zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Börsenfieber: Heute: Der Zauderer

Man führt ja durchaus interessante Gespräche in dieser Zeit. Neulich telefonierte ich mit einem Journalistenkollegen, einem renommierten, und der erzählte mir sofort und ungefragt von seinen finanziellen Verhältnissen.

Man führt ja durchaus interessante Gespräche in dieser Zeit. Neulich telefonierte ich mit einem Journalistenkollegen, einem renommierten, und der erzählte mir sofort und ungefragt von seinen finanziellen Verhältnissen. Wie sind die wohl, wenn einer so gerne davon spricht? Gut, sehr gut, viel besser als alle anderen. Dabei verdiene er viel weniger als früher, als er noch bei diesem Magazin gearbeitet hatte. Aber das spiele gar keine Rolle: "Ich verdiene mein Geld inzwischen längst an der Börse." Stressig sei das aber schon, "mich beschäftigen die Kurse täglich bis zu zwei Stunden".

Der Kollege, deutlich älter als ich, wollte zum Ausdruck bringen: Wer schaut heute noch auf seinen Lohnzettel? Wer das tut, ist alt, ist verbraucht, ist Old Economy. Wer zwei Stunden Tag für Tag an der Börse wirbelt, ist neu und modern und gehört vor allem zur New Economy. Ja, so ist das Leben inzwischen, wenn man so will: ein Kampf zwischen alt und neu, oder, global formuliert: zwischen old und new. Vielleicht kann man es auch so ausdrücken: Es gibt nur noch Informierte und Nicht-Informierte.

Liebe Leser, Sie wissen, zu welcher Gruppe ich gehöre, Sie kennen meine Situation. Ich versuche mir schon seit einiger Zeit höchst mühsam die Wesentlichkeiten der Börse anzueignen, um irgendwann mal zum richtigen Zeitpunkt mit der richtigen Methode loszuschlagen. Zum großen Boom der jüngsten Börsengeschichte gehörte, jetzt mal grob und durchaus laienhaft von mir zusammengefasst, folgende Erkenntis: Wirkt eine Firma seriös und traditionsreich, kann man sie börsenmäßig eher vergessen. Das schlichte gedankenlose Einhämmern dieser Formel war für mich wichtig, denn so richtig verstanden habe ich es nie, warum beispielsweise ein brummender Global Player wie Daimler-Chrysler samt Kampfmaschine Schrempp auf dem Aktienmarkt eher floppt. Zweite Erkenntnis: Ist eine Firma jung und im Auftritt möglichst verwegen, ja, dann muss man ganz schnell Aktionär werden. Beispiel Pixelpark, einer dieser Millionenmilliardengewinner der letzten Zeit. Vergangene Woche wurde gemeldet, die Firma, die viel mit dem Internet zu tun hat, habe nun erstmals mit ihrem normalen Umsatz ein klein wenig Gewinn gemacht - was aber nicht viel heißen soll, so die Experten, denn die Zukunftsprognosen sehen düster aus. Was wiederum heißen soll (und das wollte ich mir eigentlich merken): Das ist also genau eine dieser Firmen, die das Herz an der Börse höher schlagen lässt.

Was taugen solche Einsichten, wenn die Aktien fallen? Was machen, wenn alles dafür spricht, dass irgendeine Aktie steigt, sie es aber dennoch nicht tut (oder umgekehrt: sie eben steigt, obwohl..)? In den letzten Tagen und Wochen sind die Kurswerte der New Economy etwas abgebröckelt, um es vorsichtig zu formulieren. Es scheint sich also zu verdichten, dass ich meine frischen Erkenntnisse allmählich schon wieder vergessen kann. Einen neuen Trend konnte ich bislang noch nicht ausmachen. Ich bin zunehmend verwirrt. Wie lautete der größte Tipp des Börsengurus André Kostolany? Auf die Frage, wie man an der Börse am schnellsten reich werde, antwortete er: "Heiraten Sie eine reiche Frau".

Übrigens, mein Kollege hatte erzählt, er sei "vor allem dick in der Telekommunikation drin". Seit er das sagte, registriere ich in diesem Bereich ebenfalls starke Turbulenzen. Vielleicht sind zwei Stunden Arbeitszeit pro Tag doch nicht genug.

Der Autor ist Redakteur dieser Zeitung.Freitag

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false