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Wirtschaft: Börsenfieber: Der Zauderer: Das Hoffen auf die Todeskirsche

Ich möchte heute eine Geschichte aus einem anderen Milieu erzählen. Es war vor ein paar Jahren in England, in Cornwall, in einem netten, gemütlichen Pub.

Ich möchte heute eine Geschichte aus einem anderen Milieu erzählen. Es war vor ein paar Jahren in England, in Cornwall, in einem netten, gemütlichen Pub. Die Stimmung war gut in dieser Kneipe, wie das halt in englischen Kneipen so üblich ist. Allerdings hatte dieser Pub eine Besonderheit. Er befand sich in unmittelbarer Nähe zu einer Hunderennbahn. Und die gutgekleideten, freundlichen Herren, die so heftig Pfeile in die Dartscheibe warfen, waren Buchmacher, also Leute, bei denen man auf die Hunde wetten kann, bei denen man also Geld gewinnen kann.

Irgendwie kamen wir mit diesen Herren ins Gespräch. Sie waren sehr witzig, besiegten uns im Dartspiel und waren wohl irgendwie gerührt, dass sich Touristen hierher verloren hatten und auch noch ziemlich eifrig ihr Interesse für die rennenden Hunde kundtaten. Jedenfalls zog auf einmal ein Buchmacher ein Rennprogramm aus der Tasche und unterstrich den Name eines Hundes im fünften Rennen. Er lautete "Cherry Kill", sowas wie Todeskirsche. Komischer Name für einen Hund. Egal, er sagte, auf den sollen wir wetten, aber nicht bei ihm, sondern bei einem Kollegen. Der Windhund war klein und schwarz, und um es kurz zu machen: Die Todeskirsche hat gewonnen, für eine Quote von acht zu eins. Fünfzig Pfund eingesetzt, vierhundert gewonnen. In zwei Minuten. So etwas hat sogar früher, als alles noch besser und fiebrig war, nicht einmal der Neue Markt geschafft. Ich erzähle das, um deutlich zu machen, dass ich persönlich eine sehr positive Einstellung zu Windhunden habe. Dennoch war ich etwas überrascht vor einigen Tagen in der FAZ eine große Anzeige der Börsenzeitung "Der Aktionär" zu finden, die in den Mittelpunkt zwei dieser hübschen Tiere stellte. Sie tragen Rennnummern, die Hunde, und drüber steht die super originelle Zeile: "Schneller an die Aktientipps - schneller zum Erfolg". Nun kann man ja annehmen, dass sich die Macher dieser Werbung etwas gedacht haben, wobei sich im ersten Moment die Gedankenzüge nicht gerade aufdrängen. Ohne dem Windhund zu nahe treten zu wollen, sollte Seriösität oder Vertrauen dabei anscheinend nicht vermittelt werden. Was weniger mit dem an sich tadellosen Wesen des Tiers zu tun hat als mit der Angewohnheit, Menschen, die als besonders unzuverlässig gelten, das Etikett "Windhund" anzukleben. Warum auch immer.

Den Eindruck transportieren zu wollen, besonders gut informiert zu sein, kann wohl auch nicht im Vordergrund gestanden haben. Denn in Deutschland gibt es überhaupt keine professionellen Hunderennen, da das Wetten auf Hunde hierzulande verboten ist. Hunderennen ist also ein Hobbysport, in dem liebe Menschen versuchen, auch ohne Geld glücklich zu werden. Man ist ein bisschen draußen an der frischen Luft, gemütlich, ohne Hast, ohne schnöden Mammon. Ist "Der Aktionär" vielleicht ein liebes Börsenmagazin, das uns diese Botschaft vermitteln will?

Aber vermutlich ist es ganz anders. Die klugen Köpfe in dieser Zeitschrift haben längst weiter gedacht: Was tun in diesen Tagen der Börsen-Dauerdepression? Wie soll das alles weitergehen? Wie lange kann man noch von trudelnden Aktien leben? Ihre Konsequenz: Man muss neue Märkte erschließen, in diesem Fall ist es die Welt der Rennbahnen. Vielleicht wird "Der Aktionär" bald die Hunderennergebnisse in London veröffentlichen samt Handynummern der besten Buchmacher. Ich jedenfalls werde mich schon mal erkundigen, ob "Cherry Kill" noch lebt.

Stephan Lebert

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