Die Rezessionsrisiken bleiben nach Darstellung des Instituts hoch. Denn wichtige Langzeitindikatoren wie Unternehmensgewinne und die Lohnentwicklung hätten sich eingetrübt.

Beruhigend auf die Börse hat das schnelle Handeln der Notenbank Federal Reserve (Fed) gewirkt. Angesichts des hohen Bargeldbedarfs der Banken und Investmenthäuser als Folge der Krise hat die Fed dem Bankensystem Rekordsummen zugeführt. "Das US-Finanzsystem verkraftet die gesteigerten Anforderungen gut", berichtete der Vizepräsident der Notenbank, Roger Ferguson, am Freitag. Die Währungshüter dürften sich in den kommenden Wochen verstärkt der wirtschaftlichen Lage zuwenden. An der Wall Street hofft man auf eine weitere Zinssenkung, möglichst noch vor dem nächsten Treffen der Notenbank am 2. Oktober. Es wäre die achte Zinssenkung in diesem Jahr.

Sonderregeln der Börsenaufsicht

"Die US-Konjunktur hat sich schon vor der schrecklichen Tragödie am Rande der Rezession bewegt", sagte David Jones, Chefvolkswirt der auf den Handel mit Staatsanleihen spezialisierten Firma Aubrey G. Lanston & Co. Jones rechnet mit einer Senkung des Tagesgeldsatzes um 50 Basispunkte auf 2,50 Prozent binnen Jahresfrist. 25 Basispunkte hätten die Märkte in der Zeit vor der Katastrophe bereits eingepreist.

Das Marktgeschehen am Montag dürfte auch stark davon abhängen, wie hoch Marktteilnehmer die Wahrscheinlichkeit amerikanischer Vergeltungsschläge und eine Ausweitung des Konflikts einschätzen. Zur weiteren Stärkung des Vertrauens gab die Börsenaufsicht SEC am Freitag Sonderregeln bekannt, wonach die Begrenzung des Aktienrückkaufs durch Unternehmen gelockert würden. Cisco Systems, deren Kurs seit März 2000 um mehr als 80 Prozent auf heute etwa 14,50 Dollar abgestürzt ist, ließ sich das nicht zweimal sagen: Der führende Netzwerkausrüster gab den Rückkauf eigener Aktien über zwei Jahre im Wert von drei Milliarden Dollar bekannt. Auf dem Gipfel der Asienkrise im Oktober 1997 hatte IBM eigene Aktien aus dem Markt genommen, nachdem der Dow-Jones-Index in weniger als einer Woche um elf Prozent eingebrochen war. IBMs Maßnahme wirkte wie Zündstoff: Der Dow erlebte seinen bis dahin größten Eintagesgewinn.

Wenn am Montagmorgen der Gongschlag zum Handelsstart ertönt, sind an der Wall Street noch einige andere Hürden zu überwinden. Das in Schutt und Asche liegende World Trade Center war ein Nervenzentrum des Finanzviertels. Der Telefonverkehr ist noch immer teilweise gestört, die Datenübermittlung per Computer behindert. Hinzu kommen logistische Probleme: Mehr als 100 000 Menschen sollen in einen Stadtteil zurückkehren, der wie ein Schlachtfeld aussieht. Einen zusätzlichen Dämpfer versetzten dem New Yorker Finanzplatz am Freitag die Märkte in Europa: Die Sorge vor einem Vergeltungsschlag der USA ließ die Aktienkurse einbrechen. Offensichlich suchten die Anleger Schutz in festverzinslichen Werten. Diese Flucht könnte auch in New York das Geschäft mit den Aktien verderben. Eine generelle Vertrauenskrise halten etliche Portfolio-Manager jedoch für wenig wahrscheinlich.

"Jetzt erst recht"

Privatanleger zum Beispiel seien eher geneigt, nach der Devise "Jetzt erst recht" ihre Aktien zu halten, hieß es. "Viele meiner Freunde werden Aktien kaufen, ganz gleich was passiert", sagte der Immobilienunternehmer Donald Trump. "Es würde mich nicht wundern, wenn wir am Montag eine große Überraschung erleben". Trump schließt einen Kursknick am Vormittag nicht aus, zumal bei den Aktien von Fluggesellschaften und Versicherern mit Einbrüchen zu rechnen ist. Auch Gewinnwarnungen bei General Electric und Ford könnten belastend wirken. Doch wie so oft an der Wall Street könnten die Käufer am Nachmittag zurückkehren. Die Mehrzahl der Analysten bleibt dabei: Die Chancen für die Börse sind mittelfristig größer als die Risiken. "Aus der Sicht der Fundamentalanalyse haben Aktien jetzt unterbewertetes Gebiet betreten", konstatiert der Chefvolkswirt Edward Yardeni von Deutsche Bank. Alex. Brown.

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